Ried bei St. Wolfgang: „WOLF – DAS MYSTICAL“ – Uraufführung auf der Seebühne am Wolfgangsee, 23. 05.2024
Musical von Franzobel, Musik von Gerd Hermann Ortler
Gestern waren wir bei einer eigenwilligen, aber u. E. recht gelungenen und unterhaltsamen UA am kühlen Ufer des Wolfgangsees – in einem Theater, das nur per Schiff erreichbar war (was sehr gut funktioniert hat), sozusagen ein Hauch Fitzcarraldo… 😉 Verblüffend, daß das Projekt in nur gut einem Jahr aufzustellen war – man hätte jedenfalls keine Einwände an Professionalität erkennen können. Die Bilder sind teils im www zu finden, von einer am Premierenabend tätigen Bildagentur, Beschriftung Patrick@we.tl
Foto: Petra und Helmut Huber
Abseits des Kulturhauptstadtjahres und doch mittendrin haben die drei Wolfgangseegemeinden St. Gilgen, St. Wolfgang und Strobl eine mobile Bühne in Auftrag gegeben, die unter dem mächtigen Falkenstein vor dem mehr als 100-jährigen Ferienheim (zeitweilig auch Marineschule) in Ried am Nordufer des auch Abersee genannten Gewässers von Architekt Eduard Neversal errichtet wurde. Das Konstrukt ist dermaßen überdacht und teils auch gegen Seitenwind und Schlagregen geschützt, daß es auch für das notorisch wechselhafte Wetter dieser Gegend hinlänglich bespielbare Fläche und fürs Publikum trockene Unterbringung bietet. Dazu sollte auch ein neues Stück mit Lokalbezug zur Erstbespielung geschaffen werden, denn Anlaß für die Unternehmung war die 1.100-Jahr-Feier des Geburtstages des heiligen Wolfgang.
Franzobel ist uns als Opernlibrettist („Fadinger“) schon bekannt, ein Musical (oder Mystical??) hatte er bislang nicht in Angriff genommen. Ein Metier, das seiner Neigung zu Sprachspielereien und bösen Kalauern sicherlich entgegenkommt – zumal, wenn die erklärte Absicht ist, Humor in der Tradition von Monty Python einfließen zu lassen. Der englischen Truppe war bekanntlich nichts heilig, und das versprach für dieses Werk, dieses Thema natürlich sehr spezielle Kontraste. An der endgültigen Textfassung arbeitete auch Regisseuse Viktoria Schubert mit. Gerd H. Ortlers Musik ist stilistisch vielfältig und thematisch ideenreich – schon die Ouverture „Kyrie“ läßt durchaus an die Rammstein denken, aber ebensogut setzt er Gregorianik, Blues und Funk ein, auch Balladen sind interessant und weitab von Musicalklischees durchkomponiert.
Mit dem Beginn tut sich auch szenisch schon Heftiges – der (Heilige oder doch noch nicht Heilige) hält mit eigenen Kräften einen Felssturz vom Falkenstein alleine auf; notgedrungen, weil alle anderen fliehen, was dem Teufel natürlich Vergnügen bereitet. Dieser Widersacher begleitet die Hauptfigur durch ihr ganzes Leben, und natürlich so auch durch das ganze Stück.
Die zweite Szene beginnt dann die eigentliche Chronologie: wir sehen Wolfgangs Eltern, arme schwäbische Taglöhner und Schweinehirten aus „Pfu-Pfu-Pfullingen“, die Mutter schwanger, besingt ihr Ungeborenes „Ein Stern“. Bald ist der Kleine da, und schon diskutiert er mit dem Teufel, kein Heiliger werden zu wollen, obwohl der „eure Seelen“ will. Daß sie dem Teufel entkommen, nützt den Eltern wenig, denn sie werden von Steuereintreibern (zu einem flotten Jive) gründlich „abgestiert“.
Unser Möchtenichtheiliger trifft erstmals (oder doch nicht erstmals?) auf die holde Weiblichkeit in Gestalt einer Kathi, die aber gegen die Klosterschule am Bodensee den Kürzeren zieht. Nicht, daß die beiden nicht von einem Wiedersehen in der Zukunft träumten, an einem Tag, an dem es „Speckwürfel regnet und Zuckerwatte schneit“. Drei schrille und „giftige“ weise Damen kommentieren und konterkarieren immer wieder im Stil von Travestieshows Geschehen und Gedanken: „… an Veganer haben die damals noch gar nicht gedacht … und Gott ist eine Frau oder eine Transfrau oder ein Schizophrener mit dreifach gespaltener Persönlichkeit!“ (leider saßen wir so, daß wir nicht sehen konnten, welche Gesichter die im Publikum anwesende hohe Geistlichkeit dazu machte…)
3 weise Frauen Rita Sebeh, Arthur Büscher, Rebecca Soumané. Foto: Patrick@wet.t)
Im Kloster folgen auf Streiche der Studenten ebensolche auf die Sitzflächen derselben. Bei einer Bischofsvisite hat Wolfgang eine Marienerscheinung „Ein Wunder“. Ein Mitbruder namens Heinrich verliebt sich in unseren Protagonisten, was auffliegt – freilich ist Heinrich adeliger Abstammung, entgeht daher einer Strafe, während Wolfgang zur (damals selten zu überlebenden) Pflege und Seelsorge von Aussätzigen verdonnert wird. Er kann aber zurückkehren und stellt fest „Ich bin voller Barmherzigkeit“, was Heinrich mit „…also ein Idiot“ kommentiert.
Der karriereorientierte Heinrich etabliert sich in Rom, diesem Sündenpfuhl (damaliger Papst Benedikt VII.) und holt Wolfgang nach, was gebührend und mittelalterlich-burlesk ausschweifend gefeiert wird: „Zwischen Leber und Niere ist Platz für ein paar Biere … und Gott erweist Dir seine Gunst, aa wennst fünf Liter brunzt“. Wolfgang sagt Kathi, er ziehe ihr die Liebe zur Mutter Gottes vor, was sie mit einem Blues „Achso, man soll sich nicht täuschen“ hinnehmen muß.
In Rom tanzt ein großes, teuflisch umspieltes Hurenballett unter der Regie von Papst und Teufel, Heinrich und Wolfgang mittendrin: „Roma amore“. Die Pest grassiert, Heinrich stirbt „einer, der mich hält“ (Duett mit Wolfgang). Letzterer geht nach Regensburg. Der Teufel stellt fest „die Menschheit ist ein Vorhang gewebt aus Dummheit, Eitelkeit und Gier“ und versucht erneut, mithilfe des Volkes Wolfgang zu verführen, jedoch der „will kein Heiliger sein, denn der Himmel ist zu voll und die Engel sind zu bleich“, aber wenigstens eine Kirche will er erbauen. Es folgen der sagenhafte Axtwurf und die Pause.
Trotz diverser Intrigen wird Wolfgang in Regensburg zum Bischof geweiht („Ich stehe auf Gottes Seite“). Der Liudolfinger-Landesfürst, genannt Heinrich der Zänker, meint dazu „Darauf steht Tod durch Verblödung“. Dann finden wir uns am Abersee wieder, wo Wolfgang die geworfene Axt auffindet – sie steckt im Kopf des Teufels; dieser offenbart, warum er Wolfgang immer wieder helfe, er wolle doch „so gerne wieder ein Engel sein“.
Wolfgang möchte viel lieber „mutterseelenalleine“ ein Einsiedler sein, aber der Teufel vermiest ihm das durch Selbstmordgedanken. Wolfgang zieht in den Krieg gegen die Ungarn, die drei weisen Damen beenden diesen durch einem mehr oder minder eleganten Bossa Nova. Zurück am Abersee will das Volk, angestachelt durch den Teufel, endlich eine Kirche sehen, auch Kathi wird herbeizitiert, die ihm verkündet „Du bist auserwählt“ darauf er „dees aa no!“. Schließlich ergibt er sich der Metamorphose „ich will ein Heiliger sein“, äußerlich symbolisiert von einem Glitzeranzug wie ihn seinerzeit Elvis trug.
Er wird jetzt gerne von den Aberseern als Heiler etc. beansprucht – aber als er um ihre Hilfe beim Kirchenbau bittet, haben sie alle Wichtigeres zu tun. Also ist die Hilfe des Teufels vonnöten, und er verspricht „a Hüttn, die kann ka Klimawandel erschüttern“. Dafür will er die erste Seele, die die neue Kirche betritt, einheimsen. Wolfgang will sich opfern, aber ein Wolf kommt ihm zuvor. Doch hinter Isegrim verbirgt sich jemand anderes, was Wolfgang zu Tode erschüttert. Heinrich (der Priester) holt ihn ins Jenseits – und die Souvenirhändler beginnen zu kassieren. But what the hell is a mystical?
Foto: Helmut und Petra Huber
Diese komplexe, kurzweilig und ziemlich goschert erzählte Geschichte wird in brutto 2½ Stunden (incl. Pause) dargelegt, bestens unterstützt von der facetten- und ideenreichen Musik, die aber nicht unbedingt ohrwurmhältig ist. Das Streben, den Geist Monty Pythons zu wecken, kann aber durchaus als erfolgreich bezeichnet werden. Dazu trägt auch die Regie bei, die dickere oder kitschige Emotionen gar nicht erst zuläßt, jedoch viel Ironie, Zweifel und Sarkasmus transportiert – wohl nicht im Sinne stromlinienförmiger Tourismusvermarktung, aber durchaus hintersinniger bis frecher Unterhaltung.
Unter dem Dirigat von Christoph Huber spielt ein 18-köpfiges Orchester auf einer Brücke über der Bühne auf, voller drive und funk, aber auch mit dem richtigen Tonfall für die sanfteren Passagen. Die Bühne (auch an deren szenischer Gestaltung hatte Eduard Neversal großen Anteil, zusammen mit Andreas Haselgruber) ist eher karg, aber wird, etwa mit den Aufgängen zur Orchesterbrücke, zweckdienlich genutzt. Zumindest bei der Premiere hat man auch einen himmlischen Mitspieler: es ist Vollmond, und anfangs des Abends dräuende dunkle Wolken lockern sich so auf, daß man diesen in seiner Position über den Bergzacken der Postalm mitten im Blickfeld hat, samt einem Goldschleier über den Wellen des Sees. Naturregie: als im Text von einer mondlosen Nacht gesprochen wird, schiebt sich prompt eine Wolke vor den Erdbegleiter!
Die platzbedingt fehlende Bühnentechnik wird von einer sehr gut gelungenen, expressiven Lichtgestaltung ersetzt (Stefanie Erb). Und das Gesamtbild runden die aufwendigen und mit historischem Wissen wie sanftem bis bösen Humor gestalteten Kostüme von Julia Klug ab.
Konstantin Zander, Bianca Basler. Foto: Patrick@wet.t)
Darstellerinnen und Darsteller sprechen und singen sehr textdeutlich – das freilich zum Publikum zu bringen, bei sicher nicht idealen akustischen Verhältnissen der mit Zeltplanen ummantelten Zuschauertribüne und offener Rückwand zum See, schafft die Tontechnik (Christoph Hall) exemplarisch gut. Ein Mitlauftext geht keinen Moment ab.
Wolfgang ist der uns aus etlichen exzellenten Rollengestaltungen am Linzer Landestheater bekannte Konstantin Zander, der auch hier diesmal wieder mit guter Stimme und vollem körperlichem wie emotionellen Einsatz überzeugt. Sein Gegenspieler aus der Hölle wird von Kaj Lucke als unermüdlicher, facettenreicher Agent des bequemen Weges in den Untergang gespielt und mit ebenso gut fundierter Stimme wie sein Hauptobjekt gesungen. Mit der Kathi von Bianca Basler fühlt man wirklich mit, auch, weil sie weder seitens der Autoren noch seitens ihrer Gestaltung eine Klischeefigur ist. Dies gilt auch für James Park, der die beiden Heinriche spielt – der eine ebenso karrierebewußt wie emotionell mit Wolfgang eng verbunden, der andere ein bösartiger Zyniker der Macht.
Als Punch & Judy-Figuren, die bösartig-witzig, aber auch leidend, die Zeitumstände verkörpern, unterhalten Mutter und Vater Wolfgangs, Katja Berg und Martin Bermoser. Die drei weisen und köstlich boshaften bis sarkastischen Frauen sind Arthur Büscher, Rita Sebeh und Rebecca Soumagné. In weiteren Rollen Dennis Kozeluh, Martin Berger, dance captain Jennifer Pöll und Matthias Trattner. Chorus: Emilia Maria Heigl, Carolin Nala Scheicher, Claire Soulier, Dominik Wojtasik, Kilian Berger, Edgar Sagarra und Nienke Rood; Choreographie Jerôme Knols.
Begeisterter Applaus für ein abseits von bis gegen Routine und Klischees gestricktes Stück bissiger Historien- und Glaubensbetrachtung. Besonders verblüffend: von der ersten Idee über Beauftragung von Konstruktion, Buch, Text und Musik sowie Besetzung verging wenig mehr als ein Jahr: DAS freilich ist eine wahrhaft mystische Leistung!!! Aber leider für Musicalliebhaber sind die noch vier Wochen laufenden Vorstellungen schon ausverkauft…
Schlussapplaus. Foto: Petra und Helmut Huber
Petra und Helmut Huber