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Richard Wagner: TANNHÄUSER (Berlin 2014)

29.03.2017 | CD/DVD/BUCH/Apps, dvd

DVDCover  Tannhäuser  Berlin

Richard Wagner:
TANNHÄUSER
Aufgezeichnet in Berlin, Schiller-Theater, 2014

Harmonia Mundi / BelAir, 2 DVDs

Die Kritiken nach der Berliner „Tannhäuser“-Premiere im April 2014, die die Staatsoper im Ausweichquartier Schiller-Theater herausbringen musste, waren großteils triumphal, und das versteht man, wenn man die Aufzeichnung sieht, die mezzo davon gemacht hat und die nun auf DVD / BlueRay erschienen ist.

Natürlich konnten sich einige Kritiker die Formulierung vom „Tanzhäuser“ nicht verkneifen, aber sie liegt nun tatsächlich auf der Hand: Wer Sasha Waltz als Regisseurin wählt, weiß, dass er die Choreographin, die sie in erster Linie ist, mitgeliefert bekommt. Und nicht nur im Venusberg, wo die Tänzer ja vorgesehen sind, sondern das ganze Werk hindurch. Wobei man oft auf eine Rhythmik in Wagners Musik gestoßen wird, die man sonst gar nicht wahr genommen hat… (ähnlich wie Wieland Wagner vor endlosen Zeiten die Musik im dritten Akt „Holländer“ als „G’strampften“ tanzen ließ).

Der Venusberg ist hier ein Tanz der Nackten, der in einem Auge stattfindet, genauer, in einer Pupille. Damit wird die ganz eigenartige Ästhetik beschworen, an der Sasha Waltz (zusammen mit Pia Maier Schriever) auch als Bühnengestalterin beteiligt ist. Eine rein abstrakte Kreation, aus dem Venusberg-Auge geht es in die totale Schwärze, aus welcher Tannhäuser dann in einem Nebel auftaucht, wo er die jagdlich gekleidete Hofgesellschaft trifft. Die „teure Halle“ besteht aus einem aus Streifen bestehenden Vorhang, Akt drei schwelgt wieder in Nebel, diesmal in orangefarbenem.

Nichts an dieser Welt ist konkret, denn dort würde ja auch nicht bei jeder Gelegenheit getanzt – beim Einzug der Gäste, das Entsetzen über Tannhäusers Frevel äußert sich in hektischem Gezucke, und am Ende sind Pilger auch Tänzer, wilde Verzweiflung ist stellenweise angesagt. Der Anteil der Bewegungsdramaturgie ist überbordend, aber sie passt sich – in aller Abstraktion – an das Geschehen an.

So begibt sich die Führung der einzelnen Figuren ohne irgendeinen realen Zusammenhang, aber was Wagner an Emotionen vorgibt, ist stark genug. So wandelt sich Peter Seiffert von einem müden, alten Mann, der von Venus wirklich nichts mehr wissen will, zu einem sein Alter zwar nicht versteckenden, aber wie neu geborenen Liebhaber angesichts einer strahlenden Elisabeth: Sie im weißen, schwingenden Abendkleid, er im grauen Cutaway wirken wie ein Liebespaar, das gleich zur Hochzeit schreitet. Im dritten Akt kommt Tannhäuser als gebrochener Mann aus Rom zurück, das lange Haar speckig zurückgebunden, Mantel, Brille, Wanderstab, ein Gebrochener im Gammler-Look. Aber nicht nur die darstellerische Entwicklung ist bemerkenswert, sondern auch die Kraft, Ausdauer und Schönheit, mit der Seiffert den Tannhäuser ganz ohne Abstriche singt.

Zwei sehr attraktive Frauen beherrschen das Bild, zu Beginn und am Ende die schlanke, optisch und stimmlich Sinnlichkeit ausstrahlende Marina Prudenskaya, dazwischen die jugendlich-stürmische Elisabeth der Ann Peterson, die im dritten Akt eine Studie der Gebrochenheit liefert, die jener Tannhäusers adäquat ist.

Wie bereits erwähnt haben schon die Kostüme (Bernd Skodzig), in welchen die Männergesellschaft auftritt, das leicht (nicht schwer) Parodistische angedeutet, wie die Wartburg-Welt (keine Wartburg, keine Welt…) um den diskreten Landgrafen (René Pape) erscheint, keine überprofilierte Schar, deren Bravheit ein Wolfram (Peter Mattei) vertritt, der trotz Verzweiflung im dritten Akt noch Krawatte trägt.

Sollte man nun Konzeptionelles hinter all dem analysieren wollen, käme man vermutlich nicht weit, aber das Formale hat Sasha Waltz zu äußerst tragfähiger Qualität gebracht. Es ist immer noch Tannhäuser, auch wenn er Tanzhäuser ist, und selbstverständlich tragen da Daniel Barenboim und die Staatskapelle Berlin Entscheidendes dazu bei. Das ist akustisch prachtvoll, wenn es erlaubt ist, diese Musik in ihrer aufgefächerten Pracht einfach genießen zu wollen. Und, wie gesagt – die Aufführung als Ganzes bietet Ansatzpunkte zur Diskussion, die sich auf hohem Niveau bewegen.

Renate Wagner

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Richard Wagner (1813 – 1883)

Tannhäuser

Große romantische Oper in drei Aufzügen | Text und Musik von Richard Wagner | Dresdner Fassung unter Einbeziehung des »Bacchanals« (1. Akt, 1. Szene) der Pariser Fassung (1861)

Gesamtaufnahme der Staatsoper im Schiller Theater
Berlin, 04/2014

Dirigent: Daniel Barenboim
Staatskapelle Berlin
Staatsopernchor Berlin
Chorleitung: Martin Wright

Regie und Choreographie: Sasha Waltz
Kostüme: Bernd Skodzig
Bühnenbild: Pia Maier Schriever, Sasha Waltz
Licht: David Finn
Video; Vincent Bataillon

Tannhäuser – Peter Seiffert
Wolfram von Eschenbach – Peter Mattei
Walther von der Vogelweide – Peter Sonn
Hermann, Landgraf – René Pape
Biterolf – Tobias Schabel
Heinrich der Schreiber – Jürgen Sacher
Reinmar von Zweter – Jan Martiník
Elisabeth – Ann Peterson
Venus – Marina Prudenskaya
Hirtenknabe – Sónia Grané

Harmonia Mundi / BelAir, 2 DVDs, 11/2015
Sprache: Deutsch
Spieldauer: 192 Minuten

 

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