RICCARDO MASSI
Vom Stuntman zum Startenor
( Simon Leipold sprach mit dem Tenor im Juli 2016)
Riccardo Massi. Copyright: Benjamin Ealovega
Riccardo Massi hat in jungen Jahren bereits erreicht, wovon andere Tenore nur traumen können. Die MET, die Mailänder Scala, die Royal Opera in London, die Oper von Sydney und die Deutsche Oper Berlin gehoren zu den Opernhäusern, an denen der Sänger mit jugendlich-heroischer Bühnenerscheinung, intensivem Spiel, bombensicherer Höhe und bronzen gefarbtem Lirico-Spinto-Tenor bereits enorme Erfolge feiern konnte. Zu seinem Repertoire gehoren Partien wie Radames, Cavaradossi, Andrea Chenier, Don Alvaro, Don Jose und der Calaf, den Massi auch diesen Sommer wieder bei den Bregenzer Festspielen interpretieren wird. Die Premiere von Marco Arturo Marellis Inszenierung im letzten Jahr war ein riesiger Erfolg, der fur Rekordauslastung bei dem österreichischen Festival sorgte. Mittlerweile liegt eine wunderbare Aufnahme auf DVD/Blu-Ray vor, auf der Riccardo Massi als Calaf bewundert werden kann.
Der dynamische Tenor ist froh, auch dieses Jahr wieder auf der Seebühne singen zu durfen, die er als „magischen Ort“ bezeichnet. „Vor 7.000 Menschen zu stehen, mitten auf dem Bodensee, umgeben von dieser wundervollen Landschaft ist ein absoluter Traum!“.
Auf seinen Lieblings-Calaf angesprochen kommt wie aus der Pistole geschossen „Corelli! Er war der größte Calaf uberhaupt. Wir Tenore von heute haben es nicht leicht, Corelli hat die Messlatte sehr hoch gelegt. Das bringt mich aber dazu, erst recht bei jeder Turandot 200% zu geben.“ Die Partie gehort mittlerweile zu den wichtigsten im Repertoire des Tenors aus Sarnano in den Marken. Sein Rollendebut gab er im Jahr 2013 an der Seite von Nina Stemme („Еine tolle Kollegin, die mich sehr inspiriert und von der ich viel lernen konnte“) in Stockholm, ebenfalls in einer Inszenierung Marco Arturo Marellis. Anfang dieser Spielzeit sang er die Partie in Zurich (wieder mit Stemme) und im März konnte Massi einen phänomenalen Erfolg als Calaf in einer weiteren spektakulären Open-Air-Produktion am Hafen von Sydney feiern.
Fast die ganze erste Hälfte des Jahres 2016 hat der junge Tenor in Australien verbracht. Erst für besagte Turandot-Produktion in Sydney, anschließend für sein Rollendebüt als Rodolfo in Luisa Miller in Melbourne, wieder mit Opera Australia. Über die Arbeit in Australien hat Riccardo Massi nur Gutes zu berichten und zeigt sich begeistert von der “Kombination von allerhöchsten künstlerischen Standards, einer perfekten Organisation, wie man sie nur bei den besten Opernhäusern der Welt erlebt und der zuvorkommenden, entspannten Art der Menschen”.
Vor seiner Karriere als Opernsänger wirkte der Künstler als Stuntman in Filmen und Serien wie Gangs of New York, Empire und Rome mit, unter anderem an der Seite von Leonardo DiCaprio. Die Erfahrungen als Stuntman kommen ihm noch heute als Opernsänger zugute, beispielsweise bei der Erschießungsszene in Tosca (“ich falle und sterbe vielleicht natürlicher als andere Tenöre!”). Als Spezialist im Umgang mit mittelalterlichen Waffen fallen ihm Fechtszenen (wie etwa in La forza del destino) natürlich besonders leicht.
Seiner Filmkarriere trauert er jedoch nicht nach, auch wenn ihm die Jahre als Stuntman großen Spaß gemacht haben. Seinen Traum lebt der passionierte Künstler im Hier und Jetzt als weltweit gefeierter Tenor.
Riccardo Massi kommt nicht direkt aus einer Musikerfamilie, bekam seine Liebe für die Musik und besonders für die Oper aber von der Familie in die Wiege gelegt: Der Vater war ein großer Opernliebhaber mit riesiger Plattensammlung, der allerdings „fürchterlich falsch sang“. Die Mutter hatte hingegen „eine wunderbare Stimme mit perfekter Intonation und auch sie liebte die Oper“. Musiker finden sich weiter in der Familienvergangenheit: „Mein Ur-Urgroßvater war der Komponist Domenico Gentiloni Silverj, der neben vielen anderen Werken im Jahr 1846 den Marcia delle trombe d’argento für die Wahl des Papstes Pius IX schrieb. Das Stück wird heute noch gespielt, wenn der Papst den Petersdom betritt.“
Der Tenor entschied sich schon früh dafür, gleich nach der Schule eine Ausbildung zum Opernsänger zu beginnen und studierte von Anfang an mit David Holst in Rom, der ihn nach einigen Jahren ermutigte, sich für die Akademie der Mailänder Scala zu bewerben, wo er auch aufgenommen wurde und schnell kleinere Partien verkörperte. Der Beginn einer glanzvollen Karriere! Sein professionelles Debüt gab er im Jahr 2009 als Radamès in Salerno, dirigiert von Daniel Oren. Drei Jahre später stand er bereits in derselben Rolle auf der Bühne der Metropolitan Opera New York, wo er auch nächste Saison wieder als Radamès zu hören sein wird. Noch heute wird er von Holst stimmlich betreut – ständige Kontrolle der Stimme und Technik ist für Massi essentiell. „Ich hatte das große Glück, von Beginn an mit demselben Lehrer arbeiten zu können. Wir sind schon seit langer Zeit ein Team: Neun Jahre lang, von 2000 bis 2009 hatte ich im Schnitt fünf Gesangsstunden pro Woche, 11 Monate im Jahr.“ David Holst sei nicht nur ein wunderbarer Gesangslehrer, er habe auch immer alle Aspekte seiner Karriere mit ihm besprechen können wie Massi erzählt.
Im Dezember 2016 steht ein ganz besonderes Rollendebüt für Riccardo Massi an: An der Berliner Staatsoper wird er in Jürgen Flimms Neuproduktion als Des Grieux in Manon Lescaut debütieren, bekanntlich eine der anspruchsvollsten Tenorpartien überhaupt. Die Rolle sei „lang, exponiert und sehr facettenreich“. Der Tenor ist froh, bereits mit dem Dirigenten Mikhail Tatamikov, der in Berlin am Pult stehen wird gearbeitet zu haben und somit bereits zu wissen, welche Anforderungen er was Geschmack und Stilempfinden betrifft mitbringt.
Auf die Frage, welche der Rollen, die er bereits auf der Bühne verkörpert hat ihm besonders am Herzen liegen antwortet Massi, dass ihn der Cavaradossi in Tosca, Calaf in Turandot, Radamès in Aida, Enzo Grimaldo in La Gioconda und die Titelpartie von Andrea Chénier ganz besonders berühren. In Zukunft möchte der Italiener gerne sein Verdi-Repertoire erweitern und Partien wie Gabriele Adorno, für den es schon konkrete Pläne für 2018 gibt, Foresto ( Attila), Arrigo (I vespri siciliani), Ernani und Don Carlo seinem Repertoire hinzufügen. Und „wer weiß, vielleicht wird auch eines Tages der Mount Everest des italienischen Tenorrepertoires, der Otello folgen“. Der kann allerdings noch warten und zuvor gibt es auch jenseits des Verdi-Repertoires eine ganze Reihe von Rollen, in denen er gerne debütieren möchte. „Ich würde liebend gerne auch französisches Repertoire singen, vor allem Faust, Roméo und Werther“.
„Turandot“ in Bregenz mit Riccardo Massi als Calaf. Foto: Bregenzer Festspiele/ Karl Forstner
Riccardo Massi hat eine schillernde Zukunft vor sich und wir dürfen uns auf eine Reihe von Projekten in Deutschland und Österreich freuen: Diesen und nächsten Monat steht er als Calaf in der zu Beginn erwähnten Turandot auf der Seebühne der Bregenzer Festspiele, im Dezember folgt das Rollendebüt als Des Grieux in Berlin und im Frühjahr 2017 wieder Calaf, diesmal an der Oper Köln.
Simon Leipold