Dresden/Kulturpalast: TSCHAIKOWSKI PUR IM FESTKONZERT DER DRESDNER PHILHARMONIE MIT ANNA RAKITINA UND AUGUSTIN HADELICH – 26.12.2024
Foto: Dresden/Kulturpalst
Wer hört nicht gern Musik von Peter Iljitsch Tschaikowski, und das ausschließlich ein ganzes Konzert lang! Bei der Dresdner Philharmonie gibt es jetzt eine Konzertreihe, bei der jeweils ein Komponist mit seinem umfangreichen Oevre – über die gesamte Saison verteilt – vorgestellt wird und die im weihnachtlichen Festkonzert gipfelt, bei dem dann ausschließlich Werke dieses Komponisten aufgeführt werden. So war das Konzert „Tschaikowski 9“, ganz dem russischen Romantiker gewidmet.
Die junge, aus einer ukrainisch-russischen Familie stammende und in Moskau und Hamburg ausgebildete Dirigentin Anna Rakitina brachte das richtige Verständnis für den spezifischen Charakter seiner Musik mit. Sie erhielt bereits mehrere Preise bei Dirigentenwettbewerben und leitete bedeutende Orchester weltweit, in Europa, Fernost und den USA. Sie ist keine, auf vordergründige Effekte oder gar „Show-Wirkung“ bedachte, junge Dirigentin, sondern nimmt ihre Tätigkeit sehr ernst und widmet sich intensiv dem aufzuführenden Werk, lässt den Komponisten „sprechen“ und vermittelt seine Intentionen dem Publikum.
Tschaikowski braucht nicht viele „Worte“, um menschliche Gefühle von Freude und Leid – und Tod auszurücken, wie in der zu Beginn erklungenen „Fantasie-Ouvertüre h-Moll ‚Roméo et Juliette’ „, ein noch verhältnismäßig frühes, aber sein erstes anerkanntes Meisterwerk, bei dem bereits erfahrbar wird, mit welcher Intensität er die gesamte Bandbreite der menschlichen Gefühle auszudrücken vermag, denn er hatte selbst mehrere Lebenskrisen zu bewältigen und verarbeitete sie höher und erhabener in seiner Musik, die in die Seele dringt. Jetzt gehört „Roméo et Juliette“ zu den beliebtesten Orchesterkompositionen, die jemals geschrieben wurden.
Zwischen Anna Rakitina und den Musikern der Dresdner Philharmonie bestand offensichtlich ein sehr gutes Einvernehmen. Beide Seiten waren „auf gleicher Wellenlänge“. Bereits bei den ersten Takten überraschte ein außergewöhnlich schöner Klang, eine faszinierende Mischung aus der, der Philharmonie eigenen, warmen Tongebung und besonderer Frische, die bis zum Schluss anhielt, obwohl das Konzert dreimal gegeben wurde.
Bei dieser sehr transparenten, klangschönen Wiedergabe entstand in 20 Minuten sehr plastisch die Opernhandlung mit der berühmtesten Liebesgeschichte der Welt. Mit den ersten feinen, leisen Tönen wurden die Friedensbemühungen des Pater Lorenzo, dessen besonnene Weisheit die Holzbläser mit dem, mit Feingefühl gespielten, Choralmotiv symbolisierten, angedeutet. So wie sich die vom Englischhorn angeführte, zart und sehnsüchtig über den Streichern schwebende aufkeimende zarte Liebe zwischen den beiden Protagonisten Romeo und Julia im weiteren Verlauf nicht durchsetzen konnte, da Gewalt und Wut der beiden verfeindeten Familien Capulet und Montague in den Vordergrund treten, musste sich auch das Motiv von Pater Lorenzo verlieren. Von den Empfindungen der beiden Liebenden verlief der Konflikt in einer steten Steigerung bis zur Eskalation in höchster Dramatik mit sehr gut dosierten Fortissimo-Schlägen der Pauken. In dieser transparenten und klangschönen Interpretation wurden die Extreme dieser Geschichte dem Publikum sehr deutlich erschlossen.
Nicht leicht hatte es ursprünglich Tschaikowskis „Violinkonzert in D-Dur“. Obwohl in einer Phase neuer Lebensfreude nach einer persönlichen Krise 1878 in der malerischen Landschaft des Genfer Sees bei Schweizer Frühlingswetter und in Gesellschaft eines jungen Geigers, der die Violin-Passagen sofort praktisch probierte und wertvolle Hinweise in spieltechnischen Fragen gab, in nur reichlich drei Wochen wie im Rausch entstanden und perfekt auf die Geige abgestimmt, wurde es zunächst von dem damaligen Violin-Virtuosen, für den es gedacht war, als „unspielbar“ abgelehnt und die Uraufführung verweigert, von der Wiener Kritik verrissen, als „vulgär“ oder „zu sentimental“ abgetan. Der Wiener Kritikerpapst Edouard Hanslick, der sonst ein gesundes Urteil fällte, schmähte es sogar mit den Worten: „Tschaikowskys Violinkonzert bringt uns auf die schauerliche Idee, ob es nicht Musikstücke geben könnte, die man stinken hört“.
Trotz der Leichtigkeit, mit der es komponiert wurde, spiegelt das Violinkonzert doch die Extreme von Tschaikowskis Gefühlswelt wider, schwebende Leichtigkeit der Solovioline auf der einen Seite und Melancholie und seelische Abgründe auf der anderen. Dem Publikum hat es aber gefallen. Von London aus trat dieses spieltechnisch zwar schwierige, aber doch so mitreißende Werk ein Jahr später seinen Siegeszug an und gehört jetzt zu den beliebtesten und meistgespielten Werken dieses Genres. Bei einem neuen, unbekannten Werk hängt oft sehr viel von der Ausführung ab, und so ist die einstige Ablehnung manches jetzt beliebten Werkes nachvollziehbar.
Für Augustin Hadelich, den deutsch-amerikanischen, in Italien geborenen und aufgewachsenen, Geiger, der durchs Feuer ging – er wurde als Kind bei einem Brand des elterlichen Wohnhauses schwer verletzt – gab es keine Probleme, weder spieltechnisch noch gestalterisch. Der derzeitige Artist in residence der Dresdner Philharmonie meisterte die Klippen souverän und virtuos mit phänomenaler Technik und bei aller Schwierigkeit mit geschmeidiger und doch so perfekter Tongebung auf seiner Guarneri Leduc (Leuc ex Szeryng) von 1744, getragen vom dazu passenden Orchesterklang.
Für 35 Minuten öffnete sich eine Welt voller genial verbundener Gegensätze. Nach zarten Klängen der Solovioline mit sanfter Orchestereinleitung am Beginn des ersten Satzes, die sich zu hymnenartigem Potential aufschwangen, Poesie und Sehnsucht in unterschiedlichen Facetten und Stimmungen, orchestraler Dramatik, tiefer Traurigkeit und geheimnisvoller Melancholie, die an die lyrischen Momente in „Eugen Onegin“ denken ließ, zwei sehr virtuosen Kadenzen entfaltete Hadelich im tänzerischen Finale ein Feuerwerk an Virtuosität Doppelgriffen, Flageoletts und extremem Lagenwechsel in rhythmischen Härten, das den Solisten an die Grenzen seiner technischen und physischen Fähigkeiten bringt. Bei ihm erschien das alles mühelos, er widmete sich den kraftvollen folkloristischen Elementen und zeigte in den sensiblen Passagen sanftes Feingefühl.
Das Publikum, das sich schon nach dem zweiten Satz nicht mit Applaus zurückhalten konnte, honorierte alles mit viel Beifall, wofür es eine außergewöhnliche Zugabe genießen konnte: das 1938 von Ervin T. Rouse geschriebene „Orange Blossom Special“, in der Hadelich in einer speziellen Bearbeitung für Violine solo, virtuos bis in die höchsten Töne und mit wunderbar geschmeidiger Tongebung den legendären Zug, der bis 1953 zwischen New York und Miami verkehrte, in motorischen Rhythmen klangvoll über die Geigensaiten „dampfen“ ließ.
Danach brauchte es tatsächlich die Pause, um bei der „Nussknacker-Suite, der Ouverture miniature (Kleine Ouvertüre) mit acht Nummern aus dem 1892, kurz vor Tschaikowskis Tod, entstandenen Handlungsballetts (op. 71a), wieder auf den Boden der Realität zurück zu finden und sich in eine bunte Märchenwelt entführen zu lassen. Anna Rakitina hatte für das Konzert selbst die Auszüge sinnvoll zusammengestellt und ließ vor allem die Musik in ihrer unerschütterlichen Schönheit mit einer „Träne im Zuckertopf“ wirken und die charakteristischen, nationalen Besonderheiten der einzelnen Tänze zur Geltung kommen.
Beim berühmten „Dance de la Fée Dragée“ („Tanz der Zuckerfee“) zauberte die Celesta mit ihrem glockenartigen Klang eine zarte, überirdische Atmosphäre und ließ Leichtigkeit und filigrane Eleganz verschmelzen. Im „Dance arabe“ („Arabischer Tanz“) wurde mit dunklen Klangfarben im sanft wiegenden Rhythmus eine geheimnisvolle Stimmung erzeugt. Der „Dance des mirlitons“ („Tanz der Rohrflöten“) brachte im schwebenden Dreivierteltakt mit tänzelnden Flötenmelodien einen Hauch von Anmut und Naturverbundenheit, und Im „Valse des feurs“ („Blumenwalzer“) entfaltete sich in einer majestätischen Steigerung die klangliche Schönheit des Orchesters mit üppigen Klangfarben und brillierenden Holzbläsern.
Es war ein wahrhaft festliches Konzert, das mit seinem Programm beliebter Kompositionen in anspruchsvoller Ausführung allen Besuchern gerecht wurde.
Ingrid Gerk