REISE UND KULTUR : WELTKULTURERBE-STADT REGENSBURG
Durch Regensburg fährt man eigentlich immer durch. Maximal steigt man um, auf dem Weg nach Bayreuth, Berlin oder Hamburg. Was eigentlich schade ist: denn Regensburg ist einer der wenigen nichtzerbombten Städte Deutschlands und noch dazu wegen seines nach dem Krieg auf wundersame Weise geretteten und komplett renovierten mittelalterlichen Kerns seit 2006 auch Weltkulturerbe.
Der Dom. Copyright: Stadt Regensburg
Das bekannteste Wahrzeichen ist natürlich der Dom. Dabei ist interessant, dass an ihm zwar seit 1275 gebaut worden war, ihm die Spitztürme aber erst als „Geschenk“ König Ludwig I. 1860 aufgesetzt“ worden sind. Wobei es dazu wieder spannend ist, zu erfahren, dass Kunsthistoriker mittlerweile davon ausgehen, dass das vom baufreudigen und grosszügigen König zwar gut gemeint, aber doch ein Blödsinn war. Denn das Vorbild, dem man hier in der internationalen und reichen Handelsstadt Regensburg nacheiferte, war die klassische französische Gotik. Und wenn man genau hinsieht, kann man (durch die verschiedenen Steintöne) ganz leicht erkennen, dass der Dom ohne die Ludwigschen Aufsätze ganz genauso ausschaut wie Notre-Dame. Bürgerinitiativen, die zum Rückbau aufrufen, haben sich aber bis jetzt noch nicht gebildet…
Berühmt sind auch die (jahrzehntelang vom Bruder von Papst Benedikt XVI., Georg Ratzinger, geleiteten) Regensburger Domspatzen (die nächstes Jahr ihr 1050 jähriges ! Jubiläum feiern). Wenn man Glück hat, kann man sie am Sonntag beim 10 Uhr Gottesdienst singen hören.
Nach dem Dom-Besuch empfiehlt sich ein ausgedehnter Spaziergang durch die beliebte Altstadt mit ihren engen Gassen, ihren schön renovierten Häusern, ihren vielen kleinen Geschäften und Cafés und Restaurants. Und wenn man sehr an der Regensburger Geschichte interessiert ist, kann man sich auch die sogenannten „documente“ anschauen, wie z.B. die Reste des jüdischen Viertels unter dem Neupfarrplatz, das Sterbehaus Johannes Keplers oder den Sitz des Immerwährenden Reichstags im Alten Rathaus.
Die Steinerne Brücke. Foto: Stadt Regensburg
Anschließend schlendert man gemütlich – an der Porta Praetoria (Regensburg war ja als Castra Regina eine römische Gründung) vorbei – zum Donauufer hinunter. Der Anblick der 1106 erbauten Steinernen Brücke, die den hier schon sehr mächtigen Fluss überspannt und in den Stadtteil Stadtamhof (auch Weltkulturerbe) führt, ist schon sehr beeindruckend.
Die historische Wurstkuchl. Copyright: Stadt Regensburg
Jetzt hat man sich eine kurze Pause und eine Stärkung verdient. Da trifft es sich gut, dass sich direkt an der Steinernen Brücke die zwar nicht 1000, aber immerhin schon 500 Jahre alte Wurstkuchl befindet. Hier ein Bratwurstkipferl mit Sauerkraut und süssem Senf zu essen,ist ein Muss (wobei das Kipferl kein Kipferl in unserem Sinn ist, sondern auf gut Österreichisch ein Kümmelweckerl).Aber sagen Sie ja nicht Nürnberger zu den Bratwürsten, sonst werden Sie wegen Wurstmajestätsbeleidigung von den wütenden Kellnern umgehend in der Donau ertränkt. Regensburger dürfen Sie zu den Würsten auch nicht sagen, denn Regensburger heißen hier – um die Verwirrung vollständig zu machen – die Knacker…
Dermaßen gestärkt, kann man sich an einen Besuch des naheliegenden Museums für Bayerische Geschichte wagen (der mindestens drei Stunden in Anspruch nehmen sollte).
Das Museum der Bayerischen Geschichte. Copyright: Stadt Regensburg
Das Museum besteht erst seit 2015. Der Freistaat Bayern hatte eine Auschreibung zur Errichtung dieser neuen Institution gemacht. Beworben haben sich zahlreiche Städte und Gemeinden wie z.B. Kulmbach, Bad Kissingen, Scheyern, Bogen, Eggenfelden, Kelheim, Viechtach, Babenhausen, Bad Grönenbach und Buxheim ( wovon der Nicht-Bayer – und möglicherweise auch der Bayer – die meisten gar nicht kennt.
Gewonnen hat dann Regensburg, Das Museum war sofort ein Publikumsmagnet, wurde aber auch gleich kritisiert. Sowohl der Bau am Donauufer selbst (unter dem edlen Vorwand, „bescheiden“ sein zu wollen, ist er doch bloß eine unambitionierte und noch dazu eher hässliche graue Schuhschachtel), als auch die das ganze riesige Obergeschoss einnehmende Daueraustellung (völlig chaotisch, man kann sich einfach nicht orientieren. Aufgrund der Kritik hat man dann Linien und Punkte auf den Boden gezeichnet , was das Ganze nur noch verwirrender macht). Das stimmt alles. Es stimmt auch, dass das Museum allzu didaktisch, „interaktiv“ und „partezipativ“ ist, was zwar extrem nervt, bei den angepeilten Zielgruppen (Touristenbusse, Schulklassen etc.) aber offenbar extrem gut ankommt. Dennoch und trotzdem ist ein Besuch hier jedoch lohnenswert, denn man erfährt – gerade als zugereister Nicht-Bayer – unendlich viel über die bayrische Geschichte von der Gründung des Königreichs bis in die Gegenwart.
Das Museum sperrt um 18h. Danach ist man – ich sag’s gleich – soo erschöpft, dass man nach einer Auszeit im Hotel unbedingt ein ordentliches Abendessen benötigt: um im Thema zu bleiben, am besten in einer Original Bayrischen Gastwirtschaft, Das „Gravenreuther“ ist ein Idealbeispiel dafür. Es ist nicht so riesig wie die diversen Dependancen Münchener Brauereien oder andere lokale Braugasthäuser, sondern es ist durchaus überschaubar und daher voll heimelig. Ausserdem ist es ein wenig versteckt und nur durch einen Torbogen und einen Innenhof betretbar, worauf man an einer Tür verschwörerisch zu läuten hat, und froh sein kann, wenn einem aufgemacht wird.
Die Küche bietet einerseits alle typisch bayerischen klassischen Spezialitäten, aber auch neo-bayrische „Tapas“ wie mit Leberwurst gefüllte Wan-Tan oder gebackenene Weistwurstscheiben etc.Allerköstlichst.
Bayrische Tapas. Foto: Gravenreuther
Am wunderbarsten an dem Lokal ist aber, dass es – auch aufgrund der diversen „Feuermauern“ –
wirklich in erster Linie von Einheimischen besucht wird: unter anderem von Männergruppen, die am Neben-Stammtisch, hauptsächlich Bier konsumierend, seelenruhig stundenlang Schafskopf spielen. Grossartig. So was gibts bei uns noch maximal in südburgenländischen Dorfwirtshäusern.
Abendunterhaltung gefällig ? Das entzückende Stadttheater Regensburg bietet in seinem Haupthaus (aber auch an seinen „Nebenspielstätten“) unter seinem neuen Intendanten Sebastian
Ritschel ein erstaunlich abwechslungsreiches und qualitativ hochstehendes Programm (das man ganz ehrlich in einer Stadt wie Regensburg gar nicht erwarten würde).Jüngster triumphaler Erfolg: die wiederentdeckte Operette „Der Prinz von Schiras“ von Joseph Beer (auf ein Libretto von Fritz Löhner-Benda und Ludwig Herzer).
Café-Restaurant L’Orphée. Foto: L’Orphée
Zum Abschluss noch ein Geheimtipp (der muss aber wirklich unter uns bleiben,sonst kriegt man dort gar keinen Platz mehr): das Café-Restaurant L‘Orphée. Es ist schwer zu beschreiben, weil eigentlich einzigartig. 1977 von vier Freunden in alten Gemäuern aus dem Jahre 1896 gegründet, frankophilerweise eigentlich als normales Bistro. Mittlerweile ist es aber viel mehr als das, bzw. es ist viel bistrothafter als alles was man jetzt noch in Paris finden kann. Ein freundlicher Service, eine exzellente Bistroküche mit allen einschlägigen Klassikern ( Soupe à l’oignon, Coq au Vin, Boudin noir, Escargots, Bouillabaisse etc.etc)…aber in der Qualität von anno dazumal.
Und das Ganze in allergemütlichstem Rahmen, sozusagen in Caféhaus-Atmosphäre, ohne jeden Anflug von französisch-hochnäsigem Gastrofaschismus. Zudem ist das ganze Lokal mit Zeichnungen, Plakaten, Gemälden, Reproduktionen von Kunstwerken etc. vollgehängt, die alle von den Besitzern eigenhändig gesucht und gefunden und ausgewählt wurden. Ein eigenes Buch gibt sogar Auskunft über die Entstehungsgeschichte dieser Exponate.
Das Orphée, eine Institution in Wohnzimmerform. Eigentlich könnte man den ganzen Tag hierbleiben – vom Frühstück (es gibt sogar Zeitungen) übers Mittagessen (es wird ein Mittagsmenü angeboten) bis zum Abendessen. Ganz genaugenommen könnte man sogar schlafen hier, denn seit einiger Zeit gehört zum L‘Orphée auch ein Hotel.
Also will man gar nicht mehr weg von hier…Aber man kann ja auch wiederkommen…
Robert Quitta, Regensburg