Reichstädt/Schloss: „MUSIK AN DEN HÖFEN DES MEISSNISCHEN LANDADELS“ – KLAVIERRECITAL MIT PETER RÖSEL– 7.7.2024
Die Konzertreihe „Musik an den Höfen des Meißnischen Landadels“ bietet schon seit vielen Jahren in der Sommerzeit erlesene Kammermusik mit renommierten Künstlerinnen und Künstlern in sächsischen Schlössern und Rittergütern, die tief in Landschaft und Geschichte rund um Dresden und die geschichtsträchtige Stadt Meißen verwurzelt sind – eine ideale Verbindung von Musik, Architektur und Natur.
Das zweite Konzert der diesjährigen Saison versprach in dem, etwa 20 km südlich von Dresden in der lieblichen Landschaft des Vorerzgebirges gelegenen, Schloss Reichstädt einen besonderen Klavier-Nachmittag mit dem international bekannten und sehr gefragten Pianisten Peter Rösel, der in über vierzig Ländern gastiert und sich in seiner Heimat größter Beliebtheit erfreut.
Wie viele Schlösser in der Region hat auch dieses Schloss eine bewegte Geschichte. Seine Ursprünge reichen bis ins 13. Jahrhundert zurück. Es wurde immer wieder um- und ausgebaut als Wasserschloss, dann im Stil von Renaissance und Barock, Jagdschloss für den sächsischen Kurfürsten, im Dreißigjährigen Krieg zerstört und später wieder aufgebaut, ab 1945 fremd genutzt, leerstehend und beschädigt. Neben anderen Persönlichkeiten wohnte auch der russische Zar Alexander I. hier (1823 während der Befreiungskriege). Während des Zweiten Weltkrieges diente das Schloss als Auslagerungsort für Dresdner Kunstschätze. Jetzt ist es – zu etwa 60 % renoviert – wieder ein ansehnliches Schloss mit ländlich geprägtem Landschaftspark.
Das Konzert fand im Gartensaal des Schlosses mit Blick in den Landschaftspark statt. Der Name Peter Rösel zieht die Konzertbesucher magisch an, die dann auch sehr zahlreich erschienen waren (das Konzert war schon lange im Vorfeld ausverkauft). Rösel setzt seine großartigen pianistischen Fähigkeiten ganz im Dienst des Werkes ein, das er gerade spielt, und lässt den Komponisten „sprechen“, ohne die eigene künstlerische Persönlichkeit zu verleugnen. Starallüren kennt er nicht. Mit 79 Jahren „und noch kein bisschen leise“, konzertiert er auch nach seiner weltweiten Karriere in gewohnt hoher Qualität, mit enormer Konzentration (er spielt generell ohne Noten) und begeisternder Interpretation. Sein umfangreiches Repertoire reicht von der Klassik bis zur Moderne.
Für sein Klavier-Recital hatte er, dem Charakter des Ambientes entsprechend, anspruchsvolle Werke aus Klassik und Romantik gewählt und begann mit der „Sonate Es‑Dur“ (Hob. XVI, 5) von Joseph Haydn, der er sich mit klangvollem Anschlag, Feingefühl und musikalischem Empfinden widmete. Bei seinem fein differenzierten Spiel wurden die musikalischen Linien und Strukturen der Sonate und Haydns geniale Kompositionsweise hörbar. In schönster Weise erschloss sich dabei auch die Schönheit der Musik, die der Mozarts ebenbürtig ist, oft aber wegen ihrer scheinbaren Einfachheit als selbstverständlich hingenommen wird. Haydn wurde lange Zeit missverstanden, was scheinbar immer noch nachwirkt. „Er ist wie ein gewohnter Hausfreund, der immer gerne empfangen wird; tieferes Interesse hat er für die Jetztzeit nicht mehr“, urteilte Robert Schumann im Jahr 1841, aber viele Kenner, ausübende Musiker und Dirigenten wissen die versteckte Qualität seiner Musik zu schätzen.
Wolfgang Amadeus Mozart gewinnt alle Musikfreunde mit dem ersten Takt, wie seine, von Rösel frisch und quicklebendig, mit Enthusiasmus und perlendem Anschlag fein nuanciert gespielte „Sonate B‑Dur“ (KV 333) bestätigte. Die Besonderheit von Rösels Klavierspiel besteht in einer gekonnten, tief gefühlten und aus seinem musikalischen Verständnis heraus entstehenden Balance zwischen Ruhe und Energie, Klarheit und Klangschönheit und, dem Werk entsprechendem, Temperament. Es ist „Balsam für die Seele“, denn es entsteht aus seinem inneren Musikempfinden, ohne Pathos, ohne äußerliche Effekte. Er stellt sich ganz in den Dienst der Schöpfungen eines Komponisten, spürt dessen Intentionen nach und schafft eine wohltuende Atmosphäre.
Man kann sich, Zeit und Umwelt vergessend und in Musik schwelgend, in eine andere Welt versenken, wie bei den beliebten „Kinderszenen“ (op. 115) von Robert Schumann, deren bekanntestes Stück, die „Träumerei“ jeder im Geheimen „mitsummen“ konnte. Hier widmete sich Rösel liebevoll dem poetischen Inhalt jeder einzelnen der 13 kurzen Szenen, die mit ihrem jeweils unterschiedlichen Charakter sehr viel aussagen. Schumann betrachtete die Musik als eine Art höhere Sprache, mit der poetische Inhalte ausgedrückt werden können, was mit Worten nicht gesagt werden kann, und so ließ Rösel die Musik „sprechen“. Im Unterschied zu dem „Album für die Jugend“ sind die Stücke nicht für Kinder, selbst am Klavier zu spielen, gedacht, dafür sind sie zu anspruchsvoll. Nach Schumanns eigenen Worten sind sie als „Rückspiegelung eines Älteren für Ältere“ zu verstehen. In den knapp 20 Minuten Spieldauer tat sich unter Rösels Händen bei jeder Szene eine neue kleine, wohlbehütete Welt der Kinder auf.
Den Höhepunkt des Konzert-Nachmittags bildete die „Sonate D‑Dur (op. 28) von Ludwig van Beethoven, die „Pastorale“ (wie die Sinfonie) wegen der volkstümlichen, ländlichen Klänge, bei der Rösel mit all seinen pianistischen Fähigkeiten und seinem Musikverständnis die aufmerksam Lauschenden mit hinein nahm in die Gedanken- und Gefühlswelt des Komponisten.
„Lebhaft und mit, innigster Empfindung“, wie es Beethoven mit seiner Satzbezeichnung vorgibt, ließ Rösel die lyrischen Passagen im ersten Satz mit der hellen, freundlichen Klanglandschaft gefühlvoll ausschwingen und wies im Kontrast dazu mit den starken Fortissimo-Akkorden bereits auf den zweiten Satz „Lebhaft. Marschmäßig“ mit den wilden Figuren, einem düster klagendem Gesang und immer wieder piano abbrechendem Marsch hin, brachte den dritten Satz „Langsam und sehnsuchtsvoll“, bei dem man Anklänge an Bach und Händel zu vernehmen meint, brillant zum Klingen und bewältigte mühelos und wie selbstverständlich den vierten Satz mit seinem „Fugato“, das zu den anspruchsvollsten Passagen in Beethovens Klavierkunst gehört und den besonderen Schwierigkeiten („piano, ma espressivo“ im tiefsten Bass, Quartläufe in einer Hand und Triller und Melodie in einer Hand) bis zur langen pianissimo-Coda mit tiefen Trillern und den furiosen A-Dur-Akkorden am Schluss.
Rösel verstand es auch, sich hinsichtlich Lautstärke gut auf den Raum einzustellen, was gegenwärtig schon als Besonderheit anzusehen ist, da viele junge Pianisten diesbezüglich nicht mehr variabel sind. Für den begeisterten Applaus bedankte er sich mit einem Satz aus einer weiteren Sonate Beethovens. Es war ein Konzert-Erlebnis, das Lust auf mehr macht.
Ingrid Gerk