REICHENAU/ Festspiele: GOTT DES GEMETZELS von Yasmina Reza
Bericht über die Premiere am 5. Juli 2025
Aufführungsdauer: 90 Minuten, keine Pause 22 Aufführungen einschließlich 3. August 2025 Alle Infos auf www.festspiele.reichenau.at.
Das Gemetzel hat gerade begonnen: Annette Reille / Lilith Häßle – Alain Reille / Tim Werths – Michel Houillé / Jürgen Maurer – Véronique Houillé / Maria Köstlinger © Lalo Jodlbauer
Das Gemetzel ist in vollem Gang: Im Vordergrund: Annette Reille / Lilith Häßle – Michel Houillé / Jürgen Maurer Dahinter: Véronique Houillé / Maria Köstlinger herumgewirbelt von Alain Reille / Tim Werths © Lalo Jodlbauer
Die Ausgangssituation
Das Ehepaar Houillé erwartet das Ehepaar Reille, um den Streit ihrer 11-jährigen Söhne zu besprechen, einen Sachverhalt abzugleichen und den Konflikt beizulegen. Ferdinand Reille hat Bruno Houillé in der Schule mit einem Stock ins Gesicht geschlagen, zwei Schneidezähne beschädigt und einen Nerv teilweise freigelegt. Véronique Houillé ist Schriftstellerin, ihr Mann Michel betreibt einen Eisenwarengroßhandel. Annette Reille ist Vermögensberaterin, ihr Mann ist Anwalt, und sein wichtigster Klient ist ein Pharmakonzern.
Die Entwicklung des Geschehens
Zu Beginn wirken die vier Protagonisten freundlich bemüht, doch diese Fassade trügt. Schnell entwickeln sich Aggressionen, und die Konflikte zwischen den Eheleuten und den Ehepaaren eskalieren zunehmend.
Wie sich dieses emotionale Gemetzel entwickelt und steigert, bleibt dank der großartigen Schauspieler:innen Lilith Häßle als Annette Reille, Tim Werths als Alain Reille, Maria Köstlinger als Véronique Houillé und Jürgen Maurer als Michel Houillé stets spannend. Das Stück ist oft unterhaltsam, manchmal sogar lustig, aber auch abstoßend und vielfach weit unter der Gürtellinie.
Haben wir das so oder ähnlich nicht schon einmal gesehen? Seit der Uraufführung von Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ im Jahr 1962 kennt das Publikum öffentlich ausgetragene Kämpfe und Demütigungen zweier Ehepaare, oft begleitet von Alkohol. Auch bei Yasmina Reza fallen die Wohlstandsmasken bald. Nervige Telefonate, die Geschichte vom ausgesetzten oder getöteten Hamster, die Vertuschung eines Pharmaskandals, das mehrfache Erbrechen von Annette Reille, gemeinsamer Alkoholkonsum und vieles mehr gestaltet Regisseur Philipp Haus zu einem furiosen Theatererlebnis.
Aus einer scheinbar zivilisierten Situation entwickelt sich eine zunehmend enthemmte, zerstörerische Dynamik mit querlaufender sexueller Anziehung. Emotionen, Machtspiele, versteckte und offene Aggressionen eskalieren immer weiter. Soziale und familiäre Fassaden zerbröckeln. Fast alle Gegenstände auf der Bühne werden zu Waffen, ebenso wie die Worte.
Resümee
Die schauspielerischen Leistungen der vier Darstellerinnen bw. Darsteller, die Regie, das Bühnenbild und die Kostüme sind durchwegs exzellent: Riesenapplaus, Bravos, Blumen
Yasmina Rezas meistgespieltes Erfolgsstück „Der Gott des Gemetzels“, uraufgeführt 2006, ist ein Meisterwerk. In 90 Minuten zeigt es die Abgründe menschlicher Beziehungen. Die Frage ist: Will man/frau diese dunklen Seiten überhaupt so genau sehen und wissen?
Elisabeth Dietrich-Schulz