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REICHENAU/ Festspiele: EINE BLASSBLAUE FRAUENSCHRIFT

04.07.2019 | Theater

Festspiele Reichenau: EINE BLASSBLAUE FRAUENSCHRIFT

Premiere: 1. Juli 2019 – Besuchte Vorstellung: 4. Juli 2019

(Heinrich Schramm-Schiessl)

Wenn man das Programmheft aufschlägt und zufällig in die Mitte gerät, wird man gleich wehmütig. Man sieht ein Bild mit dem erst vor wenigen Tagen verstorbenen Peter Matic, der in dieser Produktion hätte mitwirken sollen. Da wird einem wieder einmal bewusst, wie vergänglich alles ist.

Ich frage mich schon seit geraumer Zeit, warum Theaterdirektoren oder Intendanten immer wieder Romane oder Erzählungen für die Bühne dramatisieren lassen, als ob es nicht genug Theaterstücke gäbe. Nun ist mir schon klar, dass man in Reichenau nicht alles bringen kann, aber wenn man sich im Foyer die Plakate ansieht, so muss man feststellen, dass man hier in den letzten drei Jahrzehnten durchaus großzügig gedacht hat. Man kann einfach in einer relativ knappen Zeit – bei dieser Produktion nicht einmal zwei Stunden inklusive Pause – nicht all das auf die Bühne bringen, was sich der Leser eines Romans vorstellen kann umd wo durch Rückblenden Ereignisse geschildert werden, die zum Verständnis der Handlung nötig sind.

Bei gegenständlichem Stück handelt es sich um die Dramatisierung eines Romanes, den Franz Werfel in der Emigration geschrieben hat und der sich mit dem Österreich am Vorabend der Machtergreifung der Nationalsozialisten und dem damals latenten Antisemitismus beschäftigt. In der zentralen Person des Sektionschefs im Unterrichtsministeriums, Leonidas Tachezy, sieht Werfel den typischen Opportunisten der damaligen Zeit. Leonidas stammt aus ärmlichen Verhältnissen und schaffte es durch die Heirat mit einer Millionenerbin zu beruflichem und gesellschaftlichem Aufstieg. Just an seinem 50. Geburtstag erhält er einen in blassblauer Frauenschrift geschriebenen Brief und hier setzt die Handlung des Stückes ein.

Die Briefschreiberin ist die Jüdin Vera Wormser, mit der er vor 18 Jahren, kurz nach seiner Heirat, eine leidenschaftliche Affäre hatte. Diese ist gerade in Wien und steht vor ihrer Auswanderung nach Montevideo. Bevor sie abreist, bittet sie Leonidas, sich für „einen begabten  17 Jahre alten jungen  Mann“, der „aus den bekannten Gründen“ in Deutschland nicht mehr zur Schule gehen und die Matura ablegen kann, zu verwenden. Leonidas vermutet sofort, dass es sich dabei nur um seinen Sohn handeln kann. Plötzlich wird er mutig und setzt sich, obwohl dies seine Stellung gefährden könnte, gegen den Zeitgeist für die Ernennung eines jüdischen Universtätsprofessors ein. Später trifft er Vera in deren Hotel und muss feststellen, dass es sich bei dem jungen Mann nicht um seinen und Veras Sohn, sondern um den Sohn einer verstorbenen Freundin Veras handelt. Von diesem Umstand erleichtert, wird er wieder der Opportunist, der er immer war. Vera verät ihm jedoch, dass sie sehr wohl einen Sohn hatten, der aber mit zwei Jahren verstorben ist. Den Brief, in dem ihm Vera dies mitteilte, hat er seinerzeit ungeöffnet zerrissen. Am Ende erkennt Leonidas, dass er hier ein einmaliges Angebot zu seiner Rettung nicht erkannt hat.

Eine dramatisierte Fassung dieses Romans, damals von Hermann Beil, stand bereits 2002 auf dem Spielplan der Festspiele. Nun zeichnet Nicolaus Hagg, der schon mehrere Romane für Reichenau dramatisiert hat, dafür verantwortlich. Er verknappte den Text soweit es ging und „bereicherte“ ihn durch manche schon etwas abgestandene Pointen. Um das zum Verständnis notwendige Vergangenheitswissen dem Zuschauer zu vermitteln, lässt er Leonidas mehrfach quasi aus der Handlung treten und erzählen, was da passiert ist. Glücklich wird man mit dieser Fassung nicht wirklich. Es wirkt alles eher bemüht ohne zu berühren, geschweige denn mitzureissen. 

Die Regie lag in Händen von Julius Pölsler und dieser erzählte in einem Interview, dass er bei der seinerzeitigen Verfilmung durch Axel Corti einer des Assistenten gewesen sei. Er beschränkte sich allerdings darauf, für einen reibungslosen Ablauf auf der Bühne zu sorgen. Das praktikable Bühnenbild war wie immer von Peter Loidolt und die passenden Kostüne von Erika Navas.

Joseph Lorenz in der zentralen Rolle des Leonidas beweist zwar wieder einmal, dass er einer der wenigen Schauspieler ist, der heute solche Rollen verkörpern kann. Man wird aber das Gefühl nicht los, dass sich dabei mittlerweile eine gewisse Routine eingeschlichen hat. Er hat natürlich eine grosse Bühnenpräsenz, aber viele Bewegungen und auch sprachliche Gestaltungen sind vorhersehbar. Fanny Stavjanik als seine Gattin Amelie ist zwar als die kapriziöse, von dem was sich um sie herum in der Welt tut, jedoch unbelastete Frau durchaus präsent, aber etwas schärfere Konturen hätten der Rolle nicht geschadet. Stefanie Dvorak als Vera bleibt etwas zu sehr „graue Maus“ und zeigt auch, als sie beim Abschied Leonidas wider ihrer ursprünglichen Absicht vom gemeinsamen Kind erzählt, praktisch keinerlei Emotion. Peter Moucka als Hofrat Skutecky zeigt eine recht gute Studie eines nicht gerade überarbeiteten Beamten mit antisemitischem Einschlag und Alexander Rossi wirkt etwas zu harmlos fröhlich als Amelies Bruder Paul. Thomas Kamper hat die sicher nicht angenehme Aufgabe als Minister Spittelberger Peter Matic zu ersetzen. Er tat dies so gut er konnte, aber man stellte sich immer wieder vor, was Matic aus dieser nicht sehr großen Rolle gemacht hätte.

Abschließend muss ich feststellen, dass es eine bemühte Aufführung war, die mir aber eher nicht wirklich in Erinnerung bleiben wird.

Heinrich Schramm-Schiessl

 

 

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