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REGENSBURG: UNA COSA RARA von Vicente Martín y Soler

01.11.2018 | Oper

Bildergebnis für Theater Regensburg una cosa rara
Foto: Youtube

REGENSBURG: UNA COSA RARA von Vicente Martín y Soler
30.10. 2018 (Werner Häußner)

Wie konnten die Wiener Anno 1786 der Oper „Una cosa rara“ den Vorzug von Mozarts „Le Nozze di Figaro“ geben und Vicente Martín y Soler zu einem Welterfolg verhelfen? Zumindest eine These drängt sich auf, wenn man die Aufführung am Theater Regensburg auf sich wirken lässt: Dem kosmopolitischen Komponisten spanischer Herkunft war es gelungen, für ein gesellschaftlich ähnlich brisantes Libretto von Lorenzo da Ponte eine Musik zu schreiben, die dem aufklärerischen Anspruch fassbarer Einfachheit ebenso Genüge tat wie dem Wunsch des Publikums nach gewitzter, nicht zu schwer verdaulicher Musik.

Keine subtil konstruierten Finali also, sondern klare, leicht durchschaubare Formen, aber dafür eine Melodik, die sofort ins Ohr springt und sich dort für Tage festsetzt. Keine komplexe Orchestersprache, aber dafür – wie da Ponte selbst schwärmte – weiche Kantilene, edle Phrasierung, wahrer Ausdruck. Eine Musik „voller Erfindung, Feuer, Anmut“. Mozart selbst versagte dem Konkurrenten seine Anerkennung nicht: „Bravi, cosa rara“, ruft Leporello, als das Hauptmotiv des ersten Finales in der Tafelmusik zu Don Giovannis Souper erklingt – für lange Zeit die einzige Chance, einen Fetzen der Musik Vicente Martín y Solers zu hören, denn das Werk war trotz seines immensen Erfolgs schnell und nachhaltig vergessen.

Vor 15 Jahren zeigte Jossi Wieler an der Staatsoper Stuttgart, wie sich das Stück ganz nach heute anfühlt, angesiedelt in einer unwirtlichen italienischen Vorstadt und interpretiert als Konflikt, in dem sich gewitzte Frauen gegen dir mangelnde Affektkontrolle ihrer Machos behaupten und die Opferrolle vermeiden. In Regensburg hat Regisseur Andreas Baesler nun nichts mit Aktualisierung am Hut, sondern eher mit einer malerisch-metaphorischen Lösung. Der Grund dafür ist sicherlich, dass mit Markus Lüpertz ein Malerfürst der Gegenwart die Entwürfe für die Bühne lieferte, die Ruth Groß ins Riesenbild umsetzte.

Lüpertz, der umstrittene Großmeister monumental gesteigerter expressionistischer Malerei und Skulptur, der virtuose Bildner manchmal hintergründiger, manchmal trivialer Motive, das sich selbst stilisierende Genie, der „Liberace der heftigen Malerei“: In Regensburg zitiert er sich selbst in den kraftvollen Menschengestalten auf riesigen Tafeln, die zunächst die Bühne verdecken. Er entführt in die Theaterwelt des 18. Jahrhunderts, wenn er das alte Rampenlicht nachgestaltet. Er begrenzt die Spielfläche nach hinten mit einem Horizont von massiv gemalten, ins Schwarz driftenden Bäumen. Die Natur, die Martín y Soler und da Ponte thematisieren – denn „Una cosa rara“ nutzt als Folie die Schäferspiele de 18. Jahrhundert und deren Arkadien-Illusionen – ist gebrochen und unheimlich.

Die Bühne könnte an eines der Kabinette erinnern, die sich kunstliebende Potentaten dieser Zeit ausstatten ließen, vollendete Kammern der Illusion, des Traums, der Fantasie. Ein Spiel-Raum also, zugänglich durch eine Flügeltür, wie sie in Palästen zu finden ist, bevölkert von Tieren und Menschen, denen die Adligen aus einer Galerie, getarnt zwischen den Baumkronen, zusehen. Riesige gemalte Eber werden wie Karusselltiere auf der Drehbühne hereingefahren, als Königin Isabella mit ihrem prinzlichen Sohn Giovanni zu Beginn eine Jagd veranstaltet – das bevorzugte Vergnügen im Freien.

Die Bauern im zweiten Akt sehen aus wie gemalte Schießbudenfiguren; ein windschiefes Häuschen könnte aus einer Kinderzeichnung stammen. Eine Welt, in der auch die Menschen aus Fleisch und Blut zu den Objekten der Natur-Inszenierung gehören: Die tugendsame Lilla und die etwas frechere Ghita – man denkt sofort an Fiordiligi und Dorabella – stecken Lüpertz und Groß in grell bemalte Röcke und Mieder, wie sie die idealisierte Landbevölkerung eines vorgestellten Arkadien zu tragen haben. Bei den beiden jungen Männern, radikalisierten Masettos voll Eifersucht, Triebgier und aggressiven Affekten, sind die Ruralbewohner-Zitate etwas verhaltener; ihre Kostüme wirken, als seien sie bei einem Atelierbesuch bei Lüpertz kindisch-impulsiv mit Farbe beschmiert worden. Die Konstellation des niederen Personals wird komplettiert durch einen Podestá, gekennzeichnet durch einen Dreispitz und einen etwas würdevolleren Rock.

Vor allem die sanftmütige Lilla, die Lorenzo da Ponte nur mit verhaltenen charakterlichen Grautönen versehen hat, steht im Kreuzfeuer: Sie soll auf Wunsch ihres Bruders Tita mit dem Bürgermeister verheiratet werden, liebt aber Lubino, ein hemmungslos eifersüchtiges Miststück. Bedrängt wird sie gleichzeitig vom Sohn der Königin: Der Infant, unter seiner Perücke und mit rotbemalten Bäckchen ganz und gar ein Stutzer vom Hofe, sieht kein Problem darin, wenn Lilla als verheiratete Frau zwei Männer liebt, und versucht erst durch Komplimente, dann durch Geschenke an sein amouröses Ziel zu gelangen.

Da Ponte lässt seine Figuren aber nicht in den üblichen Buffa-Schemata hängen. Dem Prinzen ist es ernst, die „seltene Schönheit“ gilt ihm mehr als ein Thron. Und in seiner großen Arie im zweiten Akt, in der er mit der finsteren Macht des „amor tiranno“ ringt, lässt ihn Baesler als Maler mit entblößtem Oberkörper agieren: eine Person, die tief in sich selbst vordringt mit dem Mittel der Kunst, vielleicht auch ein Anspielung auf Markus Lüpertz selbst. In solchen Momenten verliert die Musik ihre unbeschwerten Heiterkeit und wächst zu empfindsamem Ernst heran: Der Abstand zu Mozart verringert sich, man wird erinnert, dass es neben ihm eben nicht nur „Kleinmeister“ gegeben hat. Komponisten wie Antonio Salieri oder eben auch Vicente Martín y Soler waren nicht umsonst berühmt.

Auch die Königin trägt zunächst pompöse, á la Lüpertz bemalte Hofmode mit ausladendem Kleid und spanischer Halskrause. Aber auf der kunstvollen Frisur thront ein schräges Hütchen, das aus dem Kabarett der zwanziger Jahre kommen könnte. In ihrer Soloszene im zweiten Akt legt sie die große Robe ab bis aufs Hemd: „Libertá“ ist das Stichwort, unter dem sich drückende Realität und ersehnte Freiheit verknüpfen: Die höchste Standesperson des Stücks preist Glück, Ruhe und Frieden ihrer inszenierten Landidylle, Tugend und Redlichkeit ihrer Bewohner , und wünscht sich selbst um den Preis von Thron und Gütern, ein Teil dieser idyllisch-empfindsamen Fantasiewelt zu werden. In ihrer Koloraturkadenz für einen Moment ganz bei sich, findet sie den Absprung aus dem künstlichen Paradies, bevor es ernst wird. Während die Schäferwelt zu ihrer Ordnung zurückfindet, hängen die Standespersonen isoliert in den hölzernen Streben hinter der Kulisse: die Königin, der Prinz und der Höfling Corrado, der im Intrigenspiel des Stücks gescheitert ist.

Lüpertz und Baesler machen also aus der hintersinnigen Buffa ein heiteres Spiel mit märchenhaften Zügen, das gleichwohl die Frage nach der Kunst als einer fiktiven Realität stellt: Die Freiheit, sich ihr zu entziehen, haben nur die Adligen, aber sie zahlen einen hohen Preis: Wer den Raum der Kunst verlässt, sitzt einsam zwischen den Streben, Balken und gespannten Leinwänden einer trostlosen Faktizität. So lässt sich Lüpertz‘ „Una cosa rara“ auch als ein Plädoyer für das Lebenselixier Kunst lesen. Weh dem, der den Begriff des Lebens verliert, auch wenn er nur Fiktion sein mag. Und wehe, denen die Träume verloren gehen. Auch wenn das Paradies künstlich ist: Die Vertreibung ist schmerzvoll.

Mit einem vorzüglich disponierten Orchester lässt Christoph Spering die Musik Martín y Solers springlebendig werden: Da herrschen Schwung und kleinteilige Beweglichkeit, melodischer Esprit, aufgeregt-differenzierte Accompagnti, aber auch ein schlichtes, ruhiges Pathos. Keine Frage: Wer den subtilen Aufbau, die kontrapunktische Meisterschaft und die Variabilität eines Mozart-Finales erwartet, wird bei Martín y Soler nicht bedient. Er baut etwa das Finale des ersten Aktes aus einer schlagkräftigen Melodie, die kaum variiert wiederholt wird, bis sie im Ohr sitzt. Aber Eleganz und Erfindungsgabe müssen sich nicht verstecken und für die Stürme von Herzschmerz, Eifersucht und Aggression schärft er den expressiven Gestus. Spering und das Orchester beleuchten diese Facetten mit Elan; nur in den Tutti wird der Klang bisweilen dick.

Und auch das Sängerensemble muss sich nicht verstecken: Theodora Varga bringt für die emotionalen Facetten der Königin Isabella zwischen Selbstbewusstsein und Sehnsucht die vokalen Facetten einer gut positionierten Stimme mit. Angelo Pollak gibt dem Prinzen Giovanni glanzvolle, schmeichelnde, aber auch nachdenkliche Töne. Anna Pisareva kann als Lilla erst im zweiten Akt zeigen, dass ihr leuchtender Sopran auch zu zärtlichen Momenten und verhaltenen Farben fähig ist, während Sara-Maria Saalmann ungenierte weibliche Schläue in locker gebildete Töne kleidet. Die beiden Männer Lubino (Seymour Karimov) und Tita (Mario Klein) zeigen sich den Ausbrüchen von Wut und Rachedurst gewachsen. Jongmin Yoon ist der unglückliche Bürgermeister Lisargo, der am Ende ebenso leer ausgeht wie der Höfling Corrado, mit kalter Eleganz und Zielstrebigkeit verkörpert von Philipp Meraner.

In Regensburg hat sich – anders als in Stuttgart, aber ähnlich konsequent – gezeigt, welches Potenzial in einem da Ponte-Libretto steckt, auch wenn es nicht von Mozart in Musik gefasst ist. „Una cosa rara“ – gemeint ist mit der „seltenen Sache“ übrigens die frauenverachtende Annahme, Schönheit und (moralische) Anständigkeit fänden sich nur selten zusammen – ist ein glänzender Nachweis dafür, wie leistungsfähig und innovativ Häuser dieses Formats sein können, wenn sie den Mut haben, die breite Straße des Repertoires hinter sich zu lassen. Solcher Mut stünde auch den Intendanten, Dirigenten und Festivalleitern an, die sich mit „da Ponte-Zyklen“ schmücken und damit doch nur die ewige Wiederholung der allbekannten Mozart-Opern meinen. Ein echter solcher Zyklus könnte durchaus noch andere Trouvaillen zutage fördern, zum Beispiel da Pontes ausgezeichnetes Libretto zur „Comedy of Errors“ Shakespeares, vertont von Mozarts Freund und zeitweiligem Schüler, dem jung verstorbenen Stephen Storace.

Werner Häußner

 

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