REGENSBURG: DER PRINZ VON SCHIRAS von JOSEPH BEER (Deutsche Erstaufführung der Operette von 1934)
1.4. 2024 (Werner Häußner)
Copyright: Mariel Liebig
Sympathisch ist er nicht, dieser Prinz: Für ihn gibt es nur bedingungslose Liebe oder flammenden Hass, wenn es um eine Frau geht. Seine Liebe ist sentimental, sein Verhalten besitzergreifend. Kein Wunder, dass er trotz seiner exotischen Ausstrahlung bei der jungen Amerikanerin Violet nicht landen kann. Die will selbst über sich entscheiden können und hat absolut keine Lust, am Ende noch in einem Harem zu landen. Da mögen die berühmten Rosen von Schiras noch so verführerisch duften …
Violet ist die Diva in Joseph Beers „Der Prinz von Schiras“, und Librettist Fritz Löhner-Beda gibt ihr ein für damalige Operetten durchaus gängiges emanzipatorisches Profil. Kein Wunder, dass konservative Kreise den Genuss des „frivolen“ Genres verdammten und zumal für die Jugend als verderblich bewerteten. Aufgehalten hat das die gesellschaftliche Entwicklung nicht. Das „Happy End“ der Operette, mit einem nicht ganz geglückten Auflösungs-Schlenker, sieht einen geläuterten Prinzen und eine Frau, die sich – scheinbar? – den Liebeskonventionen angepasst hat: Der Komponist gibt in seinem „Finaletto“ keine definitive musikalische Antwort.
Dafür wendet der zum Zeitpunkt der Premiere 1934 in Zürich gerade einmal 26 Jahre alte Beer eine Fülle von musikalischen Einfällen auf, um seine Figuren zu charakterisieren. Er beherrscht das Handwerk des „ernsten Musikers“ und kennt – wie sein Lehrer Joseph Marx anerkennend schrieb – „die klassische Polyphonie“. Für den Titelsong des Prinzen, „Die Rose von Schiras“ greift er hemmungslos zu den Mitteln des sentimentalen Operettenschlagers á la Franz Lehár; das wehmütige Tenorlied „Du warst der selige Traum“ hat das Niveau der großen Richard-Tauber-Arien und das Zeug zum Ohrwurm.
Dass der gerade dem Wunderkind-Alter entwachsene Joseph Beer ein glänzender, oft verschwenderischer Instrumentator war, lässt sich in nahezu jedem Takt der gut zwei Stunden Musik erfahren. Wie sein Zeitgenosse Paul Abraham verwendet er vom Saxofon bis zum Banjo, vom Vibraphon bis zur Celesta alle modernen Möglichkeiten in aparten Kombinationen. Dass bei der Fülle der Orchesterklänge die Sänger mikrophoniert werden, ist verständlich. Über diesem jugendlich überschwänglichen Orchestermeer zu schweben, ist für heutige Operettenstimmen kaum mehr möglich.
Mit Paul Abraham verbindet Beer auch der geschickte Einsatz von Tanzmusik und der Aufbau szenisch reizvoller (Tanz-)Tableaus. Mit einem pfeffrigen Tango („Eine kleine Liebe, eine Liebelei“), von chromatisch-lüsternen Orchesterklängen umrankt, tritt die Diva auf. Regisseur Sebastian Ritschel lässt Kirsten Labonte in Regensburg ganz traditionell eine Treppe hinabschreiten, löst aber das Klischee geschickt auf, denn es handelt sich um das Zitat einer Gangway. Wir finden die Protagonisten der Geschichte schließlich im ersten Akt auf einem Ozeandampfer im Pazifik.
Der Schauplatz öffnet auch gleich den Raum für ein adrettes Matrosenballett, und Gabriel Pitoni hat für dieses und für die folgenden Tableaus mit der Tanzcompany des Theaters Regensburg lebendige und angenehm klischeearme Choreographien entwickelt. Im ersten Finale erfinden die Operettenmacher einen im wahrsten Sinn des Wortes knalligen coup de théâtre: Der Warnschuss eines japanischen Kriegsschiffs schlägt ein und reißt ein Loch in die bisher so makellose Fassade eines riesigen Geschenkpakets, mit dem Kristopher Kempf die Bühne füllt und dem zum Ende hin seine Hülle nur noch in Fetzen herabhängt. Krieg zwischen Japan und den USA und Internierung aller amerikanischen Staatsbürger: Der Prinz von Schiras kommt davon und rettet mit einer charmanten Lüge Miss Violet in seine persische Heimat.
So ist für den zweiten Akt ein neuer exotischer Schauplatz gefunden: Kempf meidet die Orient-Anspielungen, die sich für einige Takte in der Musik á la „Bar zum Krokodil“ chromatisch winden. Er verhüllt Palast und Harem eher wie einen Nachtclub ganz in schillerndem Violett. Der dritte Akt verlegt die Auflösung dann auf die Hazienda Violets in Alabama. Dort will die Amerikanerin vom persischen Prinzen nichts mehr wissen – doch das Kostüm (Regisseur Ritschel hat sich die Kostüme selbst entworfen) verrät, dass der Aufenthalt in Schiras abgefärbt hat.
Mit der deutschen Erstaufführung von Joseph Beers „Der Prinz von Schiras“ 90 Jahre nach der Premiere ist dem Theater Regensburg eine vergnügliche Entdeckung gelungen, die mit vollem Recht vom Bayerischen Rundfunk mit dem „Operettenfrosch 23/24“ ausgezeichnet wurde. In der besuchten Vorstellung dirigierte Andreas Kowalewitz anstelle von GMD Stefan Veselka das unbekümmert aufspielende Philharmonische Orchester: Etwas subtilere Differenzierung und ein analytischer Blick auf die Hierarchie der Instrumente hätte der üppigen Partitur gut getan.
Das erste Wort in der Exposition hat Matthias Störmer, als „Vicomte de La Motte-Latour“ der Komiker des Stücks. Er liefert gekonnt frechen Wortwitz und einen leicht sentimentalen Chanson, der zu Saxofon und süßen Geigen behauptet, das „Herz der Frau ist ein Roman“ mit „viel tausend Bänden“. Eine Lektüre, die Nadir, Prinz von Schiras, offenbar nicht gelesen hat, da mag er noch so schmeichelnd von Sternennächten und duftenden Rosen singen. Carlos Moreno Pelizari bemüht sich tapfer, den schmachtenden Ton, das blühende Legato, den Aufstieg zum herzbrechenden Spitzenton zu treffen. Im Zentrum entspannt, in der Höhe ein wenig angestrengt, besteht er den Wettstreit mit blinkenden Arpeggien, sensitiver Chromatik und aufrauschenden, auf dem Höhepunkt mit Bläsern und Becken bewehrten Violinen.
Kirsten Labonte – mit weißblonder Kurzfrisur und herb-selbstsicherem Auftritt keine klassische Operetten-Diva – hat es da schwerer: Die Stimme bleibt zunächst eng, der Ton spitz. Im Lauf des Abends wird sie weiter und geschmeidiger, aber die Artikulation der Konsonanten und die monochrome Färbung der Vokale schwindet nicht. In den großen Duettszenen des zweiten Akts zeigt sie Format, wenn sie immer entschiedener gegen maskuline Arroganz und das Missverständnis einer Liebe als „Besitz“ opponiert. Mit dem Rollenbild der „süßen, blonden Violetta“ ist’s also nichts – auch wenn sie mit dem Prinzen die Melodielinie teilt und die Musik damit andeutet, dass die „entzückende Liebe“ beide Herzen nicht unangetastet lässt.
Damit die operettenüblichen Verwicklungen stattfinden können, gibt es noch eine Schwester des Prinzen, Jasmine: Theodora Varga verkörpert auch stimmlich einen anderen Typ Frau als die spröde Amerikanerin. Mit dieser reist auch eine Gesellschafterin namens Nell, die sich nach bester Operettenmanier amourös mit dem Oberstewart Jimmy Winterstein glänzend versteht, was Scarlett Pulwey, ähnlich taff wie ihre Chefin, und Paul Kmetsch szenisch mit Verve rüberbringen. Dass der junge Mann mehr ist als ein Schiffsbediensteter, generiert zusätzlichen Stoff für witzige Dialoge. Und dann gibt es noch ein viertes Paar, dem die Regie einen queeren Touch gewährt: Hassan und Fatme, Lakaien des Prinzen, tauschen die Geschlechter: „Er“ wird von Fabiana Locke als charmantes, ständig schikaniertes Faktotum, „sie“ von Felix Rabas mit süffisanter Drag-Anmutung gespielt. Michael Haake füllt die undankbare Rolle, den ständig brüskierten Verlobten von Miss Violet zu geben, wie es besser kaum gehen könnte; Roger Krebs gibt dem Kapitän des Pazifikdampfers den würdigen Touch des „Titanic“-Kapitäns Edward John Smith.
„Der Prinz von Schiras“ ist wie „Polnische Hochzeit“, die 1937 ebenfalls in Zürich uraufgeführte zweite Operette Joseph Beers, eine bemerkenswerte Bereicherung des leider allzu schmal gewordenen Repertoires. Die Qualität des Stücks lohnt eine Aufführung und zeigt, wohin es mit der Operette hätte gehen können, hätten die Nazis diese Entwicklung nicht abrupt unterbrochen: Beer durfte (wie Paul Abraham auch) im braunen Reich nicht aufgeführt werden; nach dem Krieg wollte er, der – anders als seine Familie – den Holocaust im Versteck in Frankreich überlebt hat, seinen „Prinz von Schiras“ nicht mehr auf der Bühne sehen. Erst jetzt haben die Erben nach jahrelangem Bemühen um Material und Rechte die Regensburger Nachkriegspremiere ermöglicht.
Werner Häußner