Das monatliche Staatsopernmagazin als Service des MERKEROnline
Wiener Staatsoper & Co.
MONATSRÜCKBLICK
September 2013
In eigener Sache
Mit ZVR-Zahl 192120 vom 25.5.2013 wurde der „MERKER-Online“ als „Verein zur Herausgabe einer Internet-Kulturzeitschrift“ in das Vereinsregister eingetragen. So wie der Zeitschrift des Merker-Vereins, dem Printmedium „Der neue Merker“, so stehen seitens der Wiener Staatsoper ab dieser Saison auch dem „MERKER-Online“ auf der Galerie Seite, 2. Reihe, für jede Vorstellung bis zu 2 Kaufkarten zum Erwerb zur Verfügung. Auflage ist die Verfassung von wenigstens je einer Rezension aus einer laufenden Opernserie (oder einer Einzelvorstellung). Zur Wahrung der Aktualität soll dieser Bericht spätestens zwölf Stunden nach der Vorstellung ins Netz gestellt werden.
Oder anders ausgedrückt: Was die Vorstellungen der Wiener Staatsoper betrifft, ist ab sofort der „MERKER-Online“ für seine Leser noch aktueller und vollständiger in seinen Berichten als bisher.
Das Repertoire im September
Wer das sommerliche Festspielgetriebe mit verfolgt oder dem gar beigewohnt hat, wird, nach Wien zurückgekehrt, feststellen dürfen, wie angenehm ruhig, ja unspektakulär der Opernbetrieb in Wien wieder Fahrt aufnimmt. Wenn man vom Versuch absieht, im Theater an der Wien Verdis Trovatore auf kuriose Art neu zu erfinden, ist die Bundeshauptstadt im Sommer frei von opernhaften Aufdringlichkeiten geblieben und die Daheimgebliebenen, aber auch die Menge an Touristen mussten bei Bedarf ihr Heil auswärts suchen. Ob sich da nun ein Austroamerikaner in einem Steinbruch an Puccini versuchte oder die üblichen kleinstädtischen, ländlichen oder klösterlichen Festspielorte herhalten mussten, es ist ein Vakuum an Opernveranstaltungen im zentralen Wiener Raum in den Sommermonaten feststellbar und ich denke an die Zeit zurück, als die Vorstellungen einer „Opernwerkstatt“ überlaufen waren.
Die Stückauswahl in der Staatsoper steuerte im September langsam einem Höhepunkt in der Gegenüberstellung zweier musikdramatischen Höhepunkte im Schaffen der beiden Jahresregenten zu: Wagners „Tristan und Isolde“ in Spitzenbesetzung und dazu auch noch frisch „herausgeputzt“, Verdis „Otello“ ebenfalls in großer Besetzung, allerdings in armseliger und nichts sagender „Pracht“ aus der Erbschaft des direktoralen Vorgängers von Dominique Meyer. Zu diesem Thema ist im neuen Heft-Merker Nr. 10/2013 anlässlich des Nabucco Berichtes zu lesen:
„Sage niemand, der MERKER hätte nicht hingewiesen auf den Notstand, in der Staatsoper, eine leider nur unzulängliche Anzahl ansehnlicher Inszenierungen für Verdi in dessen Jubeljahr zur Verfügung zu haben. So ist bereits in einer Kritik vom 6.5.2011 zu lesen:
“Das Jubiläumsjahr für Verdi naht, aber schwer wiegt das Erbe misslungener Inszenierungen aus der vergangenen Ära und nur wenig Herzeigbares hat das Haus derzeit für dieses Fest zu bieten! Zu diesem verunglückten “Nabucco” von Günter Krämer, der desaströsen “Forza”, dem unglücklichen “Macbeth” – einer reinen Geldverschleuderung – gesellen sich noch eine stinklangweilige “Aida” und ein optisch mißratener “Otello”. Da verbleiben lediglich ein etwas fragwürdig auf alt herausgeputzter “Ballo in maschera”, ein “Rigoletto”, der aus der Uraufführungszeit stammen könnte und der immerhin ansehbare “Falstaff” von Marelli. Und in der Frage, ob man das Verdi-Repertoire erweitern oder erneuern soll, hat sich Direktor Meyer momentan für letzteres entschieden und ersetzt nächste Saison bei “Traviata” und “Don Carlo” die öden Inszenierungen durch hoffentlich ansehnlichere bzw. interessantere. Und für Steins “Simon Boccanegra” kann sich eigentlich nur erwärmen, wer die Vorgängerversion von Strehler nicht mehr gesehen hat.”
La speranza, che delude sempre: In der Zwischenzeit wurde die längst verstaubte “Traviata” gegen eine fragwürdige und der fade “Don Carlo” gegen eine vorgestrig anmutende und daher wiederum fade Inszenierung ausgetauscht. Jahrgangskollege Wagner hat da die weitaus besseren Karten: Während der “Tristan” in musikalisch und optisch herzeigbarem Rahmen aus der Dunkelheit befreit wurde und Aussicht auf einen neuen Lohengrin besteht, muss sich das kompositorisch wohl reifste Gegenstück zu Wagner, Verdis “Otello” im Jubeljahr weiterhin die Misshandlung durch die Unregie von Christine Mielitz gefallen lassen“. (soweit das Zitat aus dem Heft-Merker 10/2013)
Gerade ein Repertoirehaus wie die Wiener Staatsoper benötigt über einen längeren Zeitraum brauchbare (was aber nicht heißen soll, phantasielose oder vermurkste!) Inszenierungen des Kernrepertoires und gerade für die Herstellung oder den Einkauf solcher Regiearbeiten ist jede Direktion in der Verantwortung! Das muss und darf aber nicht in der Knebelung künstlerischer Leistungen führen, insgesamt also alles gefährlicher als eine Fahrt zwischen Skylla und Karybdis.
La Traviata
Aleksandra Kurzak feierte ihr Rollendebüt, im Frühjahr erst konnte sie einen großen Erfolg als Fille du Régiment für sich verbuchen. „Kurzak lässt, wenn sie (die Partie) durchhält, schöne Piani hören, kann die Koloraturen – und bietet den Rest der Rolle offensiv mit flackernder Stimme und einem gänzlichen Mangel an Feingefühl und Raffinesse an. Wenn eine Violetta ihren letzten Spitzenton im ersten Akt schwänzt, weiß sie, was sie tut – es sind auch andere Töne nicht völlig gut geraten, so Renate Wagner. Nun ist dieser Spitzenton nicht in der Partitur notiert, daher auch nicht zu „schwänzen“, aber er ist zu singen, wenn man Weltklasse werden will. „Manch zart gesungene Passage vermochte starke Emotionen zu wecken,“ meinte Dominik Troger. Aber vielleicht war die Kurzak bereits etwas angeschlagen, jedenfall kam bald darauf die Absage und Desirée Rancatore sprang in der nächsten Vorstellung ein: „Rancatore’s Zugang zu der Rolle war – nicht nur stimmlich – schon ein recht forscher. Das war keine fragile Traviata, kein Mädchen mehr, sondern bereits eine selbstbewusste junge Frau, die von ernsthafterer Natur war.“ (Lukas Link)
„Violetta Nummer drei kam mit Marina Rebeka zum Zug. War im ersten Akt noch eine gewisse Unsicherheit in den Koloraturen zu hören – dieser war das von Verdi gar nicht notierte, aber immer wieder erwartete hohe Es als Schlusston ihrer Arie wohl zum Opfer gefallen – so gewann sie in den Folgeakten Sicherheit und musikalisches Profil in der dramatischen Auseinandersetzung mit dem Vater ihres Liebhabers. Und erst recht war das Leid in der Todesstunde glaubhaft gespielt und gesungen“ (Peter Skorepa) „Dass sich mit der Rebeka als Titelheldin entgegen dem ursprünglichen Regiekonzept nicht dem Alkohol hingab, brachte diese verkorkste Inszenierung etwas mehr ins Lot.“
„Entweder war der Tenor des Abends, Massimo Giordano, gesundheitlich angeschlagen, das hätte einer “Ansage” bedurft, oder sein Stimmmaterial steckt derzeit in einer Krise.“… „Besonders im Finale meinte Giordano ins Brüllen verfallen und seine Kollegen vokal dominieren zu müssen. Das ist wohl auch der Grund warum sich beim Schlussapplaus unter ein paar Bravos für ihn auch ein deutliches Buh gemischt hat. Dieser Alfredo war nicht jedermanns Geschmack“ (Lukas Link)
„Simon Keenlyside ist genau der Mann, die „Herumsteh-Partie“ des Vaters Germont interessant zu machen. Wenn er zu Violetta kommt, ist der gute Mann schlechtweg wütend, dass er sich da mit der Freundin (um nicht zu sagen: Nutte) des Sohnes herumstreiten muss, und er behandelt sie wirklich unschön.“ (Renate Wagner) Der guten Ordnung halber: Trotz der inszenatorisch gebotenen zeitlichen Verlagerung, eine Nutte ist die Violetta ja nicht, sie wäre immerhin als Kurtisane einzustufen. „Der Hang zum psychologischen Ausreizen der Charaktere stößt für meinen Geschmack bei Verdi prinzipiell an gewisse Grenzen: Keenlysides etwas „gedrückte“ und defensive Körperhaltung, die zwängliche Art wie er den Mantel über den Sessel legte, seine Stirnschweißabtupfen im Gespräch mit Violetta.“ so gutachtet Dominik Troger.
„Marco Armiliato, wie immer ohne Partitur, hatte einen rabiaten Abend, in dieser „Traviata“ ging es auch vom Orchester her heftig zu. Aber warum sollte es aus dem Orchestergraben „delizioso“ erklingen, wenn die Sänger nicht so singen?“ (Wagner) Immerhin dirigierte Armiliato auswendig, also nach dem Spruch „lieber die Partitur im Kopf, als den Kopf in der Partitur“. Die meisten der heutigen Dirigenten bevorzugen eine Mischform: Sie arbeiten mit Partitur, aber kleben nicht ständig mit den Augen auf den Seiten, sondern fixieren mit Blicken die einzelnen Gruppen oder Solisten.
Unlängst begegnete ich einem Menschen, dem diese Inszenierung ausnehmend gut gefallen hat! Er hatte das Stück allerdings zum ersten Mal gesehen!
Carmen
„Jö! Eine Carmen mit wirklich dunkler Stimme. Mehr noch – mit einer geradezu aufregenden Tiefe“ Renate Wagner überschlägt sich förmlich vor Begeisterung über Rinat Shaham, der jungen Israelin. „Diese Frau hat keine Sekunde Mühe, die berühmte Zigeunerin zu sein. Stellenweise agiert sie mit einer Leidenschaftlichkeit, die man auf der Bühne lange nicht erlebt hat – was im zweiten Akt zwischen ihr und Alagna abging, erzeugte wirklich Siedehitze“. Das fand ich auch, denn „wo Roberto Alagna draufsteht, da ist auch Roberto Alagna mit aller Leidenschaft drinnen, mit allen Sensorien für Liebe, Hass und Theatralik.“
„Weniger gut fiel das Hausdebut des französischen Bassbaritons Laurent Naouri aus – knochentrockene Stimme, die in der großen Arie nicht einmal übers Orchester kam, als Persönlichkeit kaum vorhanden.“ schrieb Renate Wagner und da konnte ich nur einstimmen:„Sein berühmtes Auftrittslied klang schlimm und erst im Duett mit Carmen fing er sich einigermaßen. Naouri heißt dieser Franzose, ist Partner der Dessay und hat eine ganze Latte von Hinweisen auf Rollen und Opernhäusern im Programm stehen. Hoffentlich empfiehlt er sich damit nicht für weitere Engagements an diesem Haus.“ Nicht ganz einig war man sich über Anita Hartig als Micaela, aber „Dan Ettinger hat geradezu liebevoll die zahllosen Möglichkeiten der „Carmen“-Musik von der lockeren Spritzigkeit bis zur Hochdramatik ausgereizt.“ (Wagner) Fraglos zählt diese Carmen Zeffirellis weiterhin mit zu den großen Kassenmagneten dieses Hauses, welches auch Dank des Touristenstromes, der, dem Golfstrom gleich an den Stufen des Opernhauses vorbeiführt, eine sagenhafte Auslastung von 99,2% aufweist.
Tosca
„Keine Frage, Angela Gheorghiu hat schon einen guten Riecher dafür, mit welcher Attitüde sie aufzutreten hat, wie sie die Stilisierung zu einem Gesamtkunstwerk schafft“ habe ich in meiner Kritik festgestellt, allerdings meinte ich auch einschränkend, dass zur Vollkommenheit einer Diva ein wenig mehr an stimmlicher Präsenz vonnöten wäre, als sie zu geben bereit ist. „Angela Gheorghiu hat bei ihrer ersten Wiener Tosca offenbar nichts dem Zufall überlassen, sogar bei der Auswahl der Kostüme dürfte sie mitbestimmt haben. Das Hütchen, das die Sängerin im ersten Akt zu tragen beliebte, sorgte im Pausenfoyer allerdings für unterschiedliche Meinungen…Denn in dieser Tosca pochte nicht das Herz einer Leben, Liebe und Leid heroisierenden Primadonna, sondern das einer sensiblen Frau: seelenvoll, vielleicht sogar bigott, Verletzungsschmerzen in hysterische Ausbrüche ableitend, trotz ihrer fragilen Persönlichkeit aber stabil und stark genug, um unter dem Druck der Ereignisse alle Mittel auszuschöpfen“ so urteilt Dominik Troger treffend beobachtend. Wer sich allerdings die Damenmode dieser Zeit näher ansieht, wird über dieses „Hütchen“ nicht erstaunt sein.
Über Marcello Alvares befindet Renate Wagner: „Alle dramatischen Höhepunkte von „La vita mi costasse“ über „Vittoria“ bis zu den Ausbrüchen im dritten Akt gelangen fabelhaft und souverän“.
„Zeljko Lucic, der darstellerisch ein hintergründiger Widerling war (man hat schon fürchterlichere, auch eindrucksvollere gesehen…), hielt es weit mehr mit Belcanto als mit veristischem Gebrülle. Nur beim „Te Deum“ hätte man ihm mehr Nachdruck gewünscht“, so Renate Wagner. Und Lukas Link meint: „Natürlich ist es nicht falsch wenn ein Scarpia beim ersten Hören nicht gleich wie ein Schurke klingt. Lucic‘ Scarpia ist nicht der offensichtliche Fiesling sondern kommt etwas subtiler daher.“
„Damit dieses so reüssieren konnte“, so Wagner, „brauchte es einen Maestro vom Schlag des Marco Armiliato, der Tosca und Cavaradossi etwa bei ihrem Mezzavoce-Liebesduett im ersten Akt geradezu auf den Händen trug, im übrigen aber das Orchester zum gewaltig dramatischen Mitgestalter des Ganzen machte, ohne den Sängern Forcieren abzuzwingen. Ein ausbalanciertes Meisterstück, in dem die Philharmoniker wieder einmal Puccini-himmlisch klangen“.
Otello
Es ist nicht alltäglich, dass sich bei der Sängerbesetzung dieser drei Hauptrollen eine so passende Zusammenstellung ergab wie in dieser Serie. José Cura erweist sich „als der richtige Kraft-Sänger für diese Rolle, die einen wirklich potenten „schweren“ Tenor verlangt. Da kann er sein Höhenmetall schonungslos einsetzen. Im übrigen bändigte er seine Stimme erfolgreich, manches, wie seine beiden großen Verzweiflungsarien, gelang wirklich überzeugend“. Was Frau Wagner hier beschreibt war tatsächlich eine Zurücknahme so mancher musikalischen Freiheiten, die man immer José Cura nachsagen konnte. Seine Darstellung war von geradezu klassischem Zuschnitt, vermischt mit afrikanischen Spuren.
Und Dominik Troger analysiert genau die Leistung von Dmitri Hvorostovsky: „Jago als Machiavellist, der das gesanglich ausgefeilt dargebrachte „Credo“ als zynischer „Philosoph“ präsentierte, beim Nachdenken über Gott und die Welt fast schon in „Denkerpose“ verfallend. Insofern schien dieser Jago an Otello ein Exempel zu statuieren, ein Rationalist der Gefühle, ein glatter und analytischer Mephisto, ein Kalkulator des Bösen“.
„Aber es ist nicht nur die überzeugende intrigante Pose allein, die diesen Jago so eindrucksvoll machte, sondern auch der Bariton mit hartem Kern. Wenn sich der alte Opernfreund, wenn es erlaubt ist, an den gnomartigen Aldo Protti als grimmig-idealen Jago erinnert, so zeigte Hvorostovsky jedenfalls, wie elegant man die Rolle auch darstellen kann“. So kramt Renate Wagner in ihrer Erinnerung an den kleinen Bariton mit der Riesenstimme, der sich über das „gnomartig“ ja nicht gerade freuen wird, wo immer er sich jetzt befindet.
„Die immer ungemein präsente Anja Harteros kann nicht nur ein Schicksal, sondern auch „Seele“ singen, und in der mehr als einer Viertelstunde, die ihr Verdi im vierten Akt allein auferlegt, erfüllt sie das mit allen stimmlichen und ausdrucksmäßigen Differenzierungskünsten“.(Renate Wagner)
„Dan Ettinger dirigierte nicht seinen ersten „Otello“ am Haus, also wusste man schon, was einen erwarten würde: eine (zu) knallige, teils spannende und gut auf Höhepunkte abgestimmte Orchesterbegleitung,“ so Dominik Troger.
Tristan und Isolde
„Peter Seiffert ist für meinen Geschmack derzeit der weltbeste Tristan. Da sitzt jeder Ton, jede Nuance, jede Phrase. Er vermag seine Stimme, besonders im zweiten Akt im Liebesduett mit geradezu lyrischer Italianità zu führen und ist dann im dritten Akt, eine große Herausforderung für jeden Tristandarsteller, zu gewaltigen Verzweiflungsausbrüchen fähig, ohne an Stimmvolumen zu verlieren! Ihm zur Seite stand in Linda Watson eine mehr als ideale Isolde, die alle Nuancen dieser Figur überzeugend verkörpert“ So schwärmt Harald Lacina. Und Wolfgang Habermann zeigt sich schon kritischer bei der Amerikanerin: „Sie ist vom ersten Ton weg die Hochdramatische, die mit großem Druck und beeindruckender Lautstärke loslegt. Mit diesem Druck nimmt auch das Vibrato von Akt zu Akt zu und der Liebestod ist höchstens zweithöchste Lust“. „Schade nur, dass Dirigent Franz Welser-Möst sie bei den Zeilen „in des Weltatems wehendem All“ mit dem Fortissimo spielenden Orchester regelrecht zudeckte, sodass diese Zeilen im Rausch der Musik untergingen. Ein forte hätte da genügt!“ hörte Harald Lacina da richtig, während ihn „Janina Baechle enttäuschte als stimmlich verquollene Brangäne“. „Der neue Kurwenal von Markus Eiche dagegen ist ein echter Gewinn. Mit kraftvollem, nie forciertem Bariton gibt er den treuen Begleiter Tristans“ so G.Habermann.
„Darauf, dass „Sternstunden nicht inflationär sind und man festhalten muss, dass der Abend, von ganz wenigen Abstrichen abgesehen, in sehr guter Erinnerung bleiben wird“, dem kann man Harald Lacina beipflichten. Die musikalische Seite dieser Serie wurde auch in der Presse positiv gewürdigt, über die Regie, die sich frei von Gedankenblässe zeigt, herrscht wenig Einigkeit. „Es vermag szenisch nicht abzuheben“ (Daniel Ender, Standard), allerdings „Man kann sich den musikalischen Höhenflügen jetzt ungestört hingeben“ (N.N. Die Presse), jedoch „statisch-groteske Mondlandschaft“ (Daniel Wagner, Wiener Zeitung) oder „Die Regie von David McVicar, der außer Rampensingen nichts anzubieten hat. (Marion Eigl, Kurier)
Nabucco
„Povero Verdi an diesem Abend in der 63. Aufführung dieser Inszenierung von Günter Krämer. Seine Regie versagt vor den Höhepunkten des Werkes kläglich, samt der kargen Bühne von Manfred Voss und Petra Buchholz und dem bereits abgedroschenen Versuch von Falk Bauer, Kostüme und Ausstattungsartikel des 20.Jhd. als neuartige Idee zu verkaufen. Ob damit zum Ausdruck kommen sollte, dass gerade im vergangenen Jahrhundert das Schicksal dem jüdischen Volk einen unvergleichlich grauenvollen Höhepunkt gebracht hat? Das ist mit so einer harmlosen Regie nicht getan, ja es eignen sich m.E. Verdis Kabaletten und Walzer für dieses Thema nicht, wenn man vielleicht von vom Va Pensiero absieht, jene Chorstelle, die immer wieder unter die Haut geht“. (Skorepa) „Leidtragend ist nicht nur das Publikum, sondern sind auch die Sänger, die es in einem Rahmen wie diesem so unendlich schwer haben, zur Wirkung zu kommen“. Auch mit „Paolo Carignani am Dirigentenpult, der einfach nur Durchschnitt lieferte“ meint Renate Wagner, die die Wirkung bei der Besetzung vermisst. „Am wenigsten beim Titelhelden, denn Zeljko Lucic hat zumindest – was man sonst von kaum jemandem an diesem Abend sagen konnte! – eine wirklich schöne Stimme. Aber es wurde nach dem Scarpia auch beim Nabucco wieder klar, dass es sich bei diesem edel strömenden Bariton letztlich um eine lyrische Stimme handelt“. Und weiter bei Renate Wagner: „Mit Jennifer Wilson gab eine jener fülligen Amerikanerinnen die weibliche Hauptrolle, die die Bühnen der Welt mit unterschiedlicher Qualität bevölkern. Gewiss, die Abigaille ist eine Mörderpartie, aber solche Unlust, hier zuzuhören, empfand man selten. Jennifer Wilson lieferte eine durch und durch wacklige Leistung, und die mit Gewalt gepressten Spitzentöne misslangen geradezu durchwegs. Auf der Haben-Seite landete schließlich doch noch der Ukrainer Vitalij Kowaljow als Zaccaria: Nachdem man die längste Zeit meinte, dass es sich hier wirklich nicht um einen profunden Bass handelt, „zündete“ er seine große Szene nach dem Gefangenenchor dermaßen an, dass seine Figur doch noch Eindruck hinterließ“.
Verdis Urteil über diese Inszenierung seines ersten Welterfolges könnte nur lauten: „Ah, vergogna!
Simon Boccanegra
Einige Auszüge aus Renate Wagners Bericht: „Thomas Hampson hat seinen Wien-Boykott wieder aufgehoben, worüber man froh sein kann, zumal der Simone eine seiner besten Rollen ist. Stimmlich hatte er einen glanzvollen Abend, dass man Minimales nicht beanstanden will: Der nach wie vor kraftvolle Bariton (nur selten forciert) strömt wunderschön, die Ausdrucksnuancen beeindrucken. Ferruccio Furlanetto ließ seinen Bass zumal im Vorspiel ganz herrlich samtig strömen und schafft es immer wieder, der Stimme später – da ist er schließlich, 20 und mehr Jahre später, ein alter Mann – einen fahlen Klang zu geben. Joseph Calleja sang seinen ersten Gabriele Adorno in Wien, und man hätte sich gewünscht, diesen Tenor, der doch leider ein seltener Gast an der Staatsoper ist, in einer wirkungsvolleren Rolle zu erleben. Tamar Iveri begann ihre Amelia mit zarten, schwebenden Tönen, die Hoffnung erweckten, aber es gelang ihr einfach nicht, dies auch für die Höhen durchzuhalten. Alain Altinoglu: Der Reichtum an Gefühlsschattierungen in Verdis Musik, wo sich schwebende Lyrik und exzessive Dramatik abwechseln mit reich differenzierten Stimmungswerten dazwischen, ist nicht ganz leicht zu realisieren.“
„Die Sterbeszene spielte Hampson nicht so theatralisch wie andere Rollenvorgänger, die sich plötzlich zu Boden werfen. Nein“, meint Lukas Link, „dieser Boccanegra starb leise und fast unbemerkt, in dem er sich beinahe in Zeitlupe in den Schoß seiner Tochter Amelia fallen ließ. Man fühlte sich schon fast an eine Pietà erinnert. Ein starker Schluss!“
Über die Stadtmauern betrachtet
Ein winziges Dramolett:
Schauplatz: Salzburg, Platz vor dem Dom
Zeit: 1920
Handelnde Personen: Hugo von Hofmannthal, Max Reinhardt und Bertha Zuckerkandl
Reinhardt (die räumliche Anordnung vor dem Dom ermessend, überwältigt): „Und die Glocken müssen auch mitspielen. Mit dem Abendsegen werden sie Jedermanns Erlösung verkünden.“
Hofmannsthal (zur Realität zurückfindend): „Wie aber die Finanzierung eines Unternehmens durchführen, das doch auf Kontinuität bedacht sein muss? Wir werden uns an den armen Staat wenden müssen. Eine schwierige Aufgabe.“
Reinhardt (vollkommen gleichgültig): „Irgendwie wird sich das Geld schon finden, das ist Nebensache.“
Das hat so Berta Zuckerkandl in ihren Erinnerungen aufgezeichnet und wurde von mir „dramatisiert“, es klingt so weit weg und ist doch so heutig. Der Staat ist heute viel reicher und tut dennoch so arm, wenn es um kulturelle Angelegenheiten geht. Reinhardt scheint damals so etwas wie der Peirera der Gründerväter dieses Festivals gewesen zu sein, mit all seiner Begeisterung und Maßlosigkeit. Und 1927-die Festspiele sind inzwischen schon etabliert- schreibt die Zuckerkandl in ihr Tagebuch: „Jede Kunstepoche hat ihre gesetzmäßige Entwicklung. Auch den Salzburger Festspielen wird eine Hochblüte und Spätzeit beschieden sein.“
Man kann es sich ausmalen, wo die Festspiele heute stehen, zumindest ist eine Baumpflege dringend angesagt um den in der Spätzeit angesammelten Wildwuchs zu kürzen. Eine Heckenschere her für die Arbeit Hinterhäusers!
Peter SKOREPA
MERKEROnline
Alle Bühnenfotos der Wiener Staatsoper: Michael Pöhn,
Das Titelbild „WIENER STAATSOPER“ mit freundlicher
Genehmigung des Künstlers Karl Goldammer
Anregungen an skorepa@hotmail.de
Wien, 7.10.2013