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RECIFE/Brasilien: Uraufführung von J. S. BACHS „JOHANNESPASSION“

22.04.2022 | Konzert/Liederabende

RECIFE/Brasilien: Uraufführung von J. S. Bachs Johannespassion – 17. April 2022

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 Radu Pantea dirigierte. Foto: Catherine Costa

 Aller Anfang ist schwer

Über das Projekt des Ausbaus der Orgel der Madre de Deus-Kirche in Recife haben wir mehrmals berichtet. Diesmal, nämlich zu Ostern in Recife und Olinda, hat das Studio d’Opéra Luxembourg und Lima&Falcão, Mit-Initiatoren dieses Projektes, mit dem Ensemble Vocal Cantamus aus Recife, eine größere Veranstaltung realisiert, um dieses Projekt einem breiteren Publikum bekannt zu machen und über Crowdfunding zusätzliche Geldmittel dafür zu beschaffen. Es war, genauer gesagt, eine in Recife und im Nordosten Brasiliens noch nie dagewesene Veranstaltung, nämlich die Erstaufführung der Johannespassion BWV 245 von J. S. Bach in ihrer Gesamtheit, die unseres Wissens so dem dortigen Publikum in den 300 Jahren ihres Bestehens noch nie dargeboten wurde. 

Dementsprechend groß war die Herausforderung zuerst für die Orchestermusiker, die bis auf die gute Continuo-Gruppe, (bestehend aus dem Organisten Gilson Celerino, dem Cembalisten Ladson Matos, dem Cellisten Nilson Galvão, und dem Fagottisten Marcilio Souza), keine Erfahrung mit Barockmusik und noch weniger so etwas wie Barockinstrumente besaßen. Und somit traf die schwere Aufgabe den uns schon öfters besprochenen Luxemburger Dirigenten Radu Pantea, mit den Orchestermusikern vor Ort eine Fassung zu realisieren, die historische Aufführungspraxis berücksichtigte, aber gleichwohl mit den modernen Instrumenten kompatibel blieb. Gleichzeitig musste er auch noch sehen, das grandiose Werk trotz der kurzen Probezeit stimmig und überzeugend auf die Bühne zu bringen, wobei mit der Bühne die herrliche romanisch-gotisch-renaissance-Kathedrale von Olinda und die prachtvolle, der Venediger San Giorgio Maggiore nachempfundene Basilica da Penha in Recife gemeint ist.

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Foto: Catherine Costa

Radu Pantea hat diese Aufgabe mit viel Hingabe und Können gemeistert. 

Der Chor, Ensemble Vocal Cantamus hatte es dank der kundigen Aufbauarbeit vom Organisten und Chorleiter Gilson Celerino da schon leichter, da es schon auf eine Tätigkeit als Barockchor in Recife zurückblicken kann. Überdies waren ihm einige Stücke der Johannespassion schon bekannt. Gilson Celerino selbst ist in der Hochschule für Musik in Hannover als Kirchenmusiker ausgebildet worden und hat nicht zuletzt auch die nötigen Sprachkenntnisse, um dem Chor die deutsche Diktion beizubringen.

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Ensemble: Copyright: Catherine Costa

Die Solisten dafür kamen aus dem auch kulturell weit entwickelteren Süden Brasiliens, hauptsächlich aus São Paulo, und die meisten von ihnen hatten die Johannespassion schon aufgeführt. Somit musste man bei ihnen auch nicht bei null anfangen wie beim Orchester. Diese waren Jabez Lima, als Evangelist und Tenor, Sabah Teixeira al Christus und Bass, Rodrigo Cruz und Caleb Faria als Bassisten, Natália Duarte und Juliana Cumarú als Sopranistinnen, die im letzten Moment für die abgesagt habende Janaina Lemos einspringen durften, sowie Virginia Cavalcanti als Mezzosopranistin.

Wir konnten die Aufführung am Ostermontag in der Basilica da Penha ansehen, was trotz aller Pracht kein Vorteil war. Denn durch ihre riesigen Ausmaße und die Marmorverkleidung war sie akustisch nicht ideal. Auch das für brasilianische Verhältnisse außerordentlich zahlreiche Publikum konnte der Schwimmhallen-Akustik nicht viel abhelfen. Überraschend gleich beim Eingangschor war die klare deutsche Aussprache und Verständlichkeit aller Sänger und die Transparenz des Orchesters, trotz der Akustik. Radu Pantea, bemüht dem Riesenstück Einheitlichkeit und Zusammenhalt zu geben, nahm meistens recht frische Tempi, dirigierte sehr klar, zuweilen eher auf der rhythmischen Seite, um jegliches Auseinandergehen zu vermeiden. Das war im Eingangschor „Herr, unser Herrscher“ und vor allem im Schlusschor „Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine“ bemerkbar. Andererseits hat er die mehr als zahlreichen Rezitative und die Arien sehr sängerfreundlich und mit großer Aufmerksamkeit dirigiert. Die Solisten waren bei ihm immer gut aufgehoben, obwohl sie zwar akustisch gut, aber räumlich ungünstig in den zwei Kanzeln oben auf den zwei Kuppelpfeilern sangen. Sie „unter Kontrolle“ zu haben, hatte seine Aufgabe zusätzlich erschwert. Insgesamt hat Radu Pantea den tiefen Ausdruck und die Dramatik der Johannespassion, zumal im zweiten Teil, sehr gut interpretiert. Das Orchester folgte ihm im großem Ganzen trotz einiger kleinerer Patzer, sehr engagiert und motiviert, wobei die vielen Solisten, Bläser und Streicher hervorzuheben sind.

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Copyright: Catherine Costa

Der Ensemble Vocal Cantamus hat die Dreifach-Aufgabe, Chöre, Turbae-Szenen und Choräle zu interpretieren, sehr gut verständlich und differenziert gemeistert. Die Solisten waren im großem Ganzen auf der Höhe: der junge Jabez Lima hat sehr einfühlsam und verständlich die Passionsgeschichte nacherzählt und die arien sehr expressiv gesungen, eine große Leistung! Sabah Teixeira, offensichtlich sehr erfahren, war ein erhabener Jesus und ein dramatischer Arien-Gestalter. Beide waren auch stimmlich sehr überzeugend. Die jungen Sopranistinnen Juliana Cumarú und Natália Duarte haben ihre Arien gut gemeistert, wobei Erstere hervorzuheben ist. Virginia Cavalcanti hat die Alt-Arien mit ihrer warmen Stimme klar und emotional gestaltet. 

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Radu Pantea. Copyright: Catherine Costa

Es gab ausgiebige und wohlverdiente standing ovations, was deutlich den Bedarf des dortigen Publikums an regelmäßigen Aufführungen vokal-symphonischer und oratorischer Literatur zeigt, und nicht nur aus der Barockzeit. Dieses Repertoire wird in Recife noch schändlicher vernachlässigt als Opern, von denen ja doch ab und zu welche im Teatro Santa Isabel aufgeführt werden. Diese Konzerte haben deutlich gezeigt, was alles gemacht werden könnte, aber nicht gemacht wird.

Genau da setzt das Orgelbau-Projekt in der Madre de Deus Kirche in Recife an. Rund um die Orgel als im Nordosten Brasiliens einzigartigem Fixpunkt soll ein Orgel- und Kirchenmusikfestival und sonstige Aktivitäten entstehen, der nicht nur diesem offensichtlichen Mangel abhelfen sollen, sondern auch den Musikern, Sängern vor allem zusätzliche Auftrittsmöglichkeiten und nicht zuletzt auch einige Verdienstmöglichkeiten verschaffen sollen. Wir können daher vorbehaltslos die crowdfunding-Website des Projekts empfehlen mit der Bitte um finanzielle Unterstützung.

https://www.gofundme.com/f/building-the-only-concert-organ-in-ne-brazil?

Klaus Billand (mit inputs aus Nordostbrasilien)

 

 

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