Ravenna: AROLDO von Giuseppe Verdi, 14. (Premiere) & 16. (Derniere) Jänner
Aroldo (c) Zani-Casadio
Am Teatro Alighieri Ravenna wurde jetzt in zwei Vorstellungen (weitere folgen in Rimini, Modena und Piacenza) die frühe Verdi-Oper Aroldo, ein vieraktiges Melodramma, Libretto von F. M.Piave, gegeben. Es ist eine um 1200 spielende Oper über den sächsischen Kreuzritter Aroldo, die nach seiner Rückkehr nach dem schottischen Kenth erzählt, daß seine Frau Mina, Tochter des schottischen Edlen Egbert, ihn mit dem Ritter und Abenteurer Godvin, der sich ebenfalls in Kenth aufhält, betrogen hat. Obwohl Mina Godwin verläßt und wieder Aroldos Ehefrau sein will, entwickeln sich die Dinge anders. Es komma auch zu einem Duell zwischen Godwin und Egbert, der damit die Entehrung seiner Tochter ‚ungeschehen‘ machen will. Aroldo unterbindet es, da es auf dem Camposanto am Friedhof stattfindet, und es damit den heiligen Ort entwürdige. Egbert findet sich aber mit einer vordergründigen Versöhnung zwischen Godwin und Aroldo nicht ab. Dieser weiß zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, daß Godvin der Übeltäter war. Sein Begleiter Brian, den er aus dem heiligen Land mitgebracht hatte, weil er ihm sein Leben rettete, hatte ihm nämlich versehentlich Enrico, den Cousin von Mina als Täter angegeben. Man sieht,was undurchdringliche Verwicklung angeht, gab es das schon in früheren Opern Verdis, nicht erst im „Troubadour“. Egbert möchte sich nun selbst vergiften, weil er sich mit einer entehrten Tochter selber entehrt fühlt, wird aber beim Schreiben eines Abschiedsbriefs von Brian überrascht, der eben nur das Treffen zwischen Godvin und Aroldo ankündigt. Der will aber nur seine Frau freigeben und bietet sie sozusagen seinem Rivalen an. An Mina überreicht er nämlich das Scheidungsdokument und fordert sie auf, es zu unterschreiben, während sie folgenlos seine Verzeihung erfleht. Egbert tötet Godwin, der davor schon festgenommen worden war. Der letzte Akt spielt am schottischen Lac Lomond, wo Aroldo und Brian eine Wohnung als Einsiedler zwischen anderen Hirten, Fischern und Jägern bezogen haben. Mina in Begleitung ihres Vater erfleht erneut kniefällig die Verzeihung des Ex-Ehemannes, und Egberto Respekt für Mina als seiner Tochter. Aroldo taut langsam auf und ist nun bewegt daüber. Brian und Egbert erbitten unter Tränen um Verzeihung, Aroldo gewährt sie.
Diese Oper ist ein ‚Remake‘ von Verdis noch früherer Oper ‚Stiffelio‘, die damals in Österreich, in einem anderen Ambiente, nämlich in einer sektenartigen Comunity angesiedelt war.
‚Aroldo‘ ist 1857 bei der Eröffnung des Neuen Theaters Rimini uraufgeführt worden unter Anwesenheit Verdis und seiner Lebensgefährtin Giuseppina Strepponi. 1943 wurde dieses Theater bei Luftangriffen der Alliierten total zerstört, nur der Theatervorhang mit einem Gemälde „Caesar überschreitet den Rubicon“ konnte gerettet werden. Diese Faktum war für das Regieteam Emilio Sala (Dramaturgie) und Edoardo Sanchi (Regie) der Anstoß, um eine Verknüpfung zu dem nicht weit entfernten Rimini herzustellen. Die Handlung wird in die Zeit der 30er-40er Jahre des italienischen Faschismus verlegt, was sich besonders auch in den Kostümen und Uniformen (Raffaella Giraldi, Elisa Serpilli) abbildet. Zwischen den Szenen immer auch Einspielung von Kriegsgeräuschen oder ein Song aus dem damaligen Radioapparat. Während die Akte in Kenth keine eigentlichen Räume haben, nur Requisite wie Schreibtisch des Egbert oder der Zedern-Sekretär der Mina, in dem sie ihr Tagebuch mit herausfallenden Liebesbriefen(!) aufbewahrt, und die dann von Egbert ‚entdeckt‘ werden. Meist hinter einem Gazevorhang befindet sich das Oval der Logenränge des Teatro Galli Rimini und davor Gruppen von Theatersesseln, die nach Aufdeckung des Liebesverrats von Aroldo umgestoßen werden (Bühne: Giulia Bruschi). Im 4.Akt ist das weiße stilisierte mit Sprüchen versehene Haus der ‚Aussiedler‘ zu sehen, Darunter erst eine Art Leuchtturm mit der Aufschrift ‚Sogni’/Träume, der aber dann hochfährt. Anstatt eines Gewitters wird der Luftangriff auf Rimini Anfang 1943 und flüchtenden Menschentrauben mittels Film in Szene gesetzt (Video-Montage und Projektionen: Matteo Castiglioni). Die dramatische Zuspitzung im 3.Akt wird mit herunterfallenden Worten DIO, PATRIA, FAMIGLIA, AUDACIA, VITTORIA, SACRIFICIO, SANGUE, ONORE quittiert (movimenti scenici: Isa Traversi).
Diese Verdi- Ausgrabung zeigt wieder einmal, daß auch der frühe Verdi schon Opern konnte, die in ihren Bann zwingen. Es kündigt sich in seiner Musik einfach was ganz Neues an, und es ist eklatant, wie Verdi bereits um diese Zeit Spannungen generieren, steigern und sich zuspitzen lassen konnte. Es gelingt einfach schon damals, eine neue musikalische Welt zu erschaffen, wie es später Mahler auch für sich reklamierte. Auch eine ausgewogene Linie von schnellen, witzigen, dramatischen, sowie langsam getragenen melodiösen Gebilden scheint irgendwie hier im Ansatz bereits voll herausgebildet. Das Orchester GIOVANILE LUIGI CHERUBINI hat das auch in einzigartiger Durchdringung unter seinem Leiter Manlio Benzi gespielt, der versteht, gute Tempi zu creieren, zu halten oder zu variieren. Auch der Chor des Teatro Municipale di Piacenza hat in der Einstudierung von Corrado Casati vielgestaltige Aufgaben zu bewältigen, und tut es in bester Form und mit rundem Wohlklang.
Aroldo ist mit Luciano Ganci ein nicht zu überbietender sehr starker Tenor. Er kann sein Gefühl über den Liebesverrat in stärksten stimmgewaltigen heldentenoralen Ausdruck umsetzen. Dabei bleibt die Stimme immer farbenreich und bestens metallisch timbriert.
Die Mina der Roberta Mantegna mit ihrem stimmlichen Auftritt jederzeit präsent und spielt eine ‚Entehrte‘, die ihre Würde trotzdem zu keiner Zeit verloren hat. In ihrem roten Kleid, das sie sich zu Beginn bei einer Liebesszene mit Godwin langsam wieder anzieht, wirkt sie dann nicht wie eine Traviata, ‚vom Weg abgekommene‘, sondern vermittelt auch dank ihres tollen Sopranglanzes eine starke Frau.
Der Egbert ist mit Vladimir Stoyanov ein echter Verdi-Bariton, der mit voller Brustpose sein Leid beklagt. Ein angenehm warmes kräftiges Timbre steht ihm in seinen heroischen Arien zur Verfügung.
Adriano Gramigni gibt den Brian. Gesten- und posenreich in seinem Faltenwurf singt er einen ebenfalls ausdrucksmächtigen gefühlten Baßbariton.
Den Godvin gibt fein tenoral aber mit viel weniger Textanteil Riccardo Rados, der sich in der Inszenierung auch eher zurückhaltend gibt, nachdem ihm die Flucht mit Mina verweigert wurde. Donato Scorza ergänzt das glanzvolle Ensemble als Minas Neffe Enrico.
Friedeon Rosén