RAVENNA FESTIVAL Juli 2018: ZWEI KONZERTE IN DER BASILICA SAN VITALE UND IM TEATRO DANTE ALIGHIERI
Das Ravenna Festival, als dessen Präsidentin bekanntlich Cristina Mazzavillani Muti, die Frau Riccardo Mutis, fungiert, und das im Sommer ein weitgespanntes Programm darbietet, wird heuer im November mit drei Verdi-Opern aus drei seiner weit auseinanderliegenden Schaffensphasen, nämlich Nabucco, Rigoletto und Otello, aufwarten, alle drei mit dem von Muti gegründeten Orchestra Giovanile Luigi Cherubini.
Im Juli konnten zwei Konzerte in der Stadt Theoderichs des Großen und ehemaligen Hauptstadt des Weströmischen Reichs besucht werden. Das eine stand unter dem Motto „Der wiedergefundene Gesang von Zither und Lyra – Tre fedi un solo Dio“ (drei Glauben(srichtungen) – aber nur ein Gott). Es ging dabei von der Musik der Maronitischen Kirche des Orients zu der hebräisch-sefardischen Überlieferung, von der Tradition der Sufi zu den Gebeten der mystischen Hildegard von Bingen. Ausführende waren Patrizia Bovi, Sopranstimme, Harfe und Leitung; Francoise Atlan, Sopranstimme, Percussion; Fadia Tomb El Hage, Altstimme; Gabriele Miracle, Percussion, Psalter und Peppe Frana, Oud, Laute. Alle Ausführenden sind auf ihren ‚Gebieten‘ absolut top, sind solistisch und in Ensembles mit bemerkenswerten Biographien tätig. Auf dem Programm stehen u.a.: Dodi Yarad, aus den ‚Gesang der Gesänge‘, Psalm des König David (hebräische Überlieferung); Ave generosa , Hymne für die Jungfrau Maria von Hildegard von Bingen Kyrie eleison, maronitischer Gesang in arabischer Sprache; Adona be Kol Shofar; liturgischer Gesang auf hebräisch der jüdisch-provenzalischen Überlieferung; Sawmo, syrisch-orthodoxer Gesang; Ex Agone sanguinis, Instrumental aus dem Codex Las Huelgas; Cum mucha lecenzia, spanisch-jüdischer Hochzeitsgesang; Stabat mater, aus der Überlieferung von Calenzana (Corsica); Lu giovedi sante, überlieferter Frauen-Gesang für Gründonnerstag aus Ischitella (Apulien) und Abo-d-Qush, maronitischer Gesang auf Aramäisch.
Das Konzert wurde im dunkel-suggestiven Schiff der Basilica San Vitale gegeben. Die drei Sängerinnen im Alter von 30 bis 40 Jahren warteten mit schönen, eher dunklen, sehr eigentimbrierten und gut ausgebildeten Stimmen auf und konnten ihren jeweiligen Sujets brillanten Ausdruck verleihen. Viele Lieder haben gemäß ihrer orientalischen Herkunft einen für unsere Ohren vielleicht traurigen oder herben Gehalt, der sich auch in den oft vorkommenden sog.Kirchentonarten widerspiegelt. Zusammen mit den folkloristischen Instrumenten bekommt man einen authentisch neuartigen Eindruck in diesen Klangwelten, der in der leicht halligen Kirchenakustik zeitweilig zum spektakulären Ereignis wird.
In einem weiteren Konzert wurde im Teatro Alighieri eine Hommàge an Ruggiero Ricci zu seinem 100.Geburtstag gespielt. Dieser Ausnahmegeiger ist mir seit frühen Jahren durch seine Einspielungen der großen Violinkonzerte auf Vinylplatten in bester Erinnerung. Es wurde mit dem Orchestra Giovanile L.Cherubini die Sinfonia von Il viaggio a Reims, das 4.Violinkonzert d-moll von Niccolò Paganini mit dem Geiger Wilfried Hedenborg, einem Schüler R.Riccis, und die 7. Symphonie A-dur von Beethoven gespielt, Dirigent Riccardo Muti. Il viaggio a Reims, das bei der UA floppte, ist großteils in Rossinis Comte Ory eingegangen, während die Sinfonia, die erst Richard Strauss 1938 an der Scala in seinem letzten Konzert in Italien aus der Taufe gehoben hat, in ‚Die Belagerung von Corinth‘ (1826) einfloß. Muti brachte sie mit seinen jungen MusikerInnen zu schönem Erklingen. In dem vielleicht etwas spröden 4.Violinkonzert Paganinis klingen im Adagio der Trauermarsch der Eroica und eine an Bellini gemahnende Melodie an. Einige intensive, dunkle Posaunenstellen weisen dagegen auf Sibelius und sein Konzert voraus. Der Widmungsträger des Konzertes, Ruggiero Ricci, war 1947 der Erste, der die 24 Cappricci Paganinis in ihrer ursprünglichen Gestalt aufnahm. Wilfried Hedenborg, Schüler Riccis am Mozarteum zu Salzburg, spielt auf einer modernen (nachgebauten) Guarneri del Gesù. Er spielt sie einzigartig, und der etwa 40jährige ist diesem artistischen Drahtseilakt in jeder Hinsicht gewachsen, auch in der erstmalig zu hörenden Kadenz Ruggiero Riccis.
Ein ganz abgeklärter Maestro Muti dirigiert danach die Siebte Beethoven, wobei er sicherlich seine jugendlichen Orchestermitglieder, die jeweils nach einem Triennio ausgewechselt werden und aus ganz Europa kommen, in diese rhythmisch dynamische energiessprühende Tanzapotheose auf seine ganz besondere Art einweisen konnte.
Friedeon Rosén