Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

RADEBEUL/ Landesbühne Sachsen: SAMSON ET DALILA – semiszenisch

21.01.2017 | Oper

Radebeul/Landesbühnen Sachsen: „SAMSON ET DALILA“ – SEMISZENISCH – 20.1.2017

Während an manch großem Opernhaus immer wieder die bekanntesten und gängigsten Opern neu inszeniert werden (und selten besser), wagen sich kleinere Bühnen an unbekannte und wenig gespielte Opern heran und haben damit Erfolg. An den Landesbühnen Sachsen, Deutschlands zweitgrößtem Reisetheater mit Stammhaus in Radebeul (unweit von Dresden) hatte kürzlich die zwischen 1868 und 1877 entstandene und am Deutschen Nationaltheater Weimar auf Betreiben von Franz Liszt uraufgeführte dreiaktige Oper „Samson et Dalila“ von Camille Saint-Saëns mit ihren „Ohrwürmern“ an Arien und Chören Premiere (14.1.2017).

Die Handlung basiert auf dem zwischen 1100 und 1000 v. Chr. entstandenen biblischen Buch der Richter und wurde von Librettist Ferdinand Lemaire im Stil seiner Zeit als Drama eines unüberwindlichen Widerspruches zwischen Liebe und Pflichtgefühl angelegt. Der kraftstrotzende Samson, die große Hoffnung des besiegten und geknechteten Volkes der Hebräer, fühlt sich als dessen Befreier berufen und kann der Liebe heuchelnden, verführerischen Dalila, Dagon-Priesterin aus den Reihen des herrschenden Erzfeindes, der Philister, nicht widerstehen. Er ahnt nicht, dass sie ihn hasst und nur Rache sucht und ihn letztendlich verrät.

Da Saint-Saëns ursprünglich ein Oratorium plante, lag eine semiszenische Einrichtung für das Radebeuler Theater, die Operndirektor und musikalischer Oberleiter Jan Michael Horstmann, der auch die musikalische Leitung hatte, besorgte, nicht allzu fern. Die Ausstattung von Stefan Wiel zaubert mit wenigen Mitteln, vorwiegend gemalten Elementen am Bühnenrahmen, vorderasiatisches, vorchristliches Flair. Es genügt völlig. Man vermisst nichts und assoziiert unwillkürlich diese örtlich und zeitlich fremde Welt, was an manch anderem Opernhaus mit großem materiellem und finanziellem Aufwand oft nicht gelingt. Obwohl in französischer Sprache (mit deutschen Übertiteln) gesungen wird, ist die Handlung mühelos zu verfolgen.

Der Orchestergraben ist überdeckt. Die Aktionsfläche läuft von der Bühne spitz zu bis in die ersten Reihen des Zuschauerraumes, durch den die handelnden Personen von verschiedenen Seiten kommen, so dass die Handlung unmittelbar ins Publikum getragen wird. Die Zuschauer finden sich mitten im Geschehen. Das zuverlässig spielende Orchester, die Elbland Philharmonie Sachsen, sitzt in zwei „Etagen“ auf der Bühne, unten die Streicher, oben die Bläser, was auch optisch sinnfällig ist.

Die beiden gut singenden Chöre, der Chor der Landesbühnen Sachsen und der Freie Opernchor Sachsen ChoruSa (Einstudierung: Sebastian Matthias Fischer) stehen zu beiden Seiten auf der Bühne (1. und 3. Akt) und vertreten wechselseitig (gemeinsam) die Geschehnisse aus der Sicht der Hebräer und der Philister. Chor und Orchester erscheinen in schlichtem Schwarz, die handelnden Personen in fantasievollen, Kostümen mit malerischer Gestaltung aus den theatereigenen Werkstätten, Dalila, Priesterin des Dagon, in verführerischem, hellem Kleid, Samson als orthodoxer Jude mit Kaftan und Schläfenlocken (Peot) – und Brille (in vorchristlicher Zeit!) als Zeichen seiner noch intakten Augen.

Zu Beginn wird der gesamte Raum abgedunkelt. Als Einstimmung werden Geräusche eines volkstümlichen Lebens (vom Band) hörbar, Hunde bellen, ein Heer zieht vorüber. Samson kommt durch den Zuschauerraum, verfolgt von Lichtkegeln, die ihn blenden. Im Koffer hat er alles, was er symbolisch für die Handlung braucht, einen sechsarmigen Leuchter,  Symbol Jehovas, mit dem er gegen das Schwert (hier ein langer Speer) des Satrap von Gaza ankämpft, ihn besiegt und mit der eigenen Waffe tötet, woraus sich der Hass des Oberpriesters und der Philister gegen die Hebräer und damit der Konflikt ergibt, und außerdem eine zweite Brille, um am Ende, obwohl ihm „das Augenlicht genommen“ wurde, wieder in der Bibel zu lesen!

Dass die Schläfenlocken bei Samson das wuchernde Haupthaar ersetzen sollen und ihr Abschneiden durch Dalila und den Oberpriester zwar in modernerer Zeit den absoluten Prestige-Verlust und damit vielleicht das emotionale Schwinden der Kräfte bei einem orthodoxen Juden bedeutet, erscheint hier dann doch – selbst symbolisch – für das sagenhafte „historische“ Ereignis etwas zu einfach und das Wegnehmen der Brille als „Blendung“ etwas naiv und zu sehr in die Gegenwart gezogen, zu der dann wiederum andere Details nicht passen. So ergibt sich ein „Gemisch“ aus Alt und Neu, das etwas von der Brisanz der Oper nimmt, ansonsten aber ist das Experiment einer halbszenischen Darstellung durchaus gelungen.

Gekonnt die Handlung unterstützende Beleuchtungseffekte sorgen für Anschaulichkeit und Belebung, einschließlich Blitz-Serie und Donnergrollen als Reaktion Jehovas, des Gottes der Hebräer. Für die Liebesszenen zwischen Samson und Dalila, bei denen warnend der alte Hebräer erscheint, bedient man sich der im 18. Jh. üblichen „Lebenden Bilder“ (Tableau vivant) wie sie selbst Richard Wagners Familienleben noch bereicherten. Sie verfehlen auch hier ihre Wirkung nicht.

Die Sänger-Darsteller waren, dem Charakter der Rollen entsprechend, gut gewählt. Für Silke Richter (Dalila) und Christian S. Malchow (Samson) gingen mit ihren Rollendebüts in den beiden Titelrollen Wünsche in Erfüllung. Trotzdem ist es für beide und auch Jan Michael Horstmann ein Abschied von den Landesbühnen.

 Silke Richter erschien als ansehnliche Dalila. Sie hatte keine Probleme mit Höhe oder Tiefe der Partie und auch nicht mit der französischen Sprache. Trotz dramatischer Fähigkeiten hätte man sich allerdings hin und wieder doch noch etwas mehr erotische Ausstrahlung und Leidenschaft gewünscht, die in der berühmten Arie „Mon coer s’ouvre à ta voix“ („Sieh, mein Herz erschließet sich“) aufflammte. Christian S. Malchow war ein zuverlässiger, mehr sachlicher als leidenschaftlicher Samson. Nur bei den Worten  „Ich liege, Herr, vor dir im Staube“ wurde seine Stimme weicher, zeigte er auch Gefühl.

 Paul G. Song sang mit Vehemenz und Engagement und kraftvoller, aber wenig ansprechender Stimme, was die gefühlte Antipathie gegen die Gestalt des unerbittlichen, ewig hasserfüllten Priesters der Philister noch verstärken konnte. Mit geschmeidiger, wohlklingender Stimme hingegen und dem warmen Ton eines alten, weisen Mannes überzeugte Hagen Erkrat als alter Hebräer, der Samson wohlmeinend, aber vergeblich vor der verführerischen Dalila und der neuen Kriegslist warnt. Michael König verlieh der Gestalt des Abimélech, Satrap von Gaza, Gestalt. Ein Kriegsbote sowie der Erste und Zweite Philister wurden von Youngkwang Bae, Jongsu Woo und Ho-Geun Lee aus dem Chor heraus gesungen.

 Die Balletteinlagen mussten zwangsläufig entfallen. Die Inszenierung war nicht zuletzt auch wegen der Maßstäbe setzenden Aufnahmen mit Agnes Baltsa, Olga Borodina, Marilyn Horne und Plácido Domingo, die nicht so leicht zu toppen sind, eine große Herausforderung. Die im Rahmen der Möglichkeiten dieses Theaters sehr gelungene halbszenische Inszenierung zeigt jedoch, dass auch mit wenig Mitteln, aber viel Fantasie, guten Ideen und vor allem Musikverständnis eine durchaus überzeugende Realisierung einer großen Oper auf kleinerer Bühne nicht nur möglich ist, sondern sich auch großer Zustimmung beim Publikum erfreut, nicht zuletzt, da die Oper seit über 100 Jahren nicht mehr in Dresden aufgeführt wurde.

Ingrid Gerk

 

Diese Seite drucken