Titelbild Programmheft. Foto: Ständetheater Prag
Opernrarität in Prag: „Lolita“ von Rodion Schtschedrin (Vorstellung: 8. 1. 2020)
Im Prager Ständetheater, in dem einst Mozarts Don Giovanni seine Uraufführung hatte, wird zurzeit die Oper „Lolita“ von Rodion Schtschedrin als Tschechische Erstaufführung mit tschechischen und englischen Übertiteln gespielt. Das Werk in zwei Akten, das im Jahr 1994 unter Rostropowitsch in Stockholm uraufgeführt wurde, entstand nach dem gleichnamigen Roman von Vladimir Nabokov, wobei das Libretto der Komponist selbst verfasste.
Der russische Komponist Rodion Schtschedrin (auch Shchedrin oder Šhedrin geschrieben) wurde 1932 in Moskau geboren und studierte bei Jurij Schaporin und Jakow Flijer. Er begann mit Ballettmusik, die er vornehmlich für seine Gattin Maja Plisetskaja schrieb. Seine bekanntesten Opern sind Nicht nur Liebe (Moskau 1961), die an Schostakowitschs Oper Nase anknüpfenden Toten Seelen (Moskau 1977) und eben Lolita. Bei den Salzburger Pfingstfestspielen 2012 kam seine Mini-Oper Kleopatra i zmeja mit Mojca Erdmann zur Erstaufführung. Sie hatte der Komponist ursprünglich für Anna Netrebko geschrieben, die damals jedoch wegen Krankheit absagen musste.
In der Prager Produktion von Lolita führte die Slowakin Sláva Daubnerová Regie, die geschickt die Drehbühne für ihre Inszenierung mit Wohnwagen und Motel nützte und damit stets für Bewegung auf der Bühne sorgte. Sehr dezent waren die unausweichlichen Sexszenen gespielt. Für die adäquate Ausstattung zeichnete Boris Kudlička, für die zeitgemäßen Kostüme Natalia Kitamikado verantwortlich.
Petr Sokolov, Pelageya Kurennaya. Foto: Petr Hornik.
Die russische Sopranistin Pelageya Kurennaya war eine zarte und auch verführerisch wirkende Lolita. Gesanglich bestach sie durch eine sichere Höhe, darstellerisch überzeugte sie in jeder Szene. Mit großem Raffinement lockte sie – auf dem Bett liegend – ihren „Gegenspieler“ Humbert zu sich. Sie kann als Idealbesetzung der Titelrolle angesehen werden. Beeindruckend auch der russische Bariton Petr Sokolov als verführter Humbert. Mit seiner lyrischen und dennoch kräftigen Stimme sowie seiner großen Bühnenwirksamkeit war er ein idealer Widerpart von Lolita. Seine Zerrissenheit spielte er in jeder Szene überzeugend.
Sehr temperamentvoll agierte die hübsche slowakische Mezzosopranistin Veronika Hajnová in der Rolle der Charlotte, Lolitas Mutter und Humberts Geliebte. Als sie bei einem Unfall stirbt, verreist Humbert mit seiner Stieftochter im Wohnwagen, wo er schließlich den Verführungskünsten Lolitas erliegt. Die zwiespältige Figur von Humberts Widersacher Clare Quilty, der das Geschehen als Filmproduzent immer wieder provokant kommentierte, wurde vom ukrainischen Tenor Alexander Kravets eindrucksvoll gespielt und gesungen.
Mit tschechischen Sängerinnen und Sängern waren die diversen Nebenrollen besetzt, die allesamt gute Leistungen boten und dadurch das Niveau der Aufführung hochhielten. Für die hohe musikalische Qualität sorgte der in Russland geborene Pianist und Komponist Sergey Neller als Dirigent des Prager Staatsopernorchesters.
Das Publikum im Prager Ständetheater zollte am Schluss der Vorstellung allen Mitwirkenden minutenlang Beifall, unter den sich auch Bravorufe für die Darsteller der beiden Hauptrollen Lolita und Humbert mischten.
Udo Pacolt