POYSDORF / Kellergstetten: Gustav Mahlers DAS LIED VON DER ERDE und MÄRCHEN von Ravel
Von Manfred A. Schmid
Benjamin Bruns, Nadine Weissmann, Matthias Fletzberger und Orchester. Foto: Gesine Görlich-Fletzberger
Große Werke in kleiner Besetzung dem Publikum näher zu bringen, das ist das anspruchsvolle und mutige Konzept von Klassikamplatz.at. im nördlichen Weinviertel. Der Aufführungsort – ein muschelförmiger Platz am Eingang zum Kellergassenviertel von Poysdorf – bietet nicht nur eine überraschend gute Akustik, sondern wurde auch gewählt, um mit der Einbindung in das Alltagsleben der Stadt neue Besucherschichten anzusprechen. Zur Komplettierung des verlockenden Angebots dürfen auch kulinarische Genüsse und die vorzüglichen regionalen Weine selbstverständlich nicht fehlen.
Den Anfang auf der „Gstettenbühne“ macht ein erstklassig besetztes Konzert mit zwei Werken aus der Zeit des fin de siècle. Maurice Ravels Ma mère l’oye (Mutter Gans) entstand in den Jahren 1908-1911 in mehrere Fassungen, von denen die instrumentale 1911 uraufgeführt wurde. Das vom Intendanten und musikalischen Leiter von Klassik am Platz, Matthias Fletzberger, eigens für dieses Weinviertler Festival zusammengestellte dreizehnköpfige Ensemble am Platz taucht bei diesem Werk ein in eine zauberhafte Welt von betörender Schönheit. Das fünfsätzige Werk erzählt vier Märchen, darunter Dornröschen, Der kleine Däumling, Die Schöne und das Biest und endet mit einem Abgesang, in dem eine wunderschöne Gartenlandschaft mit zum Teil bizarren und archaisch anmutenden Klängen besungen wird. Einfachheit, Naivität und exotisierende Passagen prägen dieses Werk, das von Ravel auch als Ballett bearbeitet wurde. Das Ensemble lässt diese Märchenwelt in allen impressionistischen Farben erblühen. Ein exzellentes hors d’ouevre, wie Matthias Fletzberger meint, bevor es in die Pause geht.
Was folgt, gehört zum Schönsten und Ergreifendsten, das Mahler geschrieben hat. Das Lied von der Erde, wie Ravels Märchensuite 1908 entstanden, ist ein wehmutsvolles, von Trauer, Abschied und immer wieder aufbrechender, verzweifelter Lebenslust umwehtes Werk. Schwere Kost, dieses Mittelding zwischen Orchesterlieder-Zyklus und Symphonie, und doch passt dieses Werk – gespielt wird die Kammerfassung von Arnold Schönberg – in die Umgebung, in der es an diesem Abend erklingt. Es beginnt mit einem trotzig aufbegehrenden Trinklied, das den „Wein im gold’nem Pokale“ besingt sowie den Keller, „der die Fülle des goldenen Weins“ birgt. Doch „Das Trinklied vom Jammer der Erde“ kippt immer wieder jäh in die tiefste Depression und Todesahnung, befand sich der Komponist damals, nach dem jähen Tod seiner vierjährigen Tochter und dem von Pressekampagnen erzwungene Rücktritt als Hofoperndirektor, doch in einer tragischen Verfassung. Mit der resisgnierenden Quintessenz, „Dunkel ist das Leben, ist der Tod“, endet jede Strophe. Die hier beschworene Nähe von Leben und Tod ist wohl etwas, das der österreichischen, insbesondere die Wiener und weinviertlerische Seele, vor allem in Heurigen-Stimmung, nicht fremd ist.
Benjamin Bruns. Foto: Gesine Görlich-Fletzberger
Benjamin Bruns ist ein hervorragender Gestalter dieser abgrundtiefen Strophen. Ein hellklingender Tenor mit emotionaler Ausdrucksstärke und der Fähigkeit, Spannungsaufbau und – abfall wirkungsvoll zu gestalten, was er auch im zweiten Trinklied, „Der Trunkene im Frühling“ sowie im Lied „Von der Jugend“ unter Beweis stellen kann, die jeweils kann grundsätzlich andere Stimmungen reflektieren. Ist in dem einen das Weintrinken ein Mittel zur beschwingten Weltflucht, geht es im anderen um eine impressionistische, japonisierende bzw. chinoiserierende Beschreibung des Zustands jugendlicher Unbekümmertheit. Hervorzuheben ist die Wortdeutlichkeit des Vortrags bei Bruns Debüt in dieser Partie.
Nadine Weissmann. Foto: Gesine Görlich-Fletzberger
Bruns Partnerin auf dem Podium ist die deutsche Sängerin Nadine Weissmann, die in Mahlers Lied von der Erde ebenfalls erstmals auf der Bühne steht. Die hochgelobte Wagner-Interpretin, mit Auftritten in Bayreuth und bei den Salzburger Festspielen, verfügt über einen hell-timbrierten, voluminösen Mezzosopran und weiß ihre wohltönende Stimme fein modulierend einzusetzen. Mit dem einfühlsam gestalteten letzten Teil, „Der Abschied“, liefert sie den erwarteten Höhepunkt des Abends. Mahlers Anweisung zu diesem halbstündigen Finale lautet „Schwer“. Wie singt man „schwer“? Auslotend und ernst gestaltet Weissmann das lange Ringen hin zum transzendierenden Höhepunkt auf einer Reise, die aus tiefer Einsamkeit in die Ewigkeit, vielleicht aber auch ins ewige Nichts führt.
Matthias Fletzberger. Foto: Gesine Görlich-Fletzberger
Matthias Fletzberger und sein Ensemble begleiten die Sängerin aufmerksam und höchst präsent auf diesem schweren Weg. Besonders eindrucksvoll der instrumentale Trauermarsch, der in unvermittelte Tamtamschläge mündet und noch einmal Hoffnung und Aufbruch signalisiert, bevor es unweigerlich zum endgültigen Abschiednehmen kommt.
Ein großer Konzertabend mit leider viel zu wenig Publikum. Insgesamt gäbe es Platz für über 300 Personen. Aufgrund des schwachen Vorverkaufs wurden ohnehin nur Plätze für rund 80 Personen vorbereitet. Gekommen sind dann an die – hochgeschätzt – 50 Personen. Bleibt nur zu hoffen, dass nächste Woche, am 13. August, der Zuspruch besser ausfallen wird. Geboten werden Auszüge aus Ariadne auf Naxos von Richard Strauss, gesungen von Camilla Nylund und ihrem Gatten, dem Tenor Anton Saris. Ein Aufruf an die Wiener und die Bewohner rundum: Aufwachen, liebe Leute! Und von Wien sind es im Auto auch nur rund 45 Minuten!