POTSDAMER WINTEROPER / Schlosstheater im Neuen Palais Potsdam-Sanssouci ARMIDA – letzte Aufführung der Serie; 30.11.204
„Rinaldos Konflikt besteht ja im Grunde darin, in den Kampf zu ziehen oder sich in Armidas Bett zu legen.“ Konrad Junghänel
Aytaj Shikhalizada, Liam Bonthrone. Foto: Stefan Goede
Diese „Armida“ Aufführung, Dramma eroico in drei Akten von Joseph Haydn auf ein Libretto nach Torquato Tassos „Gerusalemme liberata“ markiert nicht nur die Dernière der am 16.11. gefeierten Premiere. Armida in der abstrakt ins Heute transferierten Inszenierung von Björn Reinke und den praktikabel minimalistischen Bühnenbildern von Sibylle Gädeke war am 30.11. definitiv die letzte Aufführung am Schlosstheater im Neuen Palais Potsdam Sanssouci vor einer langjährigen Sanierung. Dann wird die Winteroper ihren exquisiten Aufführungsort in diesem schönen Amphitheater im Stile des Friderizianischen Rokoko mit die Bühne umrahmenden vergoldeten Palmen und Trophäen mit Musikinstrumenten vorerst einmal räumen müssen.
Haydns letzte Oper Armida wurde 1784 im Hoftheater Eszterháza uraufgeführt. Diese Opera seria setzt auf einen im 18. Jahrhundert gängigen Stoff um den Kreuzritter Rinaldo. Dieser kann sich schwer zwischen seinen dringlichen Aufgaben als Krieger und der Attraktion der schönen Armida entscheiden. Denn das Heer der Christen ist vom Jordanufer aus in das Reich des Sarazenenkönigs Idreno vormarschiert. Damit die Ritter nicht Damaskus erreichen und später die Stadt Jerusalem dem Christentum zurückerobern, soll Idrenos Nichte Armida mit weiblichem Verführungszauber die besten aus dem Heer des Gottfried von Bouillon umgarnen und hierauf töten. Dumm nur, dass sich Armida unsterblich in den schönen Rinaldo verliebt und auch der Ritter den sexuellen Reizen der Zauberin erliegt.
Fast die ganze Oper hindurch schwankt unser Held, der dramaturgisch im Zentrum des Geschehens steht, auf eine ziemlich rockzipfelige Weise. Zuerst kämpft der emotional Umnebelte sogar noch gegen die eigenen Glaubensbrüder, um die Hand Armidas zu erlangen. Sobald seine Kumpels Ubaldo und Clotarco (der sich wiederum in Armidas Mitstreiterin Zelmira, Tochter des Sultans von Ägypten, vergafft) auftauchen, duckt sich Rinaldo schuldbewusst weg. Im zweiten Akt kehrt er nach viel Hin und Her, Zorn, Wut und Verachtung seitens der potentiell Verschmähten doch ins Lager der Kreuzritter zurück. Beide Seiten werfen Rinaldo Betrug, Untreue, Eidbruch vor. Armida droht sogar mit Selbstmord, um Rinaldo zum Bleiben zu bewegen. Nützt alles nichts. Rinaldo folgt final seinem christlichen Glauben und im musikalisch innovativsten dritten Akt spaltet er trotz Anrufung der Geister und Furien durch Armida den Myrtenstrauch. Der Kriegsheld hat seine Wahl getroffen.
Natürlich geht es in Haydns Oper nicht nur ums Politische, missionarische Religionskriege und Fragen von (männlicher) Ehre und Pflicht, sondern auch ums Intim-Private und die generelle Frage, welchen Stand die Liebe in Zeiten von Krieg und gegenseitigem Morden hat. Die Antwort lautet wohl bis heute: einen schweren. Und mit solcher Beziehungsfeindlichkeit verbunden ist unendliches menschliches Leid, das nicht nur die Männer ausbaden müssen, sondern vor allem Frauen, deren Männer in den Krieg ziehen müssen.
Genau das hat auch Regisseur Björn Reinke aufgegriffen und verlegt die Handlung ohne genaue szenische Verortung in eine Welt, in der es um konkrete persönliche Schicksale geht und darum, welchen Ausnahmesituationen und inneren Konflikten Menschen im Krieg ausgesetzt sind. Das ist es ja, wovon uns die Musik Haydns in den großartigen, wahrlich virtuosen wie emotional berückenden Arien und kunstvollen Ensembleszenen erzählt.
Laut Reinke steht der Zauberwald für den Wahnsinn in Rinaldos Kopf, ausgelöst durch Hemmungen abbauende Drogen. Das kann man so sehen. Einige Einfälle sorgen für unfreiwillige Komik, etwa wenn im Zauberwald nicht Nymphen den Helden umschmeicheln, sondern die Statisterie mit Hirschgeweihen herumwuselt oder Zelmira (diejenige unter den beiden Protagonistinnen, die sich am stärksten der Konvention verweigert) mit einem E-Roller auf die Bühne kommt und – wie banal – als Friedensaktivistin gedeutet wird. Letzterer Ansatz geht mir das als mögliches Heilsversprechen für eine künftige Welt in Frieden und Freiheit zu weit. Wir wissen ja, wie sehr ein Großteil der 68-er Generation in selbstbezogenem Spießertum endete. Schauen wir mal, wie die Generation Z in 20 Jahren tickt.
Liam Bonthrone, Aytaj Shikhalizada Foto: Stefan Goede
Die musikalische Seite ist vor allem sängerisch höchst beachtlich. Und da haben mir es in erster Linie die Tenöre angetan. Der schottische Tenor Liam Bonthrone, bis vor kurzem Mitglied des Opernstudios an der Bayerischen Staatsoper München, bringt für die Rolle des Rinaldo nicht nur eine bewegliche, bestens fokussierte Stimme mit stupender Höhe mit, sondern auch heldischen Aplomb und ein darstellerisches Potential sondergleichen. Aus dem ständigen Schwanken der Figur formt dieser Sympathieträger glaubhaft einen modernen Typus in Zeiten von Unübersichtlichkeit und emotionaler Diversität. Wunderbar. Seine Arien ‚Vado a pugnar contento‘ und ‚Cara, é vero, io sono tiranno‘ zählen zu den vokalen Highlights der Aufführung.
Auch der dunkler timbrierte australische Tenor Michael Smallwoood als Ubaldo und Hugo Hymas als Clotarco beweisen einmal mehr, wie gut es aktuell im Nachwuchs um das Stimmfach der lyrischen Tenöre bestellt ist. Dagegen hat der kalifornische Bassbariton Evan Hughes als zwar optisch eindrücklicher Idreno einen schweren Stand. Zu gaumig und grob setzt er seine groß kalibrierte Stimme ein.
Aytaj Shikhalizada bringt für die anspruchsvolle Titelfigur der Armida, d.h. alle Emotionen vom Gurren, Flehen bis zum rasenden Furor, einen metallisch dramatischen, koloraturgewandten Mezzo mit. Die ausdrucksstarke Sängerin, die ihre ersten Sporen im Opernstudio der Staatsoper Unter den Linden verdiente und schon die Eboli in Verdis „Don Carlo“ im Angebot hat, macht aus Armida eine differenzierte, komplexe Person aus Fleisch und Blut. Und erhebt sie so aus dem Fabelreich der Zauberin zu einer nachvollziehbar agierenden Identifikationsfigur. Wenn sie noch an manch Härten im Stimmansatz und an einer ausgefeilteren Pianokultur arbeitet, steht einer großen Karriere wohl nichts im Wege. Für ihre virtuose Arie ‚Ah, non ferir: t’arresta‘ heimst sie verdient den Jubel des Publikums ein.
Susanna Jerosme, deren weit gefächertes Repertoire von Alter Musik bis zur klassischen Moderne reicht, ist in jeglicher eine hinreißende Zelmira. Mit karamellfarbenem lyrischem Sopran entzückt sie nicht nur in der Arie ‚Torna pure al caro bene‘. Die Winteroper Potsdam erweist sich mit ihrer Besetzungspolitik einmal mehr als geschickte Talenteschmiede. Gut so.
Die Kammerakademie Potsdam unter der allzu kantigen musikalischen Leitung von Konrad Junghändel bringt zwar die Dramatik der Partitur adäquat zum Ausdruck, enttäuscht aber mit hartem Streicherklang und wenig Feeling für die feineren, zarteren Zwischentöne, für die pannonische Geschmeidigkeit dieser so reichen, nach wie vor unter Wert gehandelten Partitur. Die großartige Cembalistin Rita Herzog glänzte mit perlendem Anschlag.
Dr. Ingobert Waltenberger