POTSDAM / Schlosstheater im Neuen Palais Potsdam – Sanssouci „IL MATRIMONIO SEGRETO“ – Premiere, 11.11.2022
Erstaufführung der Neuedition von Federico Gon und Guido Olivieri – ein lachtränenreiches Vergnügen!
Foto: Dr. Ingobert Waltenberger
Die traditionelle Winteroper in Potsdam, eine Kooperation der Kammerakademie Potsdam und des Hans Otto Theaters Potsdam, ist dieses Jahr dem Dramma giocoso in zwei Akten „Die heimliche Ehe“ von Domenico Cimarosa gewidmet. Eine opera buffa im allerbesten Sinn des Wortes, musikalisch irgendwo zwischen Mozart und Rossini zu verorten, ohne jedoch in der kompositorischen Tiefe mit Mozarts noch als Melodiker mit Rossinis Einfallsreichtum gleichziehen zu können. Dennoch gelingen Cimarosa in diesem harmlos-erotischen Verwirrspiel hin- und mitreißende Ensembleszenen, die heute noch genauso beim Publikum ankommen wie vor 230 Jahren. Vor allem dann, wenn die Oper musikalisch als auch szenisch und von der Personenführung so brillant und urkomisch umgesetzt werden wie jetzt in Potsdam.
Da kann nur empfohlen werden, hinzugehen und sich diesen grandiosen Spaß anzusehen. Auch Kaiser Leopold II war so angetan von Cimarosas funkelndem Bühnenwitz, dass er nach der zweiten Aufführung am Wiener Burgtheater die ganze Oper in seinen Privatgemächern wiederholt werden musste.
Kaiser Leopold hatte Cimarosa 1791 aus seinem St. Petersburger Engagement bei Zarin Katharina II nach Wien geholt, wo er die Nachfolge von Antonio Salieri als Hofkomponist antrat. Peter Leopold kannte Cimarosa noch aus seiner Zeit als Großherzog der Toskana. Der über alle Maßen misstrauische Herrscher – vor allem revolutionäre französische Agenten fürchtend – hatte auch schon den freigeistigen Da Ponte zur Ausreise gezwungen. Ihm folgte als Poet der kaiserlichen Theater der Librettist Giovanni Bertati nach.
Der Wunsch des Kaisers nach einer Zusammenarbeit seiner beiden höfischen künstlerischen Leitfiguren gipfelte in der Oper „Il matrimonio secreto“, einem der nicht seltenen „One Hit Wonder“ der Musikgeschichte. Nouveau riche gegen verlotterten Landadel. Nicht erst der „Rosenkavalier“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal hat sich genau dieses Themas angenommen. Bertati hat sich die englische Komödie „The Clandestine Mariage“ von George Colman d.Ä. und David Garrick als literarische Vorlage für sein Opernlibretto gewählt. Er italienisierte das Sechs Personen Stück in der besten Commedia dell’arte Manier und der Grundstein für den Welterfolg war gelegt.
In Potsdam inszenierte Adriana Altaras das Stück beißend sarkastisch als eine schrille Familien-Soap mit lauter herrlich verqueren Charakteren, die am Ende allesamt das Herz des Publikums erobert haben. Die zwei rivalisierenden Schwestern Carolina und Elisetta als auch Fidalma, die begüterte, verwitwete Schwester des reichen Bologneser Kaufmanns Geronimo leben friedlich unter einem Dach. Wäre da nicht der niedliche Handelsgehilfe Paolino, eine Art cherubino d’amore, der allerlei erotische Fantasie zum Klingen bringt. Und so sind die quicke Carolina (in der Inszenierung ist sie bereits schwanger) und der schnuckelige Paolino längst ein Paar und heimlich verheiratet. Was natürlich zu einer Welle an Verwechslungen und Begehrlichkeiten führt, will doch Graf Robinson, der Elisetta gegen eine stattliche Mitgift von 100.00 Scudi heiraten soll, partout die jüngere Carolina haben. Und die Tante wiederum will Sex mit Paolino.
Geronimo ist nicht nur der typische Aufsteiger, der sich seine gesellschaftliche Legitimation beim verarmten Adel erkaufen will, sondern auch schwerhörig und beginnt in stressigen Situationen zu stottern. Natürlich lugen die Gedanken der Aufklärung ins gefühlige qui pro quo, als am Schluss ausgerechnet der Graf an die Vernunft appelliert und dafür wirbt, dem Liebespaar zu verzeihen. Was alle tun und dem Happy End samt Baby in der neuen Großfamilie nichts mehr im Wege steht.
Im Schlosstheater im Neuen Palais, einem exotisch anmutenden hohen Theatersaal im Stile des friderizianischen Rokoko, hat Bühnenbildner Matthias Müller eine Verlängerung der spätbarocken Architektur des Schlosses in den Bühnenraum hinein gewuchtet. Da ist in einem renovierungsbedürftigen Ambiente eine wohl dem Dirigenten zu Ehren Caffée Cremonesi genannte Gaststube eingerichtet, mit einer wuchtigen Barista-Maschine, einigen Bistrotischchen und Stühlen, was als Ausstattung genügt.
Die Besetzung ist schlichtweg genial. Allen voran die zypriotische lyrische Koloratursopranistin Theodora Raftis als augenrollend kecke Carolina und der fantastische Rossini-Tenor Manuel Amati als hübscher, aber nicht gerade heroischer Paolino. Adriana Altaras, die für ihre frech komödiantische Personenregie auf Elemente des Bewegungstheaters zurückgreift (wir kennen das in der Oper u.a. von Peter Sellars Cosí fan tutte Film), hat sich zudem Anregungen von Fernsehserien bzw. der Welt des Hard-Rock geholt. So sieht Carolina aus wie Rachel Berry in der US-High School Serie Serie „Glee“ und Paolino rockt am Ende der Oper wie AC/DC Gitarrist Angus Young mit einem Riesenpinsel quer über die Bühne.
Foto: Stefan Goede
Die Mezzosopranistin Rosa Bove gibt eine üppige Zia in vollem Saft, immer am Jüngling Paolino dran. Mit ihrem Erbe will sie sich den Leckerbissen zur lustreichen Ausgestaltung der Zukunft angeln, wäre da nicht diese verflixte heimliche Ehe. Anna Maria Sarra gibt eine gar köstliche Studie als vom Grafen lange verschmähte, schnöselig ihren „Aufstieg“ herbeisehnende Frau zum Besten. Ihren Frust zähmt sie mit der Weinflasche in der Hand oder einem picksüß-bunten Riesenlutscher à la Katy Perry.
Marc-Olivier Oetterli als bärbeißiger Geronimo, begegnet uns als ein langhaariger Althippie mit Kopfhörern. Der tempermentvollen Frauenschar im Haus ist er kaum gewachsen. Rein stimmlich reüssiert Oetterli ganz vorzüglich als brummiger Buffobass. Der chilenisch-italienische Bariton Christian Senn gibt mit kerniger Stimme den steifen Grafen als patscherter Weiberer, der am Ende aus einem Gefühl echter Zuneigung heraus für Carolina zu Verständnis reift und die Familien-Zusammenführung initiiert.
Adriana Altaras kann für ihre kluge und leichtfüßig unterhaltsame Inszenierung gar nicht genug gewürdigt werden. Wie es ihr gelingt, die endlosen und manchmal sich ewig wiederholenden Phrasen der Arien zu schauspielerischen Kammerstückerln zu formen, ist hohe Bühnenkunst. Weiße Schnüre als Spaghetti, ein paar Plastikteller und Becher genügen ihr als Requisiten, um das Publikum zu Lachstürmen hinzureißen. Das gesamte Ensemble ist schauspielerisch-komödiantisch, aber auch sängerisch-expressiv und von der Wortdeutlichkeit her über den Maßen fit. Wie die schwachmatischen Männer und die durchtriebenen Frauen, allesamt bis auf das junge Ehepaar selbstbesoffene Egos im sozial-moralischen Korsett der Zeit befangen aus ihren Schablonen heraus zu Figuren aus Fleisch und Blut werden, ist bewundernswert und szenisch schlüssig gelöst.
Foto: Stefan Goede
Die Männer machen ihre Geschäfte, verfolgen ihre Ziele nachdrücklich, pochen dafür stur auf ihre Ehre. Die Frauen im steten Zickenkrieg sind alles andere als untereinander solidarisch. Wenn es darum geht, die vermeintlich unliebsame Konkurrentin Carolina auszuschalten, ist der Schwester und der Tante alles recht. Der Ruf „Ab ins Kloster“ kommt hier nicht wie im Rosenkavalier vom reichen Herrn. Die Tante greift sogar zum Messer, wenn es denn nicht anders geht. Lieber eine tote Nichte, als auf den jungen Lover zu verzichten. Natürlich gibt es italienische Klischees zuhauf, am Ende steht die Familie über allem.
Attilio Cremonesi und die auf Alte Musik, Klassik und Frühromantik spezialisierte Kammerakademie Potsdam präsentieren Cimarosas Musik temporeich, voller Drive und rhythmisch unwiderstehlich knackig. Am Hammerklavier, das auf einem auch szenisch genutzten Halbrund vor dem Orchester platziert ist, zieht Rita Herzog gekonnt die Continuo-Register.
Schlussapplaus. Foto: Dr.Ingobert Waltenberger
Alles in allem war der Opernabend bestens gelungen, unterhaltsam und musikalisch als auch von der Regie her vom Feinsten. Hingehen, solange es dazu noch Gelegenheit gibt. Da es keine königliche Loge gibt, verfolgte Friedrich der Große das Spektakel von der dritten Reihe Parkett aus. Als kleiner Tipp, wenn Sie diese Sicht auch genießen wollen.
Nächste Termine
Samstag, 12.11.2022, 19 Uhr (Einführung um 18 Uhr)
Donnerstag, 17.11.2022, 19 Uhr (Einführung 18 Uhr)
Samstag, 19.11.2022, 19 Uhr (Einführung 18 Uhr)
Sonntag, 20.11.2022, 16 Uhr (Einführung 15 Uhr)
Donnerstag, 24.11.2022, 19 Uhr (Einführung 18 Uhr)
Samstag, 26.11.2022, 19 Uhr (Einführung 18 Uhr)
Sonntag, 27.11.2022, 16 Uhr (Einführung 15 Uhr)
Dr. Ingobert Waltenberger