Christopher Lowrey, Ruby Hughes. Copyright: Stefan Gloede
POTSDAMER WINTEROPER 2018/Friedenskirche: THEODORA, szenisches Oratorium – Koproduktion von Kammerakademie Potsdam und Hans Otto Theater; PREMIERE, 22.11.2018
In Österreich kennt man Kirchenopern in szenischer Form etwa vom Carinthischen Sommer her, durch hochkarätige (Ur) Aufführungen in der Stiftskirche Ossiach. In Brandenburg wird diese Tradition seit 2013 gepflegt. Hier dient die Potsdamer Friedenskirche im Schlosspark Sanssouci/Marylgarten als Aufführungsstätte musikdramatischer Werke mit biblischen Stoffen. Die architektonisch romanischen oberitalienischen Klosterbauten nachempfundene Säulenbasilika aus dem 19. Jahrhundert bildet für die Inszenierung des späten Händel-Oratoriums „Theodora“ den stimmungsvollen Rahmen.
Bühnenbildner Matthias Müller, zugleich technischer Direktor am Hans-Otto-Theater, hat für die szenische Aufbereitung über das gesamte Kirchenschiff hinweg zentral einen gewaltigen Laufsteg in weißer Marmoroptik geschaffen. Das Publikum ist ähnlich einer Fashionshow rundherum platziert. Zuerst ist die Apsis noch mit rotem Tuch verhangen, erst im zweiten Teil werden Friedenstaube und Kreuz sowie das spektakulär schöne veneto-byzantinische Mosaik mit sitzendem Christus sichtbar.
Sabine Hartmannshenn, die im September in Chemnitz ihre Regiearbeit von Wagners Siegfried erfolgreich abschließen konnte, hat sich für die Bebilderung und Personenregie für dieses statisch antikische Oratorium mit frühchristlichen Bezügen ein frech-zeitgenössisches Setting einfallen lassen. Gemeinsam mit ihrem Leading Team, der Kostümbildnerin Edith Kollath und Choreograph Lukas Kretschmer hat Hartmannshenn den sakralen, aber gleichzeitig der Repräsentation irdischer Herrschaftsverhältnisse dienenden Ort in einen Laufsteg menschlicher Eitelkeiten verwandelt. Das den Römern zum Verwechseln ähnliche Berliner Partyvolk dürfen als handybewaffnete Modefreaks in Flitter, schwarzem Leder und grell verspiegelten Sonnenbrillen die Bühne stürmen. Der schöne Party-Schein geht den „Ich-firmigen“ Römern offenbar über alles. Also sollen dem Kaiser Diokletian anlässlich seines Geburtstages ausschweifende Feste und dem Gott Jupiter Opfergaben bereitet werden.
Alle sind dabei, wenn der autokratisch regierende Statthalter in Antiochien, Valens, dem in schwarz punkigem Outfit forsch auftretenden Offizier Septimius die Durchführung des Fetischfests anordnet. Wirklich alle? Nein, ein flottes Dreiergrüppchen widersetzt sich dem Befehl. Die damals freilich als sektiererisch geltenden Christinnen Theodora und ihre Freundin Irene sowie der schwärmerisch verliebte Didymus lassen sich durch gesellschaftlichen Druck und die massive Gruppendynamik nicht in ihrer Mission beirren. Natürlich kann Valens nicht verstehen, dass sich jemand der neureichen Attraktivität eines glamourösen Luxuslebens entziehen möchte.
Das Gewissen erlaubt es Theodora nicht, einem anderen Gott zu huldigen. Es kommt wie es kommen muss: Theodora und Didymus erleiden den Märtyrertod und singen im Himmel vereint ihr letztes Duett. Hier greift die Inszenierung ganz schön tief in die Kitschkiste, die ironische Brechung auf die Spitze treibend. Theodora im Habitus einer schwarzen Madonna und der zum Christentum bekehrte römische Offizier Didymus können im Jenseits nun so richtig lange und ausgiebig miteinander schmusen. Genau dieser oberflächliche Gag erweist sich als hybride Schwachstelle der Regie. Es wäre bei solch einer Aktualisierung konsequenter gewesen, entweder auf die religiöse Konkretisierung mittels Gebetsbücher ganz zu verzichten und die für heutige Verhältnisse schwer verdauliche Handlung ganz auf individualpsychologische Aspekte zu zentrieren. Mit Menschen, die als Subjekte Haltung auch bei massivem Gegenwind zeigen können. In der frühchristlichen Variante wird den Märtyrern ja noch das Paradies versprochen. Daher trauen sie sich auch so mutig für ihre Überzeugung in den Tod zu gehen. Kennen wir das heute nicht von irgendwo her?
Die Regie spielt stark mit Farbsymbolen der Kostüme. Theodora, Irene und Didymus werfen schon bald allen Chichi ab und tragen nur noch sakrales schwarz-weiß. Der Chor darf am Ende nach der Bekehrung rote Schals tragen. Die Stärke der Inszenierung liegt ganz eindeutig in der Personenregie. Da werden die Figuren des Stücks in feiner Übertragung der empfindsamen Musik Händels in intime und präzise Beziehung zueinander gesetzt. Berührend ist insbesondere, wie das christliche Dreigespann untereinander agiert, aber auch Septimius in seiner Vermittlerrolle, an der er krachend scheitert und seinen Offiziersfreund Didymus schließlich mittels Erdrosselung brutal ins Jenseits befördert.
Die Musik zu Theodora ist überwältigender Händel at his best und hat viele Facetten. Sie ist innig, prächtig, kontrapunktisch raffinert. Besonders ab dem zweiten Teil mit der Sinfonia, die Reminiszenzen an Purcells Funeral Musik heraufbeschwört, löst sich die Realität in komplett introspektiven Szenen auf. Die Akteure besingen entweder ihr Festhalten an alten Mustern (Valens), ihr komplexes Innenleben, Ängste, Furcht und Hoffnung oder feiern ihre Individualität in Liebe und Zuneigung, wofür auch die drei Duette mit Theodora als musikalische Höhepunkte des Abends stehen.
Der Alte Musik Kenner Konrad Junghänel dirigiert die Kammerakademie Potsdam und die vereinten Kräfte des Vocalconsort Berlin und der Vokalakademie Potsdam. Im Rahmen der Potsdamer Winteroper leitete er bereits Mozarts „Così fan tutte“ und „Die Entführung aus dem Serail“ im Schlosstheater sowie Händels „Jephtha“ und „Israel in Egypt“ in der Friedenskirche. Junghändel greift, wie er im Interview betont, Freiheiten auf, die die Partitur den Interpreten bezüglich Dynamik, Tempo, Akzentsetzung lässt. Ich meine, der Dirigent, der die Noten klassisch feinsinnig und nuanciert detailreich in Klang übersetzt hat, hätte im ersten Teil mehr an dramatischen Impulsen setzen können. Grosso modo hat das historisch informierte Musizieren des vorne links im Kirchenschiff akustisch ein wenig problematisch postierten Orchesters aber gefallen.
Gesungen wurde dem Original gemäß in englischer Sprache. Der walisische Bass Neal Davies in der Rolle des Politikers Valens überzeugte mit gepfefferten Koloraturen und forschem Vortrag. Sein Offizier Septimius wurde vom jungen britischen Tenor Hugo Hymas mit der nötigen Ambivalenz ausgestattet. In der großartigen Arie „From virtue springs each gen’rous deed“ plädiert er mit schwindelerregenden Verzierungen für Großmut. Hymas singt stilistisch ganz hervorragend in der großen Tradition britischer Tenöre. Neben Alter Musik würden ihm sicher zeitgenössische Werke und Lieder gut zu Stimme stehen. Die Palme unter den männlichen Protagonisten gebührt dem amerikanischen Countertenor Christopher Lowrey in der großen Rolle des Didymus. In der Arie „Deeds of kindness to display“ erreicht Lowrey eine zutiefst berührende Intensität, eine emphatische Verzückung, die unter die Haut geht. Die frische Stimme blüht in allen Lagen, der rund-samtige Ton verfügt über ein volles Arsenal an Farben. Auf CD ist Lowrey in der vorzüglichen neuen Aufnahme von Händels „Theodora“ beim Label Pinchgut Opera zu hören.
Ruby Hughes. Copyright: Stefan Gloede
Die Titelrolle sang Ruby Hughes mit lyrisch hellem Sopran, mit dem sie auch dramatische Akzente zu setzen vermag. Von einer leichten Indisposition geplagt, brauchte die charismatische Sängerin einige Zeit, um anfängliche Härten in den Tonansätzen zu überwinden. Vier Arien, ein Solo mit Chor und drei Duette hat sie zu absolvieren. Wie sie im Duett „To thee, thou glorious son of worth, be life and safety giv’n“ ihren luxuriösen Sopran mit der Stimme des Counters verschmelzen lässt, ist ereignishaft. Als zentrale Figur hat sie wohl den Löwenanteil an der Umsetzung des Regiekonzeptes zu tragen, was ihr bravourös gelingt. Ihr zur Seite orgelt die glamouröse Kölner Mezzosopranistin Ursula Hesse von den Steinen einmal nicht die Fricka, sondern die anspruchsvolle Rolle der Irene. Ihr üppiger Alt fühlt sich so gut an wie heiße Schokolade mit Rum. Endlich kann wieder einmal ein dramatischer Mezzo und eine schillernde Künstlerin zeigen, wie wunderbar Barockes aus voller Kehle gesungen, aber dennoch höchst präzise in den Koloraturen und kleinen Noten, klingt.
Dem Kammerchor, deren Mitglieder allesamt sehr gute Solistinnen und Solisten sein könnten, ist nicht nur spielfreudiger Handlungsträger, sondern kann selbst alle Lobeshymnen gesungen werden. Die tragfähigen Stimmen beherrschen das homogenste Legato, sind aber ebenso in der Lage, in der Gesamtheit des Volkes auch als einzelne Typen zu überzeugen.
Insgesamt ist von einem musikalisch großartigen und szenisch kurzweiligen Abend in über zwei Stunden ohne Pause gespielt zu berichten. Wirklich warm ist es in der Kirche nicht, weshalb ich potentiellen Besucherinnen und Besuchern empfehle, sich warm anzuziehen.
Anmerkung: Seit 2005 produzieren die Kammerakademie Potsdam und das Hans Otto Theater gemeinsam die Potsdamer Winteroper und nutzen seit 2013 die Friedenskirche als Aufführungsstätte. Für das nächste Jahr ist die Premiere von Mozarts „La Clemenza di Tito“ im Schlosstheater im Neuen Palais Potsdam-Sanssouci angekündigt.
Weitere Aufführungstermine von Händels Theodora sind für den 23./24./29./30. November und 1. Dezember 2018 anberaumt.
Dr. Ingobert Waltenberger
Copyright Stefan Gloede