PLAUEN/ Vogtlandtheater: DER FREISCHÜTZ. Oper in drei Akten von Carl Maria von Weber | Dichtung von Johann Friedrich Kind
Aufführung im Vogtlandtheater Plauen am 7.1. 2024
Das Ende des 1. Weltkrieges ist da und eine Gruppe von Weltkriegs-Überlebenden will Webers „Freischütz“ aufführen. Das erlebt der Zuschauer im Theater Plauen.
Copyright: André Leischner
Die Protagonisten stellen sich vor mit ihren slawischen oder deutschen Namen und mit ihrem Dienstgrad und sie erzählen kurz, was ihnen passiert ist. Regisseur Dirk Löschner macht damit Theater im Theater. Ein bewährtes Konzept, das er gekonnt umsetzt. Diese Konzeption ist allerdings auch „psychodramatisches Theater“ wie es Dr. Jacob Levy Moreno, Psychiater, Soziologe, Philosoph, Poet entworfen hat.
Auf der Bühne bearbeiten Menschen persönliche Lebenssituationen, indem sie bestimmte Situationen szenisch darstellen. Dabei ist es gerade das Handeln und Erleben, das zu anderen Einsichten und Ergebnissen führt. Der praktische, spielerische Zugang weckt ganz andere Ressourcen in uns.
Die bearbeiteten Situationen können sehr konkret sein und real, aber ebenso auch reine Fiktion, Wünsche, Träume oder Phantasien. Die innere Erlebniswelt eines Menschen, so wie er eine Situation sieht und empfindet, wird auf die Bühne gebracht, und so werden Lösungen für den Betreffenden gesucht. Die Psyche eines Menschen wird im Psychodrama „ausgespielt“.
Meine Faszination für den Theaterkniff von Dirk Löschners Inszenierung ist sofort enorm, weil jeder Zuschauer „für sich individuell“ erleben kann, wie es sich anfühlt auf der Bühne zu stehen. Die Spieler können die Problematiken aufgreifen, um ihren persönlichen Schaden, den sie durch den Krieg davon getragen haben, zu reparieren.
Den Zuschauern das wird Gespielte nur als „Gespieltes“ dargestellt und nicht als Realität. Dirk Löschner bedient sich dabei sehr einfacher Theatermittel, die gerade durch ihre Schlichtheit sehr viel Wirkung entfalten. Da ist die Taube, die an einer Schnur gezogen wird oder ein Spieler hält den Mond hoch, der dann angestrahlt wird.
Florian Spiess, André Gass. Arvid Fagerfjäll und Ensemble. Copyright: André Leischner
Der Wolfsschlucht-Szene nimmt er das „diabolische Subjekt“. Denn der „Kriegszitterer“, der den Samiel spielt, auch er ist vor allem nur ein Opfer der Verhältnisse. Die „Verhältnisse“ sind allerdings wahrhaft teuflisch. Bei Dirk Löschners Inszenierung liegen sich die feindlichen Soldaten im Schützengraben lauernd gegenüber. Am Ende sind sie allesamt „ent-persönlichte Opfer“ im gleichen Schlamm. Gerade das lässt eine gespenstische Atmosphäre entstehen.
Schon die Ouvertüre wird von einem Film begleitet, in dem man die Entwicklung des 1. Weltkrieges sehen kann. Vom blumengeschmückten Auszug bis zum Schlamm der Grabenkämpfe.
Das Psychodrama-Theater zeigt in deutlichen Bildern: Den Jägerburschen Max steifbeinig mit einem zerschossenen Knie. Kamerad Caspar ist nach einem Senfgasangriff blind geworden. Bauer Kilian rollt ohne Beine, Samiel ist ein zitterndes Nervenbündel und Agathe sitzt im Rollstuhl.
Małgorzata Pawłowska. Copyright: André Leischner
Eine besondere Ästhetik entfaltet die Rollstuhl-Tanzgruppe „Modus vi Vendi“ aus Zwickau im 1. Akt. Anmutiger Tanz von Rollstuhl-Tänzern und „Normalos“ zeigt wie Lebensbewältigung gehen kann. Eingebunden sind auch die Sänger:innen.
In der abschließenden Phase des Psychodramas nach Moreno versammeln sich die Klienten, um über ihre Gefühle, Eindrücke und Erfahrungen zu berichten. Jede einzelne Person kann sich als vollwertiges und gleichberechtigtes Mitglied der Gruppe fühlen. Jedem wird mit voller Hingabe zugehört. Das ist übertragen auf den „Freischütz“ der moralische Schluss mit Fürst und Eremit. Die Spieler haben sich aus dem Sumpf des Grabenschlammes herausgezogen, durch ihr Spiel im Spiel, ihr Theater im Theater. Auch das Publikum wird beim „Jägerchor“ in das Geschehen durch Mit-Singen einbezogen. Ich selbst durfte die therapeutische Wirkung dieses Theaters spüren.
Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Leo Sibersk kommt ein voller Orchesterklang aus dem kleinen Graben des Plauener Theaters und berührt die musikalischen Sinne der Hörer. Die von Christopher Melching ausgestattete Bühne ergreift die Sinne der Zuschauer.
Langen Applaus hat es zu Recht für alle Sänger und Sängerinnen gegeben: Krešimir Dujmić, Florian Spiess, Małgorzata Pawłowska, Anna Maria Schmidt, Arvid Fagerfjäll, André Gass, Andrey Valiguras, Marcus Sandmann und Jannik Rodenwaldt. Imposante Eindrücke hat auch der Opernchor geschaffen, dafür hat es viel Jubel vom Publikum gegeben.
Eine gelungene Inszenierung lädt noch ein zum Besuch im Theater Zwickau am:
Fr 19 Jan, 19:30 Uhr
Mi 24 Jan, 18:00 Uhr
So 28 Jan, 16:00 Uhr
In dieser „psychodramatischen Inszenierung“ Dirk Löschners werden Themen der Vergangenheit aufgearbeitet, wie auch kreative Lösungsansätze für Gegenwart und Zukunft entwickelt. Die Zuschauer sind eingeladen mitzufühlen und auch mitzusingen!
Thomas Janda