Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

PLAMEN KARTALOFF/Regisseur/Intendant: Die Partitur ist der Boss! Ein tiefgehendes Interview mit Prof. Plamen Kartaloff über seine Beziehung zu Richard Wagner und die Entwicklung der Sofia Oper

Die Partitur ist der Boss!

Ein tiefgehendes Interview mit Prof. Plamen Kartaloff über seine Beziehung zu Richard Wagner und die Entwicklung der Sofia Oper

karta
Prof. Plamen Kartaloff. Foto: Dirk Schauß

Im Rahmen des Richard Wagner Festivals in Sofia hatte unser Redakteur Dirk Schauß das besondere Vergnügen, nicht nur den beeindruckenden Aufführungen beizuwohnen, sondern auch viele interessante Gespräche zu führen. Ein besonderer Höhepunkt war ein intensives Treffen mit Prof. Plamen Kartaloff, dem Intendanten und Generaldirektor der Nationaloper Sofia. In einer über zweistündigen Unterhaltung, geprägt von tiefem Vertrauen und gegenseitigem Respekt, tauchten sie in die faszinierende Welt Richard Wagners ein.

Prof. Kartaloff gewährte einen bemerkenswerten Einblick in seine langjährige Beziehung zu Wagner. Von seiner ersten Begegnung mit Wagners Musik bei den Bayreuther Festspielen in den 1970er Jahren bis hin zu seinen ambitionierten Plänen für die Zukunft der Sofia Oper – das Gespräch zeigte eindrucksvoll, wie Wagners Werk das Opernhaus und seine Künstler inzwischen geprägt hat.

Die Diskussion reichte weit über die operninszenatorischen Aspekte hinaus. Prof. Kartaloff teilte seine tiefgründigen Gedanken zur Musik, zur Kunst und zur Kultur, die bedeutende Auswirkungen auf die künstlerische Entwicklung am Balkan haben. Dieses Interview bietet nicht nur einen spannenden Einblick in das künstlerische Schaffen von Prof. Kartaloff, sondern auch in die inspirierende und kontinuierliche Entwicklung der Sofia Oper. Mit Hingabe und seinem Engagement für die Kunst, treibt er diese mit großer Leidenschaft und unermüdlichem Einsatz voran.

Es sei darauf hingewiesen, dass dieses Interview lediglich den Themenbereich Richard Wagner in Sofia abdeckt. Während ihres Gespräches besprachen Prof. Kartaloff und Dirk Schauß noch viele andere Themen, die jedoch nicht in diesem Artikel enthalten sind. Es ist die Geschichte eines Mannes, der mit seiner Vision und seiner Liebe zur Oper das kulturelle Leben in Sofia nachhaltig prägt.

kata
Prof. Plamen Kartaloff mit Dirk Schauß. Foto: Schauß

Dirk Schauß (DS): Prof. Kartaloff, wie kamen Sie zu Richard Wagner?

Prof. Kartaloff (PK): Es war im Sommer 1970, als ich zum ersten Mal bei den Bayreuther Festspielen war. Ich war Teilnehmer des Jugend-Festspieltreffens und hatte das unglaubliche Glück, in diesem Rahmen meine erste Begegnung mit Richard Wagners Werk zu erleben. Der „Ring des Nibelungen“, dirigiert von Horst Stein, wurde für mich zu einem prägenden Erlebnis. Besonders beeindruckend war die Gelegenheit, im legendären Orchestergraben Platz zu nehmen, wo ich von den überwältigenden Klangwellen Wagners umhüllt war. Diese einzigartige Erfahrung hinterließ einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck auf mich. Es war, als hätte ich mich mitten im Herzen von Wagners musikalischem Universum wiedergefunden, und das bewegte und faszinierte mich so sehr, dass ich wusste, ich musste mich weiter mit seinem Werk auseinandersetzen.

Vier Jahre später kehrte ich nach Bayreuth zurück und erlebte „Lohengrin“, „Götterdämmerung“ und „Parsifal“. Diese Aufführungen vertieften meine Leidenschaft für Wagner und die Festspiele. Die Eindrücke waren so stark, dass ich den Entschluss fasste, ein eigenes bulgarisches Operntheater zu gründen, das sich insbesondere jungen Sängern widmen sollte. Wir starteten mit einigen Opern und lediglich einem Klavier, mit dem wir durch Bulgarien reisten und Opern im Kleinformat aufführten. In dieser frühen Phase war die Unterstützung von Dimitar Uzunov, dem damaligen Intendanten der Sofioter Nationaloper und einem renommierten Tenor, von unschätzbarem Wert. Er half uns großzügig mit Bühnenmaterialien und ermöglichte so unsere ersten Schritte. Unsere erste Inszenierung war die komische Oper „List und Liebe“ von Joseph Haydn, die schnell Aufmerksamkeit erregte und uns sogar Jobangebote für mich einbrachte, die ich jedoch ablehnte, um meine Vision weiterzuverfolgen.

DS: Wie ging es dann weiter?

PK: Schon immer hatten Freilichtaufführungen eine besondere Faszination für mich. Ich inszenierte Opern an historischen Stätten oder in Sofia, wobei das Zusammenspiel von Architektur, Kulturgeschichte und Natur ein unvergleichliches Erlebnis schuf. Der Zuspruch war so groß, dass ich diese Idee auch im Ausland umsetzen konnte. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir die spektakulären Freilicht-Produktionen in riesigen Fußballstadien in Mexiko. Diese Inszenierungen waren nicht nur eine logistische Herausforderung, sondern auch eine künstlerische Bereicherung, die mein Verständnis von Raum und Akustik erweiterten.

DS: Wagner musste zu dieser Zeit noch warten?

PK: Oh ja, leider. Es sollte noch einige Zeit vergehen, bis ich die Möglichkeit hatte, Wagner in vollem Umfang zu realisieren. Der Gedanke, den „Ring“ in Sofia aufzuführen, begann 2010 mit „Das Rheingold“ konkrete Formen anzunehmen. Mein Ziel war es, im Jubiläumsjahr 2013 den gesamten „Ring“ zu präsentieren. Bei einem Abendessen mit einem österreichischen Produzenten stellte ich meine Vision vor, ein neues Publikum, insbesondere junge Menschen, mit einem außergewöhnlichen Repertoire anzusprechen. Der Produzent empfahl „Das Rheingold“ wegen seiner kurzweiligen und fesselnden Geschichte voller Götter, Riesen und Zwerge. Dieser Gedanke verlockte mich zunehmend, und so entschied ich mich, alle vier Ring-Opern zu inszenieren.

Für dieses ehrgeizige Projekt wollte ich bulgarische Sänger einsetzen, die jedoch keine Erfahrung mit Wagner hatten. Ihre Expertise lag in der italienischen Oper sowie im russischen und bulgarischen Repertoire. Die Herausforderung bestand darin, wie wir diese Sänger musikalisch auf Wagner vorbereiten konnten. Da dachte ich an Richard Trimborn, den legendären Studienleiter und langjährigen Freund von Carlos Kleiber. Trimborn hatte Valery Gergiev und seinem Ensemble in St. Petersburg bei Wagner-Inszenierungen unterstützt. Mit großer Zuversicht wandte ich mich an ihn, obwohl seine ersten Worte „Unmöglich“ lauteten. Dennoch gelang es mir, ihn zur Zusammenarbeit zu überzeugen, die bis zu seinem Tod andauerte. Unser Erfolg und unsere musikalische Entwicklung sind untrennbar mit seinem Namen verbunden, und wir bewahren diese Erfahrung als besonderes Erbe.

DS: Ich kann mir vorstellen, dass auch die finanziellen Überlegungen schwierig waren. Es bedurfte ja auch bei Wagner eines speziellen Instrumentariums.

PK: Unbedingt! Wir mussten Sponsoren finden, die unsere Vision unterstützten und die finanziellen Mittel bereitstellten, um geeignete Instrumente zu kaufen. Die hohe Qualität unseres Chores, des Balletts, der technischen Dienste und Werkstätten bildete die Grundlage für unseren Erfolg. So entstand nach 125 Jahren bulgarischer Operntradition der erste komplette „Ring“ auf dem Balkan. Auf diesen Erfolg folgten „Tristan und Isolde“, „Parsifal“ und „Der fliegende Holländer“. Im letzten Jahr habe ich meine „Ring“-Produktion komplett überarbeitet und in eine neue visuelle Welt integriert. Ich bin voller Ideen, und wir entwickeln uns ständig weiter. Manchmal nehme ich sogar von Vorstellung zu Vorstellung Änderungen vor. Alles, was wir erreicht haben, haben wir aus eigener Kraft realisiert, und das erfüllt mich mit großem Stolz.

DS: Was ist Ihr künstlerisches Credo, wenn Sie eine Oper von Wagner erarbeiten?

PK: Mein künstlerisches Credo ist simpel und doch tiefgründig: Die Partitur ist der Boss! Aus ihr beziehe ich alle meine Ideen. Ich studiere die Noten bis ins kleinste Detail – wo sind die Pausen, welche musikalischen Motive sind markant? Wagner war ein visionärer Künstler, dessen Konzept des Gesamtkunstwerks und seine Verwendung vieler Farben auf der Bühne mich immer wieder aufs Neue inspirieren. Ich versuche, diese Farben und die Mystik Wagners auf die Bühne zu bringen. Dazu erarbeite ich ein musikalisches „Drehbuch“, das ich in drei Spalten aufteile: Bühnenbild, Darstellung und musikalische Motive. So kann ich meinen Sängern einen klaren, verständlichen Weg weisen. Alles Visuelle entsteht aus der Partitur heraus.

Wagner ist so voller Farben und Mystik, und das muss auch gezeigt werden. Außerdem finde ich es wichtig, eine zusätzliche Erzählebene hinzuzufügen. Gerade bei den langen Monologen führe ich simultane Aktionen ein, die im Gesang beschrieben werden. Dies trägt zu einem besseren und tieferen Verständnis bei. Ich bin immer sehr engagiert im Umgang mit der Partitur und finde darin ständig neue Hinweise, die ich musiktheatralisch nutzen kann. Manchmal erhalte ich auch Inspirationen aus der Natur. Wenn man die Wellenbewegungen des dritten Vorspiels in „Siegfried“ betrachtet, erinnert mich das manchmal an einen Fischschwarm, der sich wie eine große Woge auf und ab bewegt.

DS: Auffallend ist bei allen Sängerinnen und Sängern eine hohe Identifikation. Wie erarbeiten Sie diese?

PK: Manchmal ist die Lösung gar nicht so kompliziert, wie es erscheinen mag. Ich sage meinem Ensemble oft: „Stellt euch vor, ihr singt in eine kleine Kamera, die direkt auf euch gerichtet ist.“ Diese Vorstellung hilft ihnen, sich intensiv mit ihrer Rolle zu identifizieren und ihre Emotionen authentisch zu vermitteln. Es geht darum, die innere Welt der Figuren nach außen zu tragen und den Zuschauer auf eine emotionale Reise mitzunehmen.

DS: Wie geht es mit Wagner in Sofia weiter?

PK: Es wird 2025 wieder ein Richard Wagner Festival in Sofia geben. Neben dem „Ring“ werden „Lohengrin“ und „Der fliegende Holländer“ (als Freilichtaufführung auf einem See) wieder auf dem Programm stehen. Außerdem planen wir eine Neuproduktion des „Tannhäuser“. Ich freue mich sehr darauf, diese Projekte mit unserem talentierten Ensemble zu realisieren.

DS: Das sängerische Niveau Ihres bulgarischen Sängerensembles ist erstaunlich hoch und nicht selten besser als bei uns.

PK: Vielen Dank. Es freut mich sehr, das zu hören. Wissen Sie, es ist mir eine Herzensangelegenheit, unsere wunderbaren Sängerinnen und Sänger für das Werk von Richard Wagner zu entwickeln. Wir scheuen keinen Aufwand, um ihnen die bestmögliche Ausbildung und Unterstützung zu bieten. Es erfüllt mich mit großem Stolz, ihre Fortschritte und Erfolge zu sehen.

DS: Dies scheint mir ein kluger Gedanke zu sein. Für einen Opernbesucher gibt es kaum etwas Spannenderes, als neue Sänger zu entdecken. Und diese gibt es an Ihrem Hause reichlich.

PK: Ich danke Ihnen sehr für Ihren Zuspruch. Es ist immer eine Freude zu sehen, wie unser Publikum die Leistungen unserer Künstler schätzt.

DS: Lieber Prof. Kartaloff, ich danke Ihnen für die Offenheit und das gute Gespräch. Sie sind ein Visionär, dem hier in Sofia Großes gelingt. Weiterhin viel Energie und Schaffenskraft für all Ihre Aufgaben.

PK: Ich danke Ihnen sehr. Es war mir eine besondere Freude, mit Ihnen zu sprechen.

Dirk Schauß führte das Gespräch im Juni in englischer Sprache.

Dank an den Übersetzer Dimitar Bardarsky.

Copyright Fotos: Dirk Schauß

 

Diese Seite drucken