Philip Glass
EINSTEIN ON THE BEACH
Gesprochene Texte Lucinda Childs, Samuel M. Johnson, Christopher Knowles
Musikalische Leitung Michael Riesman
Inszenierung, Bühnenbild und Licht Robert Wilson
Choreographie Lucinda Childs
Lucinda Childs Dance Company
Philip Glass Ensemble
Aufgenommen im Théâtre du Châtelet, Paris, 7. Jänner 2014
Opus Arte
Man braucht Philip Glass Anhänger und Freunde auf sein Werk nicht vorzubereiten oder zu warnen, und man weiß auch, was man von den Arbeiten von Robert Wilson zu erwarten hat. Wenn das Cover der Doppel-DVD also verkündet, dass die „Running Time“ von „Einstein on the Beach“ ungefähr 264 Minuten beträgt, also knapp viereinhalb Stunden, dann stellt man sich darauf ein. Auf das Besondere einer Glass-Meditation, adäquat bebildert von Robert Wilson.
Man muss ein paar Worte zu dieser Produktion, die 2012 im Pariser Théâtre du Châtelet aufgezeichnet wurde, sagen: Die Wilson-Umsetzung der Glass-Musik geht auf das Jahr 1976 zurück, als sie zuerst beim Festival von Avignon zu sehen war. Die neue Fassung, bereichert durch die Mitarbeit der Choreographin Lucinda Childs, ging weltweit auf Tournee und wurde im Jänner 2014 im Théâtre du Châtelet in Paris aufgezeichnet. Kritiken in aller Welt sprechen von einer legendären Produktion („ein überwältigendes, bahnbrechendes Meisterwerk des 20. Jahrhunderts“), solcherart nun auf DVD und BlueRay allgemein zugänglich.
Man tut auch gut daran, sich ein wenig voraus zu informieren, man hat entschieden mehr von dem Werk, das als „Sprechrollen“ zwei Frauen, einen Mann und einen Jungen verlangt, dazu einen Kammerchor und ein Kammerorchester. Es ist auch gut zu wissen, dass man nicht auf Albert Einstein warten soll, denn er kommt nicht vor – außer man ist damit zufrieden, dass der Solo-Violinist mit wilder weißer, abstehender Haarpracht entfernt an den großen Mann erinnert. Es soll auch gar keine erkennbare Handlung geben, nur einen stilisierter Zugang (wozu? Das muss man sich selbst ausdenken), wobei einige von Wilsons bekannten Formalismen (etwa die “Knee Plays”, gleich zu Beginn) eingearbeitet sind.
Weiß man also, was einen erwartet, lässt man sich leichter darauf ein. Das bedeutet – viel Pantomime zur Musik, das bedeutet – viel Geduld für den, der da bewusst zusieht. Was zwei Darsteller an Tischen zu Beginn mit Verzögerung rezitieren, erkennt man als Englisch, nicht unbedingt als Sinn des Gesagten. Zahlen, Silben (Glass ist ein Virtuose der Silben), Teile von abgerissenenen Sätzen, these are the days… my friend. Worte tropfen etwa 20 Minuten, bevor Musik sich dazu gesellt, ein Chor, der das hören lässt, wofür man Glass liebt – minimalistische Wirkung aus Mini-Silben und –Tönen (tatsächlich singen sie „One, Two, Three, Four“…). Man muss sich nicht wundern, dass die DVD keine deutsche Übersetzung anbietet.
Dann setzt „richtige Musik“ (mit Kammerorchester) ein, und der Tanz verlangt seine Rolle. In einer Welt des Robert-Wilson-Blau tritt die Lucinda Childs Dance Company an, um hier der nunmehrigen Bewegung der Musik zackig Ausdruck zu geben. Spielt die stilisierte Eisenbahn-Lokomitive, die sich in den Hintergrund schiebt, eine Rolle? Oder geht es um eine Magritte-Anspielung? Jedenfalls ist „Train“ eine Vorgabe, so wie in der Folge „Trial“ (ja, es gibt ausführliche Gerichtsszenen, sogar mit langen englischen Lockenperücken, auch Gefängnisszenen), später „Field“ oder „Space Machine“ (hier wird es fast szenisch etwas spektakelartig): Im Booklet zu den DVDs finden sich Robert Wilsons Zeichnungen zu seinen Bühnenentwürfen, die sich dann in der Realität rätselhaft-magisch ausnehmen, wobei man auch die Bildregie von Don Kent würdigen muss, der spannungsvoll zwischen Totale und Details schneidet.
Eines ist klar – die folgenden Stunden werden ein Rätselwerk, es gibt Szenen, in denen nahezu etwas wie „Aktion“ (nicht Action) zu finden ist, andere, die (das ist wohl auch individuell) auch ein wenig an den Nerven zerren, bis man endlich bei der Erkenntnis landet, die die Briten – immer cool und nicht leicht zur Bewunderung zu bringen – angesichts des Gastspieles in London 2012 so knapp formulierten: „Five hours long with no interval and no plot, Einstein on the Beach is not an easy watch. But it had moments of sublime brilliance”. schrieb Sameer Rahim damals im „Telegraph”.
Nach diesen etwa fünf Stunden erhebt man sich steif (dabei konnte man sich zwischen DVD 1 und DVD 2 wenigstens eine individuelle Pause geben!). Resümee: Höchster, brillantester Stilwille. Herrliche Glass-Musik. Eine extrem seltsame Wilson-„Show“. Der Betrachter holt sich aus dem Gebotenen genau das, was er persönlich daraus gewinnen kann. Aber eines steht fest: nichts für Ungeduldige.
Renate Wagner