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Peter SCHREIER: ein erfülltes Leben als Künstler und Mensch

29.11.2015 | Sänger

Coswig/ Villa Teresa: PETER SCHREIER BLICKT AUF EIN ERFÜLLTES LEBEN ALS KÜNSTLER UND ALS MENSCH ZURÜCK 28.11.2015

Zur Kötitzer Straße in Coswig, an der die Villa Teresa, einer der einstigen Wohnsitze von Eugen d’Albert liegt, hat Peter Schreier seit seiner Kindheit eine persönliche Beziehung, jedoch nicht zur Villa selbst, in der er jetzt noch einmal rückblickend aus seinem Leben als Sänger und Dirigent berichtete. Sie war für ihn eher „eine graue Maus“, da sie nach dem Krieg mehreren Familien als Wohnraum diente und „abgewirtschaftet“ war , bevor sie samt idyllischer Parkanlage wieder „wie ein Phönix aus der Asche stieg“ und zur einzigen Eugen-d’Albert-Gedenkstätte weltweit wurde.

Auf der Kötitzer Straße ging Peter Schreier als Kind von seinem Heimatort Gauernitz (zwischen Dresden und Meißen gelegen) zur Fähre über die Elbe und zu seinem Klavierlehrer und Kantor namens Zimmermann, hier wohnte sein Hausarzt, dessen Sohn, Andreas Baumann, sich auch der Musik zuwandte, Regisseur wurde und sich vor allem an mehreren Hochschulen als Leiter von Opernklassen der Ausbildung und Förderung des künstlerischen Nachwuchses widmete.

Freundlich strahlend betrat Schreier nun den Raum der Villa. Seine treuen „Fans“ waren wieder da. Er hat das Gefühl, sein Leben mit einer sinnvollen Tätigkeit gut ausgefüllt zu haben, so dass er jetzt ohne Wehmut zurück- und mit Optimismus in die Zukunft blicken kann. Sein Lebensmotto heißt: „niemals aufgeben“. Dass er nicht mehr auf der Bühne steht, erfüllt ihn nicht mit Wehmut. Er war kein Sänger, den man „von der Bühne tragen muss“, und wäre es auch als Dirigent nicht, wenn er nicht immer wieder so „nett gebeten würde“ zu dirigieren. Er hat in Schritten losgelassen, erst als Sänger, dann als Dirigent. Dennoch lässt er  sich immer wieder einmal zum Dirigieren verführen, wenn ihn der Aufführungsort oder das Werk reizt oder die Aufführung einem guten Zweck dient. Dann kann er nicht „nein“ sagen, wie beim 12. „Dresdner Abend“ mit dem Philharmonischen Kammerorchester Dresden (11.11.2015) oder der Aufführung des „Mozart-Requiems“ in der Dresdner Kreuzkirche, dem Ort, dem er sich seit seiner Kreuzchor-Zeit und später als Solist in den großen Oratorien-Aufführungen eng verbunden fühlt. Außerdem trug die Aufführung (20.9.2015) mit zur Finanzierung einer neuen  Konzertorgel für den künftigen Konzertsaal der Dresdner Philharmonie bei. Zu einem guten Zweck wird er auch ein Benefizkonzert zugunsten eines Kinderhospizes in Leipzig mit J. S. Bachs „Weihnachtsoratorium“ im Gewandhaus (13.12.2015) leiten.

Im Gespräch mit der Redakteurin und Rundfunk-Moderatorin Bettina Volksdorf, wurde ein Rückblick auf sein Künstler- und Privatleben – nicht wie üblich – mit der bekannten Schallplatte bzw. CD „Vom Knabenalt zum Lyrischen Tenor“ aus seiner Zeit im Dresdner Kreuzchor begonnen, sondern mit einer Aufnahme von Richard Wagners „Ring“ (1980) mit Theo Adam als Wotan und der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter Marek Janowski, bei der Schreier auf Vorschlag von Herbert von Karajan trotz eigener Skepsis die Partie des Loge sang. Sie weckte bei vielen Anwesenden schöne Erinnerungen. Sehr plastisch – wie kein Sänger vor ihm und kaum einer nach ihm – interpretierte Schreier Loges Klage, dass „immer Undank sein Lohn sei“. Mit außergewöhnlicher Klarheit und Leichtigkeit und exzellenter Textverständlichkeit, bei der man jedes Wort verstand (wovon man heutzutage in der Oper meist nur noch träumen kann) gab er der Gestalt des Loge etwas „Wehendes, Loderndes“, wie ein entfachtes Feuer.

Von Haus aus war Schreier als lyrischer Tenor kein Wagner-Sänger, für ihn war der Loge eine grenzwertige Partie. aber Karajan hatte ihn in einer ungekürzten Aufführung von Bachs „Matthäus-Passion“ gehört und meinte danach, „wenn ich sie so höre, müssten sie ein guter Loge sein“. Es war ein Wagnis. Zuvor hatten Sänger mit kraftvoller Stimme die Partie gesungen. Schreier kannte „Rheingold“ nicht, aber der Erfolg gab ihm Recht. Wagner in „Parlando-Form“. das war damals neu. Es war eine völlig andere Auffassung als gewohnt. Der Loge wurde plötzlich sehr eindrucksvoll mit schöner Stimme gesungen statt „geschrien“ und die Rolle auch in ihrem philosophischen Hintergrund ausgeleuchtet. In der Tat liegt der Loge nahe beim Evangelisten, wie Schreier betonte. Die Partie hat etwas Psychologisierendes und hängt sehr stark von der Artikulation ab. Zudem war Karajan ein Klangmagier, der das Orchester sehr zurücknehmen konnte und Schreier singen ließ. Die Kritik berichtete damals vom „klangfeinsten Wagnersänger nach Fritz Wunderlich“.

Karajan war auch hilfsbereit, hat sich mit seinem Dirigat nach ihm gerichtet, konnte aber auch ganz anders sein. Bei einer Probe, die Schreier mit der Partitur in der Hand verfolgte, schlug er ihm selbige aus der Hand – er wollte nicht kontrolliert werden. Schreier hat aber auch von ihm gelernt, z. B. die Sparsamkeit in den Dirigierbewegungen. Karajan wollte die Musiker zur Selbstdisziplin erziehen. Jetzt führt diese Sparsamkeit der Gestik im Einvernehmen mit den Musikern im Orchester oft zu Höchstleistungen, wie sie bei Peter Schreier und auch bei Christian Thielemann zu erleben sind.

1970 hat Schreier den David gesungen, und damit „erschöpfte“ sich sein „Wagner-Repertoire“, denn er wollte nichts erzwingen, und so war man beim Gespräch dann doch wieder bei den Anfängen im Kreuzchor angekommen, die für ihn durchaus ihren Reiz hatten. Als „Junge vom Dorf“, wo sein Vater Lehrer und Kantor war, fühlte er sich wohl in der Stadt und auch in den 2 Jahren in der Vorbereitungsklasse des Kreuzchores. Im Mai 1945 sollte er in den Chor aufgenommen werden, was jedoch durch den Bombenangriff auf Dresden im Februar vereitelt  wurde. Im Juli des gleichen Jahres war er der Erste im dem, im Juli neu einberufenen Chor, der in provisorischen Internatsräumen im Keller einer Schule am Rande der Stadt (Dresden-Plauen) untergebracht war. Entgegen der Tradition, die vorsah, dass der Chorpräfekt immer aus der 12. Klasse ausgewählt wurde, wurde Schreier schon in der 11. Klasse dazu „berufen“, denn der bisherige Chorpräfekt hatte sich im Schlafsaal, wo 40 Jungen schliefen, wegen einer beginnenden Lähmung in den Händen, die ihm nicht mehr erlaubten, Klavier zu spielen, mit Zyankali vergiftet – seine Schreie blieben als schreckliches Erlebnis der Jugendzeit haften.

Da viel Notenmaterial verbrannt war, komponierte der langjährige Kreuzkantor Rudolf Mauersberger – aus der Zeit und der Not heraus – selbst und schrieb speziell Peter Schreier vieles „auf den Leib“, d. h. für die ungewöhnlich sichere und gut klingende Knaben-Altstimme, wie die Aufnahme des „Zugvögele“ bewies. Mauersberger hat ihn sehr gefördert und gefordert, bis er ihm als 19jährigem die Evangelisten-Partie in der Matthäus-Passion“ zutraute, bei der Schreier total einbrach. Er war so heiser, dass er nicht einmal mehr sprechen konnte. Danach folgte ein ordentliches Studium an der Hochschule für Musik in Dresden. Durch den Kreuzchor hatte er einen gewissen Vorlauf, der ihm ermöglichte, auch andere Fächer, wie Chorerziehung und Dirigieren zu belegen.

Was danach folgte, war eine Weltkarriere, vor allem als Mozart-Sänger auf der Opernbühne und nicht zuletzt als Oratorien- und Liedsänger, wo er unübertroffen und für viele jüngere Künstler immer noch und immer wieder Vorbild und Maßstab ist. Seinen letzten Tamino in der „Zauberflöte“ sang er 2000, eine Partie, die schon ins jugendlich-heldische Fach geht, aber seiner Meinung nach „nicht die wichtigste Partie der ‚Zauberflöte‘ “ ist (für das Publikum schon, wenn er sang), weshalb er sich diese Partie als letzte erschloss. Vorher hat er Belmonte und Ottavio gesungen. Mozarts spannendste Tenorpartie ist für ihn der Ferrando („Cosi fan tutte“).

Die „größte Kunst“ aber ist für ihn ein Liederabend. Der Sänger steht ohne Orchester, ohne Kollegen, Kostüm und Requisiten – und ohne Regisseur auf der Bühne und muss kleine Kunstwerke gestalten. Schön singen allein genügt da nicht. Der Sänger muss die Lieder so bringen, wie sie sich das Publikum vorstellen soll. Es muss nicht immer nur schön sein, denn es kommt auf den Text an, ihn zu durchdringen und dabei eine gewisse Natürlichkeit zu bewahren.

Jetzt lebt Schreier „leger und locker“. Er hört oft CDs und genießt sein Leben mit Dingen, die er gern tut und hört. Ohne Musik kann er nicht sein. In seiner Heimat ist er sehr verwurzelt. Er wäre nie von Dresden weggegangen, sein älterer Sohn schon. Er tat es zu einer Zeit, da es gefährlich war, aber sein Vater hatte Verständnis dafür.

Das Familienleben kam immer zu kurz. Er hatte kaum Zeit für seine beiden Söhne, denn er war sehr viel unterwegs, um seine Karriere aufzubauen. Selbst die Enkelkinder sind ihm etwas entfremdet, weil er noch im Beruf war, als sie aufwuchsen. Für seine Frau war es kein leichtes Leben. Sie hat großen Anteil an seiner Karriere und übernimmt auch jetzt noch „alles, was er nicht gern tut“. Trotz Vorteilen gab es auch viele Entbehrungen für. So richtiges Familienleben war nicht, und „selbst jetzt“ hat er „nicht einmal Zeit dafür“, denn ohne Musik kann er nicht sein.  

Ingrid Gerk

 

 

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