Peter Schneider
zu Gast beim Wiener Wagner-Verband (18.5.2017)
Gut gelaunt und auskunftsfreudig: Peter Schneider beim Gespräch im Cafe Museum. Foto: Herta Haider
Inhalt nach Noten
Lebhaft und lustvoll beantwortete der Maestro alle ihm gestellten Fragen im übervollen Clubraum des Café Museum, wo der Wiener Wagner-Verband zu tagen pflegt. Beim ersten „Ring“-Durchlauf dieser Saison, gipfelnd im überwältigenden Finale der „Götterdämmerung“, überboten die heimischen und angereisten Wagnerianer einander an Begeisterung über Schneiders so ungemein expressive und spannungsgeladene Wiedergabe der Tetralogie, die den Eindruck erweckte, als habe er das Riesenwerk in seiner ganzen Großartigkeit und Lebendigkeit neu entdeckt. Genauso erging es nämlich uns Zuhörern.
Die beiden „Ring“-Zyklen dieser Saison waren die ersten seit dem Jahre 2004, die dem gebürtigen Wiener von Wiens Operndirektoren angeboten wurden. (Dass es im vorigen Jahrhundert etliche Spielzeiten gab, in denen Peter Schneider überhaupt der einzige Österreicher am Pult der Wiener Staatsoper war, sei nur am Rande angemerkt.) Inzwischen sind es über 400 Abende vornehmlich im deutschen Fach geworden. Überdies kann er mit einem Rekord in der Bayreuther Festspielgeschichte aufwarten: Er stand unter allen dort auftretenden Maestri die meisten Spielzeiten (genau 20) am Pult und hat die meisten „Lohengrin“-Vorstellungen geleitet.
Gar nicht so weit von unserem Treffpunkt am Karlsplatz, nämlich in der Rechten Wienzeile Nr. 99 (2 Häuser entfernt vom Geburtshaus Hans Mosers) hat er am 26. März 1939 das Licht der Welt erblickt und etwas weiter stadtwärts, im Theater an der Wien (Linke Wienzeile 6), dem Ausweichquartier der Staatsoper nach dem Krieg, als Wiener Sängerknabe seine erste Bühnenerfahrung gesammelt. Nach dem Musikstudium führte seine Laufbahn über Korrepetionsstellen in Salzburg und Heidelberg, wo er auch bereits dirigierte, nach bzw. neben festen Positionen in Düsseldorf/Duisburg, Bremen, Mannheim und München über Bayreuth (ab 1981) in die Welt und – zurück nach Wien (ab 1984), wo er sich bei Sängern, Musikern und dem Publikum größter Beliebtheit erfreut.
Das ganze Werk
Meine Fragen galten zuförderst einem Phänomen, das den meisten großen Dirigenten gar nicht leicht fällt zu beantworten:
Wie gelingt es einem, nicht nur anhand der Noten präzise Einsätze zu geben und das gesamte Opernensemble unter Kontrolle zu halten, sondern auch Inhalte zu vermitteln bzw. den Musikern das abzufordern, was zwischen und hinter den Noten steht?
Die bei früheren Gesprächen mit Schneider mehrfach erhaltene Antwort: „Ich dirigiere, was dasteht“ wollte ich diesmal nicht im Raum stehen lassen. Der Künstler erklärte denn auch bereitwillig, wie er diverse Effekte erzielt.
Am Beispiel von 2 Ouvertüren aus dem gängigen Opernrepertoire, bei denen unter Schneiders Leitung mit dem 1. Akkord bzw. Takt sofort klargestellt wird, worum es dem Komponisten in diesem speziellen Werk geht, kam einer der großen Vorzüge des Dirigenten zur Sprache.
„Don Giovanni“: Unter Schneiders Händen kündigt bereits der 1. Akkord der Ouvertüre ein dramma giocoso an. Das Orchester klingt zwar kompakt, aber es ist ein voller, weicher Klang, wohl hintergründig, aber nicht von tödlicher Wucht, und gibt den Weg zu einem spielerischen Umgang mit den Liebespraktiken des Titelhelden frei. Zu oft lassen Dirigenten diesen Beginn zu einem irreversiblen Todesstoß werden, worauf dann die restliche Ouvertüre zerfällt. – Schneider erklärt: Mozart schreibt ein forte, nicht ein fortissimo vor, dazu ein Andante und in den tiefen Stimmen kein tenuto. D.h. ein Mysterium hat zwar begonnen, aber noch bleibt offen, wie es sich entfalten wird.
„Fidelio“: Mit der Ouvertüre, wie Schneider sie in klassischem Ebenmaß spielen lässt, beginnt ein groß dimensioniertes menschliches Drama, das ein positives Finale erahnen lässt. Es ist lebhaft bewegt, ja, aber er drischt nicht den Beginn effektheischerisch herunter, denn das würde eine organische Zusammenbindung des Ganzen stören.
Das sind kurze Antworten auf die Frage, wie es Schneider gelingt, jedes von ihm dirigierte Werk als ein in sich geschlossenes Ganzes zu präsentieren. Es geht ihm nicht um eigenwillige Effekte mittels übermäßiger Lautstärke oder verrückter Tempi.
Textverständlichkeit
Die hängt natürlich weitgehend mit der Rücknahme des Orchesters durch den musikalischen Leiter zusammen, wobei die musikalische Aussagekraft aber nicht vermindert werden soll. Ich stellte dieses Problem bzw. Nicht-mehr- Problem anhand dreier Aufführungen der „Schweigsamen Frau“ in den Raum, die ich unter Schneiders Leitung gehört habe. Zuerst (Juni 2010) an der Wiener Staatsoper. Ein köstliches Konversationsstück, das jede der handelnden Personen nicht nur textlich, sondern auch musikalisch individuell zur Geltung kommen ließ. Nie deckte das Straussische Orchester die Stimmen zu, was mir bis dahin immer dieses Stück etwas verleidet hatte. Dann in Dresden – eine Koproduktion mit Wien (die pointierte und farbfrohe Marelli-Inszenierung, die wir gern wieder sähen!). Die Semperoper ist kleiner, sodass zu befürchten war, dass die Staatskapelle zu laut werden würde. Aber nein – im Gegenteil! Und auch das dortige Sängerensemble war optimal zu hören. Zuletzt an der Züricher Oper, ein Haus vom Format eines Stadttheaters. Und das war die allerleiseste „Schweigsame“. Nicht aus Mangel an größeren Stimmen, sondern weil Peter Schneider sie alle so liebevoll – getreu den Noten – begleiten ließ, dass die ganze Geschichte menschlich berührender wurde. Fast ohne Proben…Der Maestro bat mich damals, dies nicht zu Papier zu bringen, sonst bekäme er womöglich noch weniger Orchesterproben angeboten….
Jetzt will er das gar nicht mehr verheimlichen, zumal es bei einem Klangkörper von der Qualität der Wiener Philharmoniker ja ohnedies keine Probleme gibt – im Gegenteil, sie fühlen sich noch mehr gefordert.
Anpassung an die Sängerbesetzung
So nach dem Motto „Lass die Frage..,“ unterließ ich es, beim Vergleich zweier ganz unterschiedlicher Interpretationen des „Siegfried“-Finales an der Wiener Staatsoper, den Dirigenten direkt zu fragen, wie er das gemeistert habe.
Am 1. November 2004 stand als Siegfried erstmals John Treleaven hier auf der Bühne, und Linda Watson war seine Brünnhilde – ein heroisches Paar, stimmlich, von der Erscheinung her und mit der Fähigkeit, die großen Gefühle, die Wagner in Worte und Töne gesetzt hat, glaubhaft zu machen. Als die Götterkinder am Ende alle Ängste und Zweifel überwunden und nur noch der gemeinsamen Liehe zu leben beschlossen hatten, kam vom Orchester ein finaler Aufschwung, der die beiden derart beflügelte, dass sie – entgegen der Regieanweisung (sie hätten sich nach den letzten Worten auf dem Boden wälzen sollen), animierte, auf den Felsen in der Bühnenmitte (in der Dresen-Inszenierung) zu springen, einander an der Hand zu nehmen und lachend mit ausgestreckten Armen geradezu ekstatisch frontal ins Publikum ihr „Leuchtende Liebe, lachender Tod!“ zu singen. Weder hatte er sie noch sie ihn da hinaufgezogen, sondern es geschah beiderseits spontan. Als ich später die beiden Sänger unabhängig voneinander fragte, warum sie das getan hatten, kam die Antwort: „Wir konnten nicht anders – Schneider hat es so dirigiert!“
In der jetzigen Aufführung am 6. Mai fiel der Schluss leichtgewichtiger, lockerer aus und der finale Abschlag hatte fast etwas Scherzhaftes. Hier fällt mir Peter Schneider gleich ins Wort: „Die beiden Stimmen waren leichter und Petra Lang benötigte flottere Tempi.“ Diese Brünnhilde und ihr Partner Stefan Vinke durften sich am Ende zu Boden begeben und dort einander umschlingen, als der Vorhang fiel.
Ein Beispiel für viele, wie gut es wäre, öfters Dirigenten Regie führen zu lassen…
Wagner-Magie:
Eine kostbare Erinnerung, die sich aus aktuellem Anlass vordergründig anbietet. Plácido Domingo, dessen hiesiges 50-jähriges Bühnen-Jubiläum wir gerade gefeiert haben, hatte sein betörendes Wiener Lohengrin-Debut am 4. Jänner 1985 unter Peter Schneiders dirigentischer Obhut. (Wie uns der Maestro nun bestätigte, natürlich ohne Orchesterprobe.) Ich saß mit meiner Mutter in der seitlichsten 2.Rang-Loge hinten, ohne Sicht auf den Dirigenten und den in der hintersten Bühnenecke auftretenden Gralsritter. Da setzten die philharmonischen Violinen ein mit einem seidenweichen pp-Schwebeklang, dass ringsum die Welt versank. Und dann diese berückende Tenorstimme: „Nun sei bedankt, mein lieber Schwan“ in einem endlos-piano-Legato… Meine Mutter blickte mich an, ich sie, unsere Münder blieben offen, wir vergaßen zu atmen… Es war pure Klangmagie. Mochte die deutsche Aussprache des Spaniers nicht optimal gewesen sein – zwei Erzmusikerseelen hatten einander gefunden. (Domingos 2. Lohengrin-Serie 5 Jahre später unter Claudio Abbado fiel weit weniger befriedigend aus. Der Sänger war eigentlich krank und Abbado fehlte noch die Wagner-Erfahrung.)
Peter Schneider konnte diese „Lohengrin“-Magie rund um den Erdball in unterschiedlichsten Inszenierungen und mit vielen verschiedenen Sängern und Orchestern immer wieder verwirklichen. Auch schon in frühen Jahren.
Mit dem „Tristan“ brauchte er längere Zeit, bis sich ihm dieser Klangkosmos mehr und mehr erschloss. Waren schon seine Bayreuth-Abende im Angesicht der völlig stimmungslosen, der Größe des Werks unwürdigen Marthaler-Inszenierung musikalische Feste, so konnte Peter Schneider bei den 7 Aufführungen an der Wiener Staatsoper in den Jahren 2013-2015 jenes Klangwunder verwirklichen, das geeignet ist, hellhörige Opernbesucher verrückt zu machen – „Ertrinken, versinken, unbewusst, höchste Lust…“
Als ich ihn darauf anspreche, warum es ihm jedes Mal gelingt, z.B. bei Isoldes „Frau Minne will, es werde Nacht“ mit einem Irrsinns-Emotions-Crescendo des sich öffnenden Orchesters zu bewirken, dass man vor Seligkeit heulen muss, da bekennt er schlicht und einfach: „Das gehört zu meinen Lieblingsstellen!“ – Zu diesen gehört offenbar auch „in des Weltatems wehendem All“, wo Tristan und Isolde endgültig zusammengekommen sind. Wie und wo und für wie lange – das bleibt für uns offen…Aber es hör- und fühlbar machen zu können, ist für mich ein Hauptkriterium für das Einfühlungsvermögen eines „Tristan“-Dirigenten.
Welche Gefühle sich da vom Komponisten auf den Dirigenten und von diesem aufs Publikum übertragen – darüber redet man nicht. Das erlebt man.
Reales
Peter Schneider hat sich in der Hand. Er kommt nicht nur mit den Tristan-Ekstasen schadlos zurecht, sondern auch mit etwaigen Benachteilungen und Enttäuschungen im Berufsleben.
So sprach ich ihn auf München an, wo er bereits in Sawallischs Direktionszeit viel dirigiert hatte, dann Chefdirigent der Bayerischen Staatsoper wurde, unter Mehta noch Erster Gastdirigent blieb und seit Nikolaus Bachlers direktoraler Amtsübernahme nicht mehr aufscheint. Da überrascht uns Schneider mit dem Faktum, dass er sich nie um eine leitende Stellung an diesem Haus beworben hatte, aber nach dem Abschied von Wolfgang Sawallisch vom gesamten Hausensemble zum neuen Musikdirektor gewählt wurde. Obzwar er selbst sogar Bedenken hatte, ob er dieses Amt denn würde ausfüllen können, redete ihm auch der verantwortliche Kultusminister zu, es anzunehmen, zumal der designierte Intendant, Peter Jonas, ein guter Teamworker sei und Schneider ja auch schon mit dem Operndirektor Gerd Uecker (späterer Dresdener Generalintendant) gut zusammengearbeitet hatte. Die gute Zusammenarbeit mit Jonas erwies sich jedoch bald als lückenhaft. Alle wichtigen Entscheidungen wurden von diesem allein getroffen, Schneider erfuhr sie zumeist dann aus der Zeitung. „Wenn aber etwas schief ging, dann war ich schuld.“ Eine Rücksprache mit Peter Jonas ergab: „Ich bin laut Vertrag nicht verpflichtet, etwas mit Ihnen abzusprechen.“ Worauf Schneider nach 5 Jahren von seinem Amt als Chefdirigent zurücktrat. Wohlmeinende Freunde sagten ihm, er hätte eigentlich sollen darauf bestehen, dass er „Generalmusikdirektor“ würde, denn das hätte ihm mehr Rechte gegeben. Aber das tut halt ein Mensch, der bisher immer nur auf Grund seines Könnens eingeladen wurde, eben nicht. – Sein Gastvertrag mit München ist eigentlich nie offiziell aufgelöst worden, es kamen nur keine Anfragen mehr.
Schneider versteht nicht, warum es heute nur ein „Entweder – Oder“ zu geben scheint. In seinen 10 Düsseldorfer bzw Duisburger Jahren, wo er sich so ziemlich das gesamte Opernrepertoire erarbeitet hat und von Wolfgang Wagner entdeckt wurde, gab es 3 Kapellmeister – alle 3 Österreicher – , die untereinander kollegial abgesprochen haben, wer was dirigiert. Auch mit Zubin Mehta gab es in München stets eine freundschaftliche Zusammenarbeit. Auf eine Frage aus dem anwesenden Wagner-Kreis, ob Schneider von jüngeren Kollegen vielleicht gelegentlich um Rat und Hilfe gebeten werde, muss er antworten: ganz selten. Sascha Goetzel, der jetzt seinen ersten „Rosenkavalier“ in Wien dirigiert, habe ihn diesbezüglich angesprochen. Auf die Publikumsfrage, ob er auch unterrichtet oder unterrichten möchte: „Solange ich dirigiere, möchte ich das nicht, denn dafür muss man sich Zeit nehmen. Aber künftig: warum nicht?“
Und was bietet Wien? Definitiv ist derzeit nur eine „Salome“-Serie im November 2017 verbucht.
Der „Merker“ wacht und denkt…. Böte sich nicht logischerweise eine „Tristan“- Serie spätestens zum 80. Geburtstag als Liebesgabe der Wiener Staatsoper an ihr Ehrenmitglied an? Was für Zubin Mehta die „Falstaff“-Premiere war, wäre für Peter Schneider eine Reprise von Wiens derzeit schönster Wagner-Inszenierung…
Im Namen unzähliger Opernfreunde Sieglinde Pfabigan