Wien/ Agrana Studiobühne der Staatsoper am 24.11.2017:
Dirigentenwerkstatt mit PETER SCHNEIDER
Peter Schneider. Foto: Ursula Szynkariuk
Oliver Lang plauderte im Foyer der Agrana Studiobühne mit dem Doyen der Dirigenten der Wiener Staatsoper. Vorzustellen brauche er ihn niemandem, meinte Lang, so dass es gleich medias in res ging.
Wie ist der Tagesablauf des Dirigenten, wenn er – wie zur Zeit – dicht hintereinander 2 Opern zu leiten hat? Der Nachmittagsschlaf sei obligatorisch, bekennt Schneider. Die Partitur werde noch am Tage der Aufführung durchgeblättert, um die letzte Sicherheit zu haben. Eindirigieren wie bei Sängern das Einsingen gebe es nicht. Schneider benutzt seine eigenen Partituren, die Einzeichnungen von vielen früheren Aufführungen enthalten. So weiß er heute noch, an welchen Stellen bestimmte Sänger atmen oder nicht. Vom Auswendigdirigieren hält er nicht viel. Er meint sogar, das Orchester könne davon irritiert sein. Manche Dirigenten haben völlig unberührte Partituren ohne Einzeichnungen, das hänge sehr individuell vom einzelnen ab. Bei einigen seiner Kollegen sei das optische Gedächtnis in der Tat so ausgeprägt, dass sie keine Partitur vor sich liegen haben. Wenn er die Partitur lese, höre er die Musik. Die Partituren sind von den Komponisten sehr unterschiedlich gestaltet. Als er an der Rheinoper Düsseldorf/Duisburg einen Zyklus aller Janáček-Opern einstudierte (einschließlich Die Reisen des Herrn Broucek), sei er zunächst ob der Unordnung des Notenbildes schier verzweifelt. Bei Wagner oder Richard Strauss sei alles ganz klar.
Richard Strauss stand denn auch aus aktuellem Anlass im Mittelpunkt des Gesprächs. Die stilistischen Unterschiede etwa zwischen Salome und Ariadne seien enorm, was sich schon an der Orchesterbesetzung zeige (109 Musiker gegen 37 Musiker). Während Salome ein al-fresco-Werk ist, sieht Schneider die größte Schwierigkeit bei Ariadne darin, im Vorspiel keine Löcher aufkommen zu lassen. Überdies fällt ihm selbst bei einer so bekannten Oper wie Ariadne immer wieder etwas Neues auf. So ist im Orchesterverzeichnis keine große Trommel aufgeführt, das Werk werde aber immer wieder mit Trommel gespielt. Bei der Arabella sei zunächst kein Schlagzeug vorgesehen gewesen, auf Bitten der Schlagzeuger der Wiener Philharmoniker habe der Komponist aber noch ein Schlagzeug “reingeschrieben“, damit die Musiker einen Dienst angerechnet bekommen. Als Schneider in Zürich Intermezzo dirigierte, sei er an der Orchestrierung des Schlussduetts hängen geblieben. Wie die Sänger da durchkommen sollten, sei ihm nicht ersichtlich gewesen. Er habe dann eine von Strauss selbst dirigierte Aufnahme in die Hand bekommen und zu seinem Erstaunen festgestellt, dass der Komponist das Orchester an dieser Stelle schweigen ließ!!
Hoch interessant die Ausführungen zur Wahl der Tempi: Diese hängen zu einem großen Teil von den Stimmen der Sänger ab. Singe etwa eine leichtere, schlankere Stimme die Brünnhilde – wie Hildegard Behrens – so seien die Tempi schneller zu wählen als bei einer schwereren, kompakteren Stimme wie der von Gabriele Schnaut oder, wie jetzt in der Ariadne Stephen Gould als Bacchus. Eine solche Stimme brauche mehr Zeit zur Entfaltung.
Jungen Dirigenten gibt er den Rat, als Korrepetitoren anzufangen. Korrepetitor, Studienleiter, 2. und 1. Kapellmeister sei der richtige Weg, bevor man Chef wird. Er nimmt mit Erstaunen zur Kenntnis, dass heute schon blutjunge Dirigenten ohne Erfahrung als Chef eines Orchesters beginnen.
Was für ihn das Schwierigste beim Dirigieren sei, wird er gefragt. Offen gibt er zu, dass das die Taktwechsel sind, wobei er auf besonders vertrackte Stücke wie Strawinskys Sacre verweist. Und wie ehrlich Schneider ist, zeigt sich, als er berichtet, dass er sich bei seinem letzten Bayreuther Tristan im 3. Akt verschlagen habe. Nur durch das hocherfahrene Festspielorchester sei es nicht zum Schmiss gekommen.
Jeder Dirigent erzeuge einen anderen Klang. Als Böhm und Karajan in Wien Le nozze di Figaro dirigierten, seien die Philharmoniker überzeugt gewesen, unterschiedliche Opern gespielt zu haben. Dies liegt nach Schneiders Überzeugung schon am Taktaufschlag, der bei Dirigenten ebenso unterschiedlich ist wie der Anschlag von Pianisten oder der Strich eines Geigers. Er wehrt sich gegen große Gesten und dirigiert – wie Richard Strauss – eher minimalistisch. Allein Leonard Bernstein billigt er die Überhitzung zu. Der habe das in sich getragen.
Befragt nach einem Motto für eine kommende Ausstellung über den Dirigenten Richard Strauss, schlägt er ein Rosenkavalier-Zitat vor: Doch in dem Wie, da liegt der ganze Unterschied.
Johann Schwarz
PS: Das sehr interessierte Publikum bei diesem – ausverkauften – Gespräch hatte danach noch viele Fragen an den Dirigenten und es wurden die unterschiedlichsten Themen und Probleme diskutiert.
Und heute, 25. November, hat er eine „SALOME“ dirigiert, die womöglich alle seine bisherigen Dirigate dieser Oper noch um ein Quäntchen übertraf. Ganz abgesehen von der Klangpracht, die an die 2 Stunden offeriert wurde…Mit solchem mysteriösen Silberglanz ist der „See von Galiläa“ noch selten präsentiert worden, die obstinate Szene mit den streitenden 5 Juden, ob der Prophet wirklich Gott gesehen habe, offenbarten im Dauerforte bei stetem rhythmischem Gleichmaß die ganze herbe Kritik, die Strauss hineinkomponiert hat, und trotzdem blieb der Text zveständlich. Schneider hatuns in seinem Werkstatt-Gespräch am Vorabend informiert, dass Strauss natürlich sehr wohl um die Wucht des 109-Musiker-Orchesters wusste, aber gemeint hat, wenn man wirklich das spielt, was er niedergeschrieben hat, mit allen p und pp-Stellen, trotzdem alle Stimmen auch inmitten des größten Orchesterrausches hörbar bleiben. Dazu bedarf es natürlich höchster dirigentischer Meisterschaft. So geschehen am heutigen Abend! Bei den orchestralen Zwischenspielen, beim Tanz oder den dramatischen Höhepunkten (Abgang Jochanaans in die Zisterne nach dem Fluch, oder am Schluss bei: „Man töte diese Weib““ – da darf man loslassen – denn so steht es geschrieben. Ein Aufschrei der Begeisterung aus dem ganzen Haus empfing den Maestro bei seinem Solovorhang nach diesem Finale.
Nun dirigiert Peter Schneider noch zweimal „Ariadne“ (26. und 29. November).
Von weiteren Auftritten an der Wiener Staatsoper ist uns derzeit nichts bekannt.
Bleibt die Frage an den gegenwärtigen und künftigen Direktor: Was gewinnt die Wiener Staatsoper, wenn sie auf einen solchen Kenner und Könner verzichtet???
Sieglinde Pfabigan
(„I woat auf Antwort….“