Peter Gyuroka:
SOMMERTRÄUME
Eine wunderschöne, verlorene Jugend
200 Seiten. Edition Geschichte der Heimat, 2013
Bücher wie dieses nennt man heute „Geschichte von unten“, und es ist seit nun auch schon längerer Zeit sehr populär geworden, „Durchschnittsmenschen“ ihr Leben erzählen zu lassen. Die Erkenntnis, dass der ganz normale Mensch, der weder mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurde noch die Höhen von Macht, Reichtum und Popularität erreicht hat, ein ebenso wichtiger, relevanter und interessanter Bestandteil der gelebten Geschichte einer Epoche ist wie jeder „Promi“ welcher Art immer.
Nun ist Peter Gyuroka zumal in seiner nunmehrigen Heimat Oberösterreich nicht ganz unbekannt, seit 2002 ist er als Maler tätig, stellt immer wieder aus. Jetzt hat sich der auf die 80 Zugehende (Jahrgang 1935) entschlossen, sein Leben zu erzählen. „Sommertage“ nennt er es, und eine „wunderschöne, verlorene Jugend“ stellt er sogar in den Titel. Auch wenn man sich vorstellen kann, wie glücklich er in seiner Kindheit einst war – was er alles erleben musste, und das schon in jungen Jahren, ringt dem Leser so manchen mitleidigen Seufzer ab.
Aber glücklich war er in seiner Geburtsstadt Weißkirchen, das heute Bela Crkva heißt und in Serbien liegt, einst ein typisches Städtchen der Monarchie in der Vojvodina, wo Multi-Kulti längst erfunden war, bevor man in unseren Tagen den Begriff modern machte. In diesem verträumten Provinzort mit rund 12.00 Einwohnern tummelten sich in großer Zahl die Völker der Monarchie, die Serben, Rumänen, Ungarn, Ruthenen, Juden, mit allen ihren Religionen. Die Gyurokas waren Deutsch sprechende Ungarn, und die Männer der Familie hatten als Kennzeichen besonders große Ohren. Als sich Peter für seine Vorfahren interessierte, hörte er auf, das für ein Manko zu halten – schließlich war man nicht niemand. Irgend ein Ur-,Ur-wer weiß wie viele Ur-Großvater Michael Gyuroka, Ritter zahlreicher Orden, kommandierender General der Kavallerie, war schließlich k.u.k.Kämmerer bei Kaiser Ferdinand I. in Wien gewesen…
Wenn man denkt, wie oft Peter Gyuroka mit seiner Familie fliehen musste, bevor man in Oberösterreich eine neue Heimat fand, erstaunt es, wie viele Fotos sich erhalten haben – nicht nur Familienbilder, sondern etwa auch von der Stadt Weißkirchen. Aber eine Lebensgeschichte ist natürlich eine Familiengeschichte, zuerst die unmittelbare, die Menschen, mit denen man lebt, die Großeltern, Eltern, die Onkeln und Tanten, die Geschwister. Da passierte, wie in jeder Familie, viel.
Dass die deutschsprachige Bevölkerung auf Hitler „wartete“, dass man auch „befreit“ werden wollte – der Peter Gyuroka von heute verschweigt nicht, dass der kleine Peter das natürlich genau so ersehnte wie die Erwachsenen. Allerdings hat das, was dann kam, bald die goldene Kindheit zerstört. Dass er einst das Frisiergeschäft des Vaters übernehmen sollte… das war vom Lauf der Geschichte nicht mehr vorgesehen. Der Vater steckte zeitweise in deutscher Uniform, die Tante verliebte sich in einen SS-Sturmbandführer, der Krieg beherrschte das Leben. Und als dann die Russen kamen, flohen auch die Gyurokas.
Hier nimmt dieses Buch eine tragische Wendung, die man als Leser nicht wirklich durchschauen kann – es wird seine Gründe haben, dass der Erzähler hier diffus wird, denn natürlich geht es um einen nie zu bewältigenden Schmerz. Wie kann man erklären, dass eine flüchtende Familie die kranke Mutter zurücklässt, die dann im Hunger- und Vernichtungslager Karlsdorf der Tito-Partisanen zugrunde ging?
Peter Gyuroka verlor mit neun Jahren die Mutter und lernte die Flucht kennen – mit dem Handwagen nach Ungarn, wo man sich am Budapester Schwarzmarkt zu ernähren suchte, dann Wien, wo Peter als leidenschaftlicher Leser zur Literatur fand und lernte, wie man mit deren Hilfe das Schicksal bewältigen konnte, und schließlich im Spätherbst 1946 das Ende der Odyssee in Linz. Hier gab es ein Flüchtlingslager für die Heimatlosen, später eine Heimat selbst. Wobei Peter Gyuroka, von den Ärzten eigentlich aufgegeben, noch eine schwere Tuberkulose überleben musste…
Auf der Suche nach dem Glück hat er dann einige Frauen hinter sich gelassen, bis er seine Edith fand, die durch alle Schwierigkeiten zu ihm hielt und ihm ein glückliches Leben und eine gelungene Familie schenkte. Hier hat sich einer aus den Gräueln seiner Jugend am Schopf genommen und gerettet. Und nun erzählt er über die Vergangenheit in dem richtigen Gefühl, dass eine Nachkriegsgeneration ja doch kaum weiß, was die Vorfahren erlebt und erlitten haben – und noch so viele Fernsehdokumentationen können nicht das vermitteln, was ein einzelnes Menschenleben vermag.
Renate Wagner