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Peter Bernes: WAGNER ZWISCHEN TODESSEHNSUCHT UND LEBENSFÜLLE – Tristan und Meistersinger. Hollitzer 2020

14.02.2021 | Themen Kultur

Buchbesprechung zu Peter Bernes, Wagner zwischen Todessehnsucht und Lebensfülle. Tristan und Meistersinger, Hollitzer 2020.

berne tristan cover

Peter Berne, Dirigent und ehemaliger Studienleiter der Wiener Staatsoper, nahm sich in seinem Werk Wagner zwischen Todessehnsucht und Lebensfülle. Tristan und Meistersinger, erschienen 2020 bei Hollitzer, die zwei Wagneropern „Tristan und Isolde“ und „Die Meistersinger von Nürnberg“ in philosophisch-analytischer Musik- und Textbetrachtung zu den Schwerpunkten Natur, Liebe, Kunst, Wahn und Resignation und des Nationalen vor. In langen, sich teilweise mehrfach wiederholenden Textpassagen werden die Schwerpunkte, basierend auf den Schriften Wagners und Schopenhauers, unter Verwendung von Zitaten von Buddha und den obligatorischen Schiller und Goethe. Die Entstehungsgeschichte der Werke und die geistige Entwicklung Wagners während der Jahre 1848 bis 1849, vergrößern den Betrachtungshorizont. Sekundärliteratur kommt kaum zum Einsatz. Ein langer Anmerkungsteil am Ende des Buches gibt weitere Hinweise und Erläuterungen. Fußnoten, auf der die Anmerkung betreffenden Seite hätten dem interessierten Leser das ständige Rückblättern ersparen können. Ergänzt wird die Schrift um die chronologischen Daten zur Entstehungsgeschichte der beiden behandelten Werke.

Die zweigeteilte Gliederung des Buches umfasst je einen „Versuch über Tristan“ und „Die Meistersinger“, jeweils in viele Unterkapitel untergliedert, wobei der zweite Teil bedeutend umfangreicher, als das erste Kapitel zu „Tristan“ geworden ist.

„Tristan“ und die „Meistersinger“ gehören für Berne als Werke der Lebensmitte Wagners zusammen und bilden die Fortsetzung seiner Abhandlung zum „Ring des Nibelungen“ und „Parsifal“ mit dem Titel Parsifal oder die höhere Bestimmung des Menschen. Christus-Musik und buddhistische Weltdeutung in Wagners letztem Drama, 2017 ebenfalls erschienen bei Hollitzer.

Laut Bernes Analyse sind Natur, Liebe und Kunst die Initiatoren der Lebensbejahung. Als Gegenpol durchzieht Wagners „Tristan“ die Schopenhauersche Weltverneinung, dessen Nacht, als Sinnbild des Friedens, der Geborgenheit, des Todes, des Eros und der Liebe, in der Musik zur Offenbarung gelangt. Der Tag ist, nach Schopenhauer, eine bloße Täuschung, denn Liebe und Tod sind untrennbar. „Tristan“ wird somit zur praktischen Erfüllung der Schopenhauerschen Philosophie, wobei Buddha den Gegensatz von Liebe und Begierde spiegelt. Der Keim des Übels liegt in der Begierde und der Nicht-Liebe von Tristan und Isolde und Tristans Streben nach Erfüllung seines Sehnens. Kernaussage des Werks ist folglich eine Warnung vor Überhandnahme des Triebs im Menschen und dessen Folgen. Erst im Liebestod kann das begehrende „Ich“ absterben und sich die Verwandlung des Liebesverlangens in Hingabebereitschaft vollziehen. Berne bezieht Wagners Biografie in die Analyse ein und empfindet Wagner selber als Protagonisten des Tristan. Die Tristan-Musik wird zu klanggewordenem Eros, musikalisch gekennzeichnet durch eine kühne Harmonik, eine neue Art der Kontrapunktik und die konzentrierte Form.

Kernaussage der „Meistersinger“ sind Wagners philosophische Gedanken über die Kunst, Hans Sachs Entsagung und, im Gegensatz zu „Tristan“, eine optimistische Weltanschauung, unter Einbeziehung von Elementen der Opera buffa. Die Protagonisten erreichen durch Selbsthingabe ein erfülltes irdisches Dasein, denn Natur, Liebe und Kunst sind der Antipol zur Weltverneinung. Im Schustermonolog steht in philosophischer Hinsicht der „Wahn“ im Mittelpunkt, dessen Wahnsinn ein Ereignis des Wähnens ist, das hier positiv gedeutet wird, als Hervorbringer von Natur, Kunst und Liebe. Naturliebe gehört zur Weltbejahung, Erziehung ist das Bewusstmachen der unbewussten Wünsche und Kunst dient zur Selbsterkenntnis, wobei diese immer vom Handwerk abhängig ist, das mit der Inspiration verschmilzt. Echte Liebe entsteht nur durch heitere Resignation (Entsagung) und führt zur Weltbejahung und ethischem Handeln.

Den Status der „Meistersinger“ als deutsche Nationaloper hinterfragt Berne mittels Textstellen aus Wagners Schrift „Was ist Deutsch“ und Werkzitaten, wobei er dem „Nationalen“ und Wagners Gedanken zur „deutschen Nation“ historisch nachspürt. Erläutert wurden Themen wie das Theater als Ort der Volksbildung, die Volksfremdheit der herrschenden Klasse und die Nachahmungssucht der Deutschen. In der Rollenanalyse wurde Hans Sachs als Anwalt des Volkes, Pogner als selbstloser Kunstförderer, Walther von Stolzing als Jüngling in Vereinigung von Innigkeit und kämpferischem Mut, Eva als Kraft der Liebe, Beckmesser als Karikatur eines reaktionären deutschen Beamten und Kritikers und Hans Sachs als Selbstportrait und Kompensation Wagners, verstanden. Die Schlussansprache von Hans Sachs wird im Exkurs auf die historischen Ereignisse von 1866 und in zeitlos allgemeiner Bedeutung der Worte analysiert.

Der Zusammenhang beider Werke ergibt sich in Thematisierung der Resignation und einer verwandten Personenkonstellation.

Diese philosophische Abhandlung eignet sich als hilfreiche Einführung in beide Werke Wagners, aber auch als Inspiration oder Wiederauffrischung für Wagnerkenner, in der textlich, musikalisch und philosophisch die Themen Liebe, Natur, Kunst und Wahn verständlich, und mit vielen Zitaten verdeutlicht, analysiert werden, leider jedoch unter häufigen, teilweise sogar wörtlichen, Wiederholungen der gleichen Sachverhalte, die zur langatmigen Lektüre führen. Gekürzt und zusammengefasst hätte das Buch bedeutend mehr Lesegewinn bereitet.

Dr. Claudia Behn

 

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