PESARO/Rossini Opera Festival (Vitrigio Arena) : OTELLO von Gioacchino Rossini
am 11.8. 2022 (Premiere)
Desdemona und die „phösen“ Männer. Copyright: Rossini-Festival Pesaro
„Otello“ ist vielleicht eine der wunderbarsten Opern Rossinis. Um sie wirklich zu geniessen, muss man allerdings zuerst seinen Shakespeare total vergessen, denn das Libretto von Francesco Berio di Salso ist (zumindest in den ersten zwei Akten) einfach ein klassisches Opera Seria-Libretto, das drei (!) Tenören die Gelegenheit bietet sich in einer Art „Triell“ um den einzigen Soprano zu streiten.
D i e s e r Otello war noch das ganze 19.Jahrhundert hindurch eine der angesehensten und populärsten Opern überhaupt , bevor er dann von Verdis Tschindarassabum – Spätwerk (das ursprünglich „Jago“ hätte heissen sollen) von den Bühnen und aus dem Bewusstsein der Melomanen verdrängt wurde.
Das Rossini Opera Festival hat dieses „capolavoro assoluto“ schon 1988 endlich wiederentdeckt und heuer wieder aufs Programm gesetzt. Das wäre ja an und für sich eine Freudensbotschaft….wenn, ja wenn…man die Neuinszenierung nicht Rosetta Cucchi anvertraut hätte. Die Cucchi, aus Pesaro gebürtig, ist eine äußerst sympathische Frau, die jahrelang beim Festival als geschätzte und beliebte Korrepetorin tätig und war derzeit auch als Intendantin beim Wexford Festival in Irland sehr tüchtig ist. Nur das mit dem Inszenieren…
Man war ja schon stutzig geworden, als sie in präliminaren Interviews die Modebegriffe „femminicidio“ und „diversity“ als Schlüssel zu ihrer Interpretation fallen liess…O mein Gott ! Gehts noch banaler und opportunistischer ? Da schrillten alle möglichen Alarmglocken !
Es kam aber n o c h schlimmer …
Also abgesehen davon, dass der sogenannte „Femminizid“ ein übel propagandistischer Kampfbegriff des Hardcore-Feminismus in seinem „stalinistischen“ Stadium ist – es gibt statistisch gesehen schlicht und einfach nicht mehr Morde an Frauen als an Männern pro Jahr – mit dem versucht wird, dem „Patriarchat“ und den „toxischen Schwanzträgern“ (weißen alten Männern geht sich in diesem Fall als Beschimpfung ja schlecht aus) die Schuld an allem und jedem und allem Bösen und allen Übeln dieser Welt in die Schuhe zu schieben, hat der Rossinische „Otello“ damit nun wirklich nichts zu tun.
Doch von ihrer Idee besessen, beginnt die Cucchi schon während der Ouvertüre (auch so eine Unsitte) irgendwelche Zeitungsausschnitte von irgendwelchen boulevardesk „Femminicidio“ genannten Morden an italienischen Frauen auf den Vorhang zu projezieren. Sei‘s drum…
Als sich dieser dann öffnet, geht schon der nächste Schwachsinn los. Cucchi inszeniert oder sagen wir besser, arrangiert ein Wimmelbild auf der Bühne: unzählige Choristen und Statisten, die in einem riesigen Saal mit einer riesigen Tafel so tun müssen, als ob sie Party hätten und dabei – um die Musik nicht zu stören – zwar gestisch herumfuchteln, aber keinen Laut von sich geben dürfen, also „stumme Jule“ (Bühnen-Fachausdruck) spielen müssen. Eine theatralische Todsünde…
Da die Mutter des Schwachsinns immer trächtig ist, geht der galoppierende Schwachsinn flottest weiter : „Otello“ tritt auf – in der Gestalt von Enea Scala. Dieser ist als Sizilianer zwar ganzjährig gebräunt, aber bei Cucchi – die sich opportunistisch vorsorglich naturgemäß dem derzeit vorherrschenden Woke-Pc-Blackfacing-Pfui-Terror beugt – ist er selbstverständlich vollkommen ungeschminkt. Abgesehen davon, dass diese ganze überflüssige Debatte total unsinnig ist (das Wort „Mohr“ kommt von „Maure“ und bezeichnet einen muslimischen Nordafrikaner – aus dem heutigen Marokko oder Algerien oder dem ehemaligen Südspanien – und nicht einen schwarzafrikanischen Ne…r.) macht es diese feige Nicht-Entscheidung Enea Scala (der nur eine schmucke Admiralsuniform trägt und somit locker als purer Venezianer durchgehen könnte) schwer bis unmöglich, glaubwürdig einen ausgenützten Außenseiter zu verkörpern.
Zoff in der Waschküche. Copyright: Rossini-Festival Pesaro
Kaum ist das hässliche und ablenkende Anfangswimmelbild vorbei, haben Cucchi und ihr Bühnenbildner bereits das nächste Attentat auf die Sehnerven der Zuschauer parat : die riesige Bühne der Arena ist plötzlich auf einen winzigen Ausschnitt verkleinert, in dem – man traut seinen Augen nicht – eine Mischung aus Küche und Waschküche aufgebaut ist. Ja, um Himmels Willen, wo auf der Welt gibt es denn sowas ?? In selbiger Waschkuchlkuchl spielen Otellowitsch und Rodrigowitsch – anstatt sich zu duellieren – dann (unergründlicher Cucchischer Ratschluss) r u s s i s c h e s Roulette. Auch schon wurscht…
Diese hässlichen Unsinnigkeiten oder unsinnigen Hässlichkeiten werden im dritten Akt noch einmal getoppt. Da steht dann statt einem Schlafzimmer aus unerfindlichsten Gründen ein riesiger laaaaaaaaaanger putinesker „Ich will mir unter dem Vorwand von Covid Olaf Scholz und Emmanuel Macron vom Leib halten“ – Tisch auf der Bühne. Was natürlich alles ruiniert: den Gesang des Gondolieres, das unendlich zärtliche und unendlich traurige Salice-Lied (viiiiel schöner als das Verdis) und selbstverständlich auch die Wirkung des Mordes selbst.
Um die Zerstörung dieses möglicherweise kühnsten dritten Aktes der Operngeschichte möglichst vollständig zu machen tanzt sich im Hintergrund eine (Sie haben es erraten!) „People of Colour“ – Ballerina als Desdemona-Double einen Ast ab, während über ihren beiden Köpfen angebliche „Brautkleider“ (die aber eher wie riesige gefüllte Präservative ausschauen) bedrohlich schweben…
Immer wieder im Lauf des Abends ist man versucht, die Vorstellung nur noch mit geschlossenen Augen zu verfolgen. Das klappt aber beim besten Willen nicht. Denn erstens wird man, sobald man unvorsichtigerweise die armen Äuglein auch nur kurz ein wenig öffnet, von der nächsten grotesken Scheußlichkeit geblendet und zweitens. ist das, was man zu hören bekommt, auch nicht gerade das Paradies.
Der wunderbare Rossini-Tenor Sergej Romanowsky hat den Otello leider abgesagt, statt seiner singt Enea Scala, d.h. er singt nicht, er b r ü l l t. Eine sehr angesehene italienische Kritikerin (ja genau jene, die sich im „Comte Ory“ geweigert hat, zu lachen) lobt ihn in ihrer Rezension über den grünen Klee. Was bei ihren Kolleginnen, die allesamt der Meinung waren, er hätte „come un cane“ (wie ein Hund) gesungen, heftiges Kopfschütteln auslöste: war sie ertaubt? Bestochen ? Oder einfach nur verliebt ??
Wie dem auch sei: Eleonora Buratto als Desdemona sang wenigstens wirklich, schließlich ist sie eine der besten italienischen Soprane, aber…In Interviews beklagt sie wortreich, dass sie in Pesaro lange gedisst wurde, weil man sie für eine Verdi- und keine Rossini-Stimme hielt. Nun, was soll ich dazu sagen, ohne mich noch unbeliebter zu machen: aber ganz von der Hand zu weisen ist dieses Argument leider (wie schon letztes Jahr beim Moïse et Pharaon) nicht…
Hinzukommt, dass die Buratto eine etwas unglückliche Figur ihr eigen nennt. So etwas darf man beim vorherrschenden Tugendterror ja nicht einmal wertfrei feststellen, ohne sofort einen Shitstorm wegen „Bodyshamings“ abzukriegen (wie Kollege Brug vor zwei Jahren bei den Salzburger Festspiele). Das Problem wäre ja nicht einmal ihre Vollschlankheit (da hat es in der Operngeschichte wahrlich andere Beipiele gegeben) – obwohl es eine Geschichte, dass sich drei (oder vier, wenn man den Vater dazurechnet) Männer wegen Desdemona auf Tod und Teufel bekriegen, nicht gerade plausibel macht, wenn ihre Darstellerin nicht zumindest eine gewisse Attraktivität aufweist.
Das Problem ist die schreckliche Kostümbildnerin (Ursula Patzak), die die Buratto, so wie sie gebaut ist, noch dazu in einen absolut unförmigen schwarzen Kartoffelsack steckt. Man fragt sich…
Evgeny Stavinsky als Elmiro schlägt sich passabel, Antonio Siragusa als Iago (mit seinem unverwechselbaren metallischen Timbre) singt verlässlich…aber vielleicht auch schon zu lang…so dass es (eigentlich als einzigem) Dmitry Korchak als Rodrigo vorbehalten bleibt, für jene Belcanto-Glücksmomente zu sorgen, die man beim berühmten Rossini Festival in Pesaro eigentlich als selbstverständlich voraussetzt…
Das Patriarchat verübt den Femminincidio. Copyright: Rossini-Festival Pesaro
Es müsste sich im Übrigen auch schon herumgesprochen haben, dass Rossini – nicht nur wegen der Zensur, sondern auch auf Bestreben von Maria Malibran – für seinen Otello mehrere „lieto fine (= Happy End)“ – Schlüsse komponiert hat.
Aber wenn man das in Betracht gezogen hätte, hätte das natürlich Cucchis ganzes modisch-aufgebauschtes und antirossinianisches „Femminicidio-toxische Männer sind grundsätzlich phöse – und strukturell alles patriarchalische Mörder“ – Konstrukt über den Haufen geworfen…
Robert Quitta, Pesaro