Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

PESARO/ Rossini Opera Festival : SEMIRAMIDE, DEMETRIO E POLIBIO und L’EQUIVOCO STRAVAGANTE von Gioacchino Rossini

11./12./13.8. (Robert Quitta/ Pesaro)

16.08.2019 | Oper

PESARO/ ROSSINI OPERA FESTIVAL : SEMIRAMIDE, DEMETRIO E POLIBIO und L’EQUIVOCO STRAVAGANTE von Gioacchino Rossini

am 11., 12. und 13. 8.2019

Zu seinem 40jährigen Jubiläum präsentierte das Rossini Festival in Pesaro wie immer drei Opern des hier geborenen Meisters.


„Demetrio e Polibio“: Geister auf der Hinterbühne. Foto: Rossino Opera Festival Pesaro

Die erste, DEMETRIO E POLIBIO, ist eine Jugendsünde des 15jährigen Rossini, und es ist nicht  einmal sicher, wieviel Musik davon überhaupt von ihm stammt. Regisseur Davide Livermore hatte eine sehr interessante Ausgangsidee: die Handlung spielt auf der Hinterbühne eines Theaters nach Ende der Vorstellung, und die Figuren erwachen wie Geister aus diversen Kisten langsam zu neuem Leben. Die Inszenierung hat sich bei dieser Wiederaufnahme seit ihrer Premiere (2010) sehr verbessert, und es gibt auch ein paar hübsche magische Tricks, und es wird auch sehr gut gesungen (Cecilia Molinari, Riccardo Fassi), aber im Prinzip ist diese Nullität von einem Erstlingswerkchen nicht einmal durch alle Tricks dieser Welt nicht zu retten …

Die Opera Buffa L’EQUIVOCO STRAVAGANTE des 19jährigen Gioacchino hingegen ist bereits ein ausgewachsenes kleines Meisterwerkchen mit einem genialen, von anzüglichen und zotigen Doppel- und Dreifachbedeutungen strotzenden Libretto. Vor einigen Jahren hätte man dieses „extravagante Missverständnis“ in einer begeisternden, von Erotik nur so aufgeladenen Inszenierung von Emilio Sagi (auf DVD nachvollziehbar) gesehen.


„L‘ equivoco stravagante“ : Falsche Nasen und falsche Kühe. Foto: Rossino Opera Festival Pesaro

Die heurige Neuproduktion hingegen wurde vom Regieduo Moshe Leiser/ Patrice Caurier in den Sand bzw. um im Bilde zu bleiben (den ganzen Abend lang glotzt eine Kuh blöd durch ein großes Fenster ins Wohnzimmer hinein) in den Dung gesetzt. Wenn man nicht wüsste, wer die beiden sind, wenn man nicht wüsste, was die beiden können (man denke nur an die herrliche „Italiana in Algeri“ mit der Bartoli in Salzburg), würde man sie glatt für die unehelichen Söhne von Michael Hampe und Otto Schenk halten. Kostüme wie aus dem Fundus der Löwingerbühne, Figuren wie aus einem Bauerncomics, keine Menschen, nur schlecht ausgestopfte Karikaturen, die sich außerdem noch unterbrochen am A….kratzen (wofür Otti ja in seinen Hoch-Zeiten berühmt und berüchtigt war). Aber soviele Wimmerl am Popo, wie hier ununterbrochen gekratzt, gibt’s auf der ganzen Welt nicht….

Und für diesen primitiven und banalen Schmarrn hat man hier auch noch sieben Wochen geprobt.

Ein echtes Ärgernis. Ärgerlich vor allem auch dadurch, dass dieser zweieinhalbstündige Regie-Streik die Gesangsleistungen des hervorragenden Ensembles (u.a.Teresa Jervolino) nachhaltig beeinträchtigt.

Angesichts dieser unerfreulichen Erlebnisse blieb es der neuen SEMIRAMIDE vorbehalten, die Ehre des heurigen Festivaljahrgangs zu retten. Dieses „melo-dramma in due atti“ ist Rossinis letzte für Italien geschriebene Oper und – man kann es nicht anders sagen – ein absolutes Meisterwerk, vielleicht sogar sein opus magnum. Es hat eine grosse, ausladende, ambitionierte Architektur, die sowohl in den Strukturen selbst als auch in Details in jedem Augenblick über die Maßen harmonisch ist.


„Semiramide“: Im Auge des Teddybären. Foto: Rossino Opera Festival Pesaro

Semiramide ist so etwas wie die Kathedrale von Chartres der Operngeschichte, ein Monument der Vollkommenheit, ein etwas über vierstündiger ultimativer musikalischer Gottesbeweis.

Und dabei liegt ihr die (von Voltaire Vorlage übernommene) schauerlichste Geschichte zugrunde, die sich irgendwie denken lässt: Königin ermordet mithilfe ihres Geliebten den König, der junge, totgeglaubte Prinz wächst im Ausland unter falschem Nemen auf. Als er in die Heimat zurückkehrt, will ihn die Mutter vom Fleck weg heiraten, das Orakel bzw. der intrigante Oberpriester befehlen dem Buben jedoch, seine Mamsch abzukrageln, und zwar auch noch dazu im Grab vom Papa.

Hamlet trifft Ödipus und Orest…Geht’s irgendwie schauerlicher und perverser ? Wohl kaum…

Regisseur Graham Vick interpretiert diese fürchterliche Horrorstory folgerichtig als Selbst-Therapie eines schwerst traumatisierten Jungen. Mit großen naiven Zeichnungen, wie sie Kinder anfertigen sollen, die Zeugen einer Bluttat wurden, mit einem kleinen blauen Himmelbettchen und einem riesigen großen blauen Teddybären etc…

Und erntete dafür am Schluss einen Buhorkan, der sich was gewaschen hatte und ihn fast von der Bühne geweht hätte…

Ich möchte ihm hingegen an dieser Stelle danken, dass ich (wie viele andere Zuschauer auch) nach zig (musikalisch wunderbaren) Semiramiden zum ersten Mal verstanden habe, worum es in diesem babylonischen Schauerdrama überhaupt geht. S e h r erhellend !

Musikalisch schwebte man – selbst von den bösartigen und dummen Vick-Feinden unbestritten – im siebten oder auch achten oder neunten Rossini-Himmel .

„Lokalmatador“ Michele Mariotti sorgte gemeinsam mit dem Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai für eine ungeheuer spannungsgeladene und energetische, aber auch detailverliebte und transparente Interpretation dieser Mega-Partitur.

Der Gesangscast war – wie eigentlich immer, seit der ehemalige Sänger und Sängeragent Ernesto Palacio Intendant des Festivals ist – von olympischer Qualität.

Besonders hervorheben muss man aber trotzdem auf alle Fälle noch die (aus der Zeddaschen Accademia Rossiniana hervorgegangene) Simone Jircia als Bussineswomanmörderrabenmutter Semiramide und die Armenierin Varduhi Abrahamyan als ihr Sohn Arsace. Ihre überragende Leistung macht uns den ganzen Abend lang sprachlos. Wie sie bis zu 15 Minuten lange Arien mit ihren halsbrecherischen Koloraturen scheinbar mühelos bewältigt, sich dabei aber nie in reine gesangliche Virtuosität verliert, sondern die Rolle in jedem Augenblick einfühlsam und beseelt gestaltet… so ein überzeugendes Debut hat man schon lange nicht miterlebt. Unglaublich ! A Star is born…

Vicks Semiramide wird im Herbst in Rai 5 übertragen (und kommt dann wahrscheinlich als DVD heraus). In der nächsten Saison ist sie dann auch noch einmal live in Liège zu erleben. Anschauen, wo und wie auch immer !

Robert Quitta, Pesaro

 

Diese Seite drucken