PESARO/ Rossini Opera Festival: EDUARDO E CRISTINA von Gioacchino Rossini
am 17.8.2023 ( dritte Vorstellung)
Die Aschenleichen. Copyright: ROF
Jahrzehntelang war „Eduardo e Cristina“ das Stiefkind der „Rossini-Renaissance“. Auf diese Oper wurde herabgeschaut, sie wurde verachtet, verrissen und bespuckt und als „Pasticcio“, als „Mischmasch“, als „Potpourri“ und sogar als „Packerlsuppe“ beschimpft und beleidigt. Und somit sogar oder gerade von den Gralshütern der „Fondazione Rossini“ (zusätzlich noch mit der Ausrede der fehlenden Originalpartitur) als nicht für würdig erachtet, beim Rossini Opera Festival aufgeführt zu werden.
Nachdem man alle anderen vergessenen Werke des Meisters in den letzten 40 Jahren wiederbelebt hatte, war es heuer – wahrscheinlich aus Mangel weiterer Entdeckungen und unter dem Vorwand der (auch ohne Originalpartitur) doch stattgefundenhabenden Erstellung einer „historisch-kritischen Ausgabe“ – endlich endlich endlich soweit: Eduardo e Cristina erlebte als letzte der Opern Rossinis ihre Wieder-Geburt in Pesaro.
Und siehe da, es war – eigentlich wie immer seit der Gründung des Festivals – eine überwältigende, alle Scheinurteile, alle Vorurteile, alle Diskrimierungen, alle Verachtungen, alle Beschimpfungen, alles Pasticcio-Mobbing durch unmittelbare Hör-Erfahrung souveränst und ultimativst über den Haufen werfende Offenbarung. Ein für alle Mal: EDUARDO UND CRISTINA IST EIN ABSOLUTES MEISTERWERK. Punkt.
Der König und die lebendigen Toten. Copyright: ROF
Ja, gut, es ist ein „Pasticcio“. Na, und ??
„Pasticci“, also die Zusammenstellung von (eigenen und fremden) „Greatest Hits“ unter dem Deckmantel eines neuen Librettos, waren eine gängige und beliebte und äußerst erfolgreiche Praxis zur damaligen Zeit. Und dasselbe Prinzip, nur unter dem neuen Namen “Jukebox-Musical“, ist derzeit wieder total en vogue (Mammamia, Ich war noch niemals in New York, I am from Austria, Jersey Boys etc.etc.) und bringt weltweit Milliardeneinnahmen.
Das zweite dummdreiste Vorurteil lautet, dass Rossini eh nur dauernd „autoprestiti“ (Anleihen bei sich selbst) vorgenommen und sich selbst sozusagen permanent plagiiert und recyclet hat.
Witzigerweise wird dieser Schwachsinn meist von Wagnerianern verzapft, Anhängern jenes Komponisten also, der – da ihm ja (wie schon Nietzsche festgestellt hat) keine Melodien eingefallen sind – mit der geringfügigen Variation einiger Taktfolgen unter dem hochtrabenden Titel „Leitmotiv“ ganze Tetralogien legomusikalischmässig zusammengebastelt hat.
Man muss schon sehr böswillig und ignorant sein, um so einen propagandistischen Schwachsinn behaupten zu können.
Denn Rossini hat ja immer wieder Teile seiner Kompositionen weiter-, wieder- und neuverwendet, aber er war sich i m m e r bewusst in welchen Zusammenhang. Und hat daher jedesmal auch Tonarten, Rythmen, Einleitungen etc. dementsprechend verändert.
Das geht soweit, das selbst hartgesottene Rossini-Experten die transformierten „Zitate“ aus Ricciardo e Zoraide, Ermione und Adelaide di Borgogna hier gar nicht erst wieder-erkennen…Wenn man es also nicht wüsste, würde man nicht draufkommen, dass wir es bei „Eduardo“ mit einem „Patchwork“ zu tun haben. Denn Eduardo e Cristina ist eine in sich stilistisch äusserst geschlossene Oper, und die in allen Vorstellungen enthusiastische Reaktion des Publikums beweist, dass wir auf sie unnötigerweise jahrzehntelang gewartet haben.
Der Enthusiasmus und das Glück der Wiederfindung überwog sogar allfällige Perplexitäten gegenüber der doch sehr sehr speziellen Inszenierung, selbst bei eher konservativ eingestellten Zuschauern.
Stefano Poda, der gerade erst mit seiner „100 Jahr Jubiläums“ – Aida in der Arena von Verona einen regelrechten Kultur- um nicht zu sagen Religionskrieg entfacht hat, ist ja nicht einfach nur ein Regisseur, sondern gleichzeitig sein eigener Bühnen- und Kostümbildner, Choreograph und Lichtdesigner.
Und seine Produktionen eigentlich somit sehr persönliche Gesamtkunstwerke, eher der bildenden als der darstellenden Kunst zuzuordnen. Manche Kritiker nennen seine Inszenierungen daher lieber „Installationen“.
Kurzes Glück mit Sohn (bzw. Enkel). Copyright: ROF
Wenn sich der Vorhang hebt, blicken wir also frontal auf eine riesige Wand mit Bruchstücken antiker Skulpturen und seitlich auf riesige Vitrinen mit liegenden Figuren, die stark an die berühmten Pompejanischen Aschenleichen erinnern.
Dieses Motiv greifen auch die Mimen auf, die – halbnackt und ganzkörpermässig weiss gekalkt – als eine Mischung von Aschenleichen und Butoh-Tänzerinnen immer wieder laokoongruppenartige Menschenknäueln bilden und somit die Handlung und die Seelenzustände der Protagonisten ausdrücken und kommentieren.
Die Protagonisten wiederum sind ganz streng in weiss und schwarz gekleidet. Gelegentlich, wenn sie vorübergehend kurz glücklich zu sein vermeinen, dürfen sie auch bodenlange,buntornamentierte Mäntel tragen.
Tja, die Protagonisten…was soll man sagen…sind einer besser als der andere.
New Entry Anastasia Bartoli, dem Grossteil der Zuschauer bisher eher kein Begriff, erobert schon mit ihrem ersten Auftritt als Cristina unser aller Augen, Ohren, Herzen und Seelen im Sturm. Die vulkanische Sängerin, „Tochter von“ der legendären Diva Cecilia Gasdia (die gerade hier in Pesaro große Triumphe feierte), tätowierter Heavy Metal-Fan und akrobatische Fallschirmspringerin, war bisher eher für ihr Verdi-Repertoire (z.B. Lady Macbeth) bekannt, ist aber für die Rossini-Belcanto-Szene ein gewaltiger Gewinn. Daniela Barcellona (als ihr Liebster Eduardo) wiederum ist seit 25 Jahren eine fixe Größe beim Rossini Opera Festival und steht nach solanger Zeit immer noch wie ein Fels in der gesanglichen Brandung da. Echt bewunderungswürdig.
Enea Scala als Vater Cristinas ist ein zerrissener, irrsinniger, tollwütiger König Carlo, der, sobald er erfährt, dass er Großvater geworden ist, alles rund um ihn zu töten und vernichten versucht, nur um seinen Alterungsprozess aufzuhalten. Und er bewältigt als dieser die Hals-Kehlkopf-und Stimmbänder-brechenden Zumutungen seiner Arien bravourösest.
Aber auch alle comprimari sind bestens besetzt und erfüllen ihre Aufgaben exzellentest: zuvörderst Matteo Roma als Atlei und Grigory Shkapura als Giacomo.
Besonders erwähnenswert auch die genialischen, ungeheuer präzisen, ungemein wirkungsvollen, überraschenden, aber immer dramaturgisch begründeten blitzartigen Lichtwechsel des großen Demiurgen Poda.
Man muss ja diesen Poda – Style nicht unbedingt mögen…aber in diesem konkreten Fall muss man doch vorurteilsfrei feststellen, dass Podas Vorgangsweise – immer im Geist der Musik, nie gegen sie – zur prägnanten Präsentation dieser Wiederuraufführung entscheidend beigetragen hat.
So wie Jader Bignamini an der Spitze des Orchestra della Rai, der die interpretatorischen Zügel fest in der Hand hält und für nie nachlassende Spannung an diesem Gott sei Dank zumindest dreieinhalb Stunden dauernden Abend sorgt.
Fazit: ein weiteres spätes Verdienst, eine weitere denkwürdige Sternstunde des Rossini Opera Festivals in Pesaro, fast so wie in den alten, goldenen, heroischen Zeiten, als sich mit jeder wieder-entdeckten Oper eine neue nie gehörte Welt, ein neuer unbekannter Kontinent eröffnete.
Wer nicht dabei war, hat etwas versäumt (auch wenn die gesamte Aufführung dank Rai5 auf Youtube nachzuhören und nachzusehen ist).
Robert Quitta, Pesaro