„Vendetta!“ – Gioachino Rossinis „Ermione“ auf dem Rossini Opera Festival in Pesaro, Aufführung vom 17. August 2024
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Anastasia Bartoli, Juan Diego Florez. Copyright: Rossini Festival Pesaro
Dunkle Wolken ziehen über den Strand von Buthrote, der Hauptstadt von Epirus. Troja ist gefallen. Dieser Sieg der Männer um Achill hat die Missgunst etlicher Götter hervorgerufen und so ist das Schicksal all jener, die daran beteiligt waren bereits besiegelt. Dies gilt auch für Neoptolemos, der wegen seiner roten Haare Pyrrhos gennant wird. Als Sohn des Achill ist er seinem Vater in Antlitz und kriegerischer Leistung gleich. Nach dessen Tod sitzt er an seiner Stelle im hölzernen Pferd, welches Troja letztlich zu Fall bringt und enthauptet den König Trojas, Priamos vor dem Altar des Zeus im Beisein seiner Familie. Zum Lohn erhält Pirro die Andromache, Witwe Hektors als Sklavin und Konkubine. Ausgerechnet Andromache, die Frau Hektors, der Sohn des Priamos, der Heerführer Trojas, der von Pirros Vater Achill nicht nur vor den Mauern Trojas getötet, sondern auch noch grausam geschändet wurde. Doch Pirro fehlen Weis- und Klugheit seines Vaters. Denn in Buthrote wartet bereits seine Frau Ermione auf ihn, mit der er jedoch vergeblich versucht, Kinder, Erben des Throns von Epirus zu zeugen. Einsam sitzt sie im Hintergrund der Bühne an einer großen Tafel, umgeben von Höflingen, die sie bejubeln und gleichzeitig begaffen.
Ein weisser Rahmen aus Licht umrahmt die Bühne, eine engelsartige Gestalt sitzt noch vor dem Beginn der Ouvertüre an der Vorderbühne, die sich noch vor dem Orchester liegend direkt vor den Augen des Publikums erstreckt. Eine engelsartige Gestalt sitzt dort an einem freistehendem Tisch, es soll Amor sein, der das Bild aus der Ferne betrachtet, wohlwissend, dass er bald eingreifen und das Schicksal Pirros und Ermiones entscheidend verändern wird. Schwarze, graue und lilane Farbtöne dominieren das Bild. Es ist eine fast surreales und apokalyptisches Bild, eingerahmt von immer wiederkehrenden Videoaufnahmen eines kargen Strandes, an welchem das zerstörte Troja zu sehen ist. Bedeutungsschwanger und bedrohlich erklingt die Ouvertüre. Michele Mariotti beschwört mit dem Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI einen dramatischen und tragischen Klang herauf, der uns ahnen lässt, das diese Geschichte kein gutes Ende nehmen wird. Sattes Holz steht schneidenden Streichern entgegen, die sich gemeinsam als eine Ankündigung dieser Tragödie von Klimax zu Klimax aufpeitschen.
Im Hintergrund klagen die Gefangenen „Troia! Qual fosti un di!“. Der Coro del Teatro Ventidio Basso erfüllt heute Abend nicht nur eine akustische Funktion. Gleichzeitig ist er von Rossini als Reminiszenz an die griechische Tragödie konzipiert. Er mahnt vor den eintretenden Ereignissen und ist gleichzeitig deren Wegbereiter, ein Publikum der Geschehnisse, die die Unterhaltung durch das Geschehnisse selber einleitet, ihr den Weg bereitet um sich daran weiden zu können. Und so bilden sie selbst eine dekadente Hofgesellschaft, deren unersättliche Vergnügungssucht sich an jedwedem Skandal und Leid weidet. Die Kostüme Jorge Jaras‘ sind schwer einzuordnen was sie eigentlich darstellen sollen und erinnern in ihrer Skurrilität an eine Nacht im Berliner Club Berghain. In diesem bizarren Bild nimmt Pirro bei den Worten „Ahi! Qual balen sparì“ den Ring von Ermiones Finger. Wieder verdunkeln Wolken den Himmel über Buthrote und mit den letzten eindringlichen Tönen der Ouvertüre erhebt der Chor die Tafel und leitet somit auch die Erhebung Ermiones ein, die sich nun zu ihrer Rache rüstet.
Immer wieder fallen die Höflinge über den Sohn Andromacas her, fesseln ihn, ziehen ihm eine Plastiktüte über das Gesicht, nah der Erstickung kauert er auf dem Boden. Dabei klagt Amdromaca ihr Leid, niemand ist da der sie vor dem ruchlosen Handeln in Buthrote beschützt. Innbrünstig klingt Victoria Yarovaya dabei, ihr Mezzo ist so klar wie Andromacas Wahrnehmung und bringt doch jene schwere Bürde zum Ausdruck, die sie belastet: „Sposo! Ettore! Io ti perdei! Nè seguirti ancor mi è dato? Figlio amato! Ah! Sol tu sei, che mi reggi in vita ancor“. Noch ahnt sie nicht, dass Pirros handeln sie bald in vermeintliche Sicherheit bringen soll.
Copyright: Rossini.Festival Pesaro
Ermione und ihre Entourage wissen davon. Mit virtuoser Heiterkeit und graziler Eleganz versucht Martiniana Antonie als Cleone ihre Herrin davon abzulenken, ihr verführerische Ablenkung zu schaffen. Doch zu sehr gekränkt und zutiefst verletzt ist Ermione und Anastasia Bartoli lässt während „a tante cure“ ihre Wut langsam aber unaufhörlich auflodern. Sie konfrontiert Pirro mit ihrem Wissen doch der streitet ab und verlacht sie, hält sich für unbesiegbar, er der „figlio dell Achill“. Frau Bartolis Stimme entwickelt eine unbändigen Kraft neben der Pirro trotz seiner Selbstherrlichkeit als absolutes Leichtgewicht erscheint. Enea Scala singt schöne, weite Bögen, doch sein Pirro verschwindet unter dem aufsteigenden Zorn und der vor wütender Dunkelheit schimmernden Stimme Anastasia Bartolis. Wir ahnen, diese Rache wird auswegslos sein und zweifelsohne zum Ziel führen. Ermione schleudert es wuchtig in Pirros Gesicht: „Vendetta“!
Schon verkündet der Chor die Ankunft Orestes und Ermione frohlockt, denn er wird das Werkzeug ihrer Rache sein. Leise und noch viel eindringlicher malt sie sich aus wie Oreste Pirro vom Thron stürzen wird. In abartiger Freude, übertönt sie in ihrer Stille fast schneidend die Stimmen des Chores und Pirros. „Perchè soave calma da me fuggisti ognor?“ – Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird.
Ermione und Pirro stehen sich nun unversöhnlich gegenüber, an den zwei Flügeln der Vorderbühne sitzen sie wie Boxer vor ihrem Auftritt vor Spiegeln und bereiten sich auf ihren Kampf vor.
Konzertant weden die Rezitative durch das gesamte Orchester begleitet und entfalten so nicht nur eine akustisch grössere Strahlkraft. Maestro Mariotto färbt den Klang bewusst düster, ja regelecht gewalttätig ein, grollend und wogend zieht der Konflikt immer weiter hinauf und droht uns akustisch regelrecht zu erschlagen, kein Entkommen ist hier mehr möglich. Da betritt Oreste die Szenerie. Ganz in weiss erscheint Juan Diego Florez auf dem Absatz einer grossen Freitreppe. Wie ein Heilsbringer scheint er die mäandernde Dunkelheit durch seinen Auftritt zu zerschneiden. Leise klingt er und erscheint weit hinten im Bild. Doch seine Stimme ist zart und samtig strahlend. Als sei er die Verkörperung des Guten, fest gewillt alles zu tun um Buthrote wieder zu einem schönen, einem freudigen und hellen Platz zu machen, doch verschluckt auch ihn die Dunkelheit am Hof. Wie ein lang gezogener Hilferuf, ein zarter, fragiler Ast von funkelnder Schönheit klingen die letzten Töne seines Auftritts lang gehalten durch den dunklen Saal: „È il creder fallace che rechi ad un core di amore la face piacer, volutta“ Langer Applaus und zahlreiche Bravo für Herrn Florez.
Frau Bartoli’s Ermione beginnt sogleich den Oreste zu becircen, die betörende Süße die nun in ihrer Stimme liegt ist ein tödliches Gift, von dem man nicht genug bekommen kann, wohlwissend, dass sie nur einem Zweck dient, so durchtrieben und verdorben ist ihr Verführungsspiel. Wenn es so etwas wie todische Weiblichkeit gibt, dann erleben wir sie hier bei Ermione. Und sie ist so unwiderstehlich, dass Pirro sich ihr in aufrichtiger, naiver, ja schon einfältiger Hingabe ergibt. Es entspannt sich ein hochlyrisches Liebesduett „Amarti?“, bei welchem das Publikum regelrecht dahinfliesst und mit welchem Rossini der Romantik vorgreift. „Ah! Me pria verdai spirar!“ haucht Frau Bartoli regelrecht durch den Saal, „Di’ che mi abborri ognor“ donnert JDF heldisch strahlend zurück. Nahtlos geht das Werk in „anime sventurate“ über und gipfelt in eimer beeindruckenden Leistungsschau des Belcanto. In aberwitzige Höhen steigern sich funkelnd die Koloraturen von Frau Bartoli und Herrn Florez, sehnsüchtig und verlangend treffen sich beide schliesslich nach „Se v’ha maggior, voi dite, del fiero mio dolor“ schliesslich zum Kuss – während im Hintergrund die Logen des Teatro Rossini eingeblendet werden und wir in der Sesselganitur des Theaters den Hofstaat sehen, welcher sich an der scheinbar neu entstandenen Liebesgeschichte ergötzt, darüber zu tuscheln beginnt und dem Paar applaudiert. Unter Ihnen auch Pirro, der glaubt, nun eines Problemes entledigt und weiter unantastbar zu sein.
Und so sehen wir nach der Pause Andromaca wie sie während „Ommbra del caro sposo!“ ihrem toten Gatten Treue schwört. Majestätisch trägt sich der Mezzo von Victoria Yarovaya, Würde und Erhabenheit strahlt ihre Figur aus, edel ist der Klang ihrer Stimme. Pirros Eintritt nach dieser Arie verheisst nichts Gutes, siegesgewiss erpresst er sie mit dem Leben ihres Sohnes dazu, seine Liebhaberin zu werden, lästert dabei noch den Göttern: „Viena a giurar sull’arra“ und besiegelt so Pirros Schicksal endgültig.
Was dann folgt, ist eine der beeindruckendsten Partien der Operngeschichte überhaupt. Es ist ein Marathon von fast zwanzig Minuten, in dem Anastasia Bartoli eine vierteilige Arie, bestehend aus zwei Rezitativen, einer Überleitung, drei Ariosi und einer Cabaletta, die mit einer Stretta abschliesst ihrer Stimmgewalt regelrecht unterwirft. Beginnend mit dem Rezitativ „Essa corre al trionfo“ folgend von „Di, che vedesti Piangere“ reitet sie wie eine Walküre mühelos auf den Octaven, zarte Verletzheit paart sich mit rasendem Zorn, bitter-süss schildert sie Ermiones Qual „se non amore, pieta“. Weiter reizt sie die Koloraturen aus, bei „vo fida spirar“ scheint es als stünde sie kurz vor dem Selbstord oder dem Abrutschen in den Wahn. Ermione ist eine Frau die zwischen den Extremen ihrer Gefühle hin- und hergrerissen ist, schließlich erinnert sie sich wieder an die Liebe die sie zu Pirro fühlte. Und doch „Egli piu mio“ bringt die zerstörerische Einsicht, daß sie Pirro endgültig an Amdromacca verloren hat. Technisch in absoluter Perfektion, voller Energie und unbändiger Kraft erklimmt Frau Bartoli die Gipfel dieser Partitur mühelos. Und als wäre die gesangliche Leistung nicht schon bereits schier unglaublich, beginnt Frau Bartoli nun eine Tirade des Hasses, um mit „De mi non sai“ Oreste zum Mord anzustiften. Stirb Pirro! Brenne Buthrote! Nichts soll der Rache Ermiones entgehen! Niemals ist ihre Stimme schrill oder kreischend, voller Energie ist ihr Verlangen nach eiskalter Rache, sie trifft die Töne mit jener absoluten Präzision, mit der Ermione ihre Rache durchführt. Grosser Jubel bricht im Haus aus, fast 40 Sekunden langer Zwischenapplaus für diese Extraklasse von Weltformat – zu Recht!
Amor, dessen weisser Pfeil den ganzen Abend über die Bühne schwirrte liegt tot dar.
Ermione begreift was sie getan hat, doch ist die Reue die sie verkündet echt? „Sei vendicita“ lässt Oreste sie wissen, voller Triumph erscheint er vor Ermione, seinen Lohn fordernd, nämlich sie selbst. Noch einmal schwingen sich beide, Anastasia Bartoli und Juan Diego Florez in gesangliche Höhen auf, noch einmal strahlen ihre beiden Stimmen voller Glanz und Kraft. Doch Ermione weist Oreste ab, niemand soll sie der Anstiftung zum Mord zeihen dürfen. „Non smentiva… anima rea! Ciò che il labbro a te chiedea?“ Erschrocken erkennt Oreste, dass er hinter das Licht geführt wurde und nur das Instrument von Ermiones Rache war. „Fiere Eumenidi! Sorgete!“ Ermione hetzt die Menge gegen ihn auf. Der Sternenhimmel erscheint nun, der Chor flankiert die Bühne zu beiden Seiten. Noch einmal tobt die Musik, in einem dramatischen Finale stürzen sich die Massen auf Oreste und über allem lacht Ermione deren Rache in Erfüllung gegangen ist. „Calmate, o stelle, tanto fuor!“ – Vorhang, tobender, nicht enden wollender Applaus!
E.A.L.