„Nunzia di giubilo e di contento“ – Gioachino Rossinis „Il barbiere di Siviglia“ auf dem Rossini Opera Festival in Pesaro, 2. Aufführung dieser Serie am 15. August 2024
Copyright: Rossini-Festival Pesaro
Ein großes Genie sei Beethoven, seine Quartette, die er in Mailand gehört habe, seine Klavierwerke und seine Eroica hätten ihn überwältigt, er müsse ihn unbedingt persönlich kennenlernen. So schrieb Rossini über den Giganten der Wiener Klassik, als er 1822 selbst in Wien weilte und die Rossini-Manie die gesamte Stadt in Aufruhr versetzte. Es kommt tatsächlich zu diesem Treffen und Rossini ist über die Lebensumstände Beethovens so erschrocken, dass er – erfolglos – versucht, sich bei Metternich für eine Leibrente Beethovens einzusetzen. Diese Anekdote zeugt von der Bedeutung Rossinis für die Musikgeschichte, da sie anschaulich illustriert, daß der Mann aus Pesaro nicht einfach nur ein melomanischer Schmetterling war, der sich in den Verzierungen des Belcanto verlor und um dieser Verzierungen willen in gerade einmal 20 Jahren, 36 Opern komponierte. Diese Behauptung trug ihm oft die Kritik ein, daß er eben nur ein Theatermusiker sei, ein in die Kunstfertigkeit verliebter Melomane eben. Rossini war letztlich viel mehr als das. Er ist als wichtiger Brückenbauer zu sehen, der den Weg von der Wiener Klassik in die Romantik weist. Er beeinflusste nicht nur Bellini und Donizetti, sondern auch Komponisten wie Meyerbeer, Auber, Halévy und Verdi. Rossinis „Il barbiere di Siviglia“ ist dabei als wichtiger Markstein im Schaffen des Komponisten zu sehen und steht insofern nicht ohne Grund regelmäßig auf den Spielplänen aller Opernhäuser der Welt.
Daß auf dem Rossini Opera Festival in Pesaro, der Geburtsstadt Rossinis, seine Werke mit Hingabe und auch wissenschaftlichem Anspruch Rossinis Werke wiederum auf dem Rossini Opera Festival gepflegt werden, ist bekannt. Wie beispielhaft die Beziehung und Weiterentwicklung der Wiener Klassik zum Belcanto im Barbiere hör- und sichtbar ist, zeigt sich dabei bereits während der Ouvertüre des heutigen Abends: Maestro Lorenzo Passerini nimmt uns mit auf einen kurzen Ausflug in die Musikgeschichte und lässt das Orchestra Sinfonica G. Rossini die ersten Takte im Stile der Wiener Klassik klingen. Satte Hörner füllen weite Tonbögen, Parallelen zu eben jener von Rossini verehrten Eroica kommen uns in den Sinn. Gemeinsam mit dem Holz reißen sie die Gewitterszene des 2. Akts an, die an den 4. Satz von Beethovens Pastorale erinnern. Hierbei verwendet Maestro Passerini einen Kniff und nutzt das Gewitter (auch wie in der Pastorale) als reinigendes Erlebnis, das nun im heiter beschwingten Stil des Belcanto die Ouvertüre weiter gestaltet. Ein Effekt, der im 2. Akt mit der vollständigen Gewittermusik wiederholt wird. Feingliedrige Streicher bringen die Sinfonia zum Höhepunkt, sind dabei jedoch niemals hektisch oder unsauber, stattdessen voller Spritzigkeit und Freude, Neugierde auf den heutigen Abend weckend.
Im Anschluss an die Ouvertüre eröffnet sich der Blick dann auf ein schon klassizistisch zu nennendes Bühnenbild. Altmeister Pier Luigi Pizzi erstellt klar umrissene, in weiß gehaltene Gebäude, vor einem in blau-violett ausgeleuchteten Hintergrund. Augenscheinlich schöpft er hier – wie so oft – aus dem Wissensfundus seines Architekturstudiums. Wie antike Tempel scheinen die beiden gegenüberliegenden Gebäude im Licht zu strahlen, links das Haus des Grafen Almaviva, rechts jenes des Dottore Bartoli, in welchem sein Mündel Rosina vor der Öffentlichkeit abgeschirmt wird. Es scheint als Folge Herr Pizzi, jener von Johann Joachim Winckelmann initiierten Lesart der Antike, dass ihre Architektur rein weiss gewesen sei, was hier klug durchdacht ist. Denn die Antike war bunt, wie wir heute aus der modernen Archäologie wissen – was dem 19. Jahrhundert aber unbekannt war. Im Gegenteil prägte Winckelmanns Sichtweise vom Ideal der weißen Kunst, durch seinen Einfluss auf die Weimarer Klassik letztlich das gesamte aufstrebende Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts und mit ihm natürlich auch Rossini. Herrn Pizzis Bühnenbild referiert somit einerseits auf den „Barbiere di Siviglia“ als Klassiker der Opernliteratur. Andererseits bemächtigt er sich jener ästhetischen Sichtweise auf die Antike, die zur Zeit Rossinis vorherrschte. Durch eine klassizistische Wiedergabe der Antike wird der Opern-Klassiker also selbst klassizistisch dargestellt. Dadurch entsteht ein Gegensatz zwischen der klassizistisch-aufgeräumten Optik des Bühnenbildes und der Musik des Belcanto, sowie dem Handeln seiner Helden Figaro, Almaviva und Rosina, die durch Farbenreichtum und Fröhlichkeit geprägt sind. Auch die Kostüme der Darsteller greifen diesen Widerspruch auf: Sie sind hauptsächlich in schwarz-weisse Farben gekleidet, die jedoch im Stil des Biedermeiers und nicht dem des ausgehenden 18. Jahrhunderts gehalten sind. Auch hier wird also wieder der Gegensatz zwischen der „Klassik“ und Rossinis eigener Zeit aufgegriffen: Rossinis Musik und seine Protagonisten wandeln zwar in den Rahmenbedingungen des 18. Jahrhunderts, bauen aber selbst auf ihnen auf und bringen nun neue Sichtweisen, neues Handeln und neue Musik auf die Bühne.
Pier Luigi Pizzi gelingt somit also eine fein herausgearbeitete Reminiszenz an Rossinis wegweisendes musikalisches Schaffen und darüber hinaus auch die abstrakte Behandlung eines gesellschaftlich brisanten Themas. Denn zwischen den beiden Epochen, dem ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert, liegen zwei bedeutende historische Marksteine: Die französische Revolution und der Wiener Kongress. Was wir also in dieser Produktion sehen ist nicht nur eine Verbeugung vor Rossinis Aufbruch in neue musikalische Zeiten, sondern auch eine Erzählung über eine feudalistische Gesellschaft, aus der Brille Rossinis eigener Zeit, also jener des aufgeklärten Bürgertums. Damit gelingt es Herrn Pizzi, ohne effekthascherisches Regietheater oder sonstige Verfälschung des Librettos, jenen gesellschaftlichen Konflikt zu dokumentieren, der schließlich zur Ablösung der mittelalterlichen Ständeordnung und zur Etablierung des Bürgertums als dominierende gesellschaftliche Gruppe führte. Ein Konflikt von dessen Ausgang Rossini selbst profitierte, weil er selbst aus (klein)bürgerlichen Verhältnissen stammte und durch sein Schaffen dann zwar nie nobilitiert wurde, aber zu so außerordentlichem Reichtum gelangte, daß ihm ein feudales Leben möglich wurde. Darüber hinaus war er aber auch wesentlich für sein musikalisches Schaffen.
Nur 29 Jahre vor dem „Barbiere“ und ein Jahr nach „Le nozze di Figaro“ (dem zweiten Teil von Beaumarchais Trilogie um den Barbier von Sevilla), schrieben Mozart und da Ponte mit „Don Giovanni“ ein Werk, in dem das höchst Übergriffige Verhalten des Adels gegenüber dem einfachen Volk im Allgemeinen und den Frauen im Speziellen thematisiert wird. Ein zu Mozarts Zeit unerhörter Affront, gerade weil diese Darstellung viel zu oft den Tatsachen entsprach und der Adel in vorrevolutionären Zeiten tatsächlich meist ungeschoren mit diesen Übergriffen davon kam. Kein Wunder also, dass sich Mozzart dafür entschloss, den zweiten Teil von Beauchmarchais’ Triologie auf die Bühne zu bringen, thematisiert er doch das fragwürdige „Ius primae noctes“ (welches historisch gesehen wohl nie wirklich existierte), den Verstoß gegen bürgerliche Moralvorstellungen, Despotismus und fehlende Gedankenfreiheit. In dieser Form des Protests ist dann auch wohl einer der Gründe zu sehen, weshalb Mozart mit „nozze“ eben den zweiten Teil der Trilogie vertonte. Figaro und Almaviva stehen hier in einem ähnlich fragwürdigen Verhältnis zueinander wie Giovanni und Leporello. Nur zwei Jahre später, 1789 sollte die französische Revolution durch die Guillotine blutige Rache üben und die gesellschaftliche Ordnung hinwegfegen.
Interessanterweise zeichnen sowohl Beaumarchais, als auch Rossini im „Barbiere“ die beiden Protagonisten vollkommen gegenteilig, ja als regelrecht vorbildliche Rollenmodelle: Sie befreien das Mündel Rosina aus den Fängen ihres gierigen Vormunds Dottore Bartolo, der zwar bürgerlich ist, sich aber feudal gibt und sich in absolutistischer Manier Rosinas Erbe und Körper bemächtigen will. Somit gelingt Rossini im Jahr 1816 der kluge Schachzug, just nach der endgültigen Rekonstitution der Monarchie den Adel in Form des Comte Almaviva zu preisen – jedoch nicht dafür adelig zu sein, sondern inkognito als vermeintlich bürgerlicher „Niemand“ Rosina zu befreien und so bürgerlichen Werten zum Durchbruch zu verhelfen. Somit werden sowohl das Bürgertum als auch Rossinis Musik zum wahren Sieger über die alte Ordnung und beenden mittelalterliche Relikte. Musikalisch bedeutet dies das Durschreiten jener Pforte, die Beethoven musikalisch bereits geöffnet hatte (und mit seiner 9. Sinfonie 1824 schließlich weit aufstoßen sollte) und die Grundsteinlegung für den Belcanto und die musikalische Moderne in der Oper. Rossinis „Barbiere“ ist gewissermaßen der Anti-Don Giovanni, die Versöhnung zwischen Bürgertum und Alter Ordnung, die Vermischung alter musikalischer Prinzipien mit seinen neuen Ideen und Möglichkeiten. So stehen die weissen Kostüme Figaros und Almavivas dann nicht nur gleich dem Ideal von Winckelmanns weisser Antike für die neue Musik Rossinis, welche erfolgreich gegen das Schwarz des alten Regimes um die Gunst der in der blauen Farbe von Sehnsucht, Klarheit und Weisheit gekleideten Rosina buhlen und durch das im Hintergrund einstrahlende Sonnenlicht eine glorreiche Zukunft ankündigen. Selten weiß eine Produktion mit so viel Finesse und Tiefe aufzuwarten, dabei gleichzeitig durch ihre Schlichtheit und Eleganz zu bestechen und das Auge zu verwöhnen.
Es überrascht dann nicht, dass es grandiose Stimmen sind, welche das bereits durch Regie und Orchester fabelhaft aufbereitete Konzept ergänzen und vervollständigen. In charmanter Weise bereitet William Corrò in der Introduktion „piano, pianissimo“ den Saal auf den ersten Auftritt des Grafen Almaviva vor und Jack Swanson entführt uns mit seinem glasklarem, lyrischen Tenor bereits mit der ersten Arie des Abends in jene Sphären, die er als Almaviva in „ecco ridente“ so sehnsüchtig anpreist. Das jugendliche Strahlen seiner Stimme zeugt von der impulsiven Liebe des Grafen zu Rosina und stellt sein Sehnen in den Dienst des Wahren, Schönen und Guten. Voll virtuoser Agilität steigert er sich Schrittweise zum Ende dieser Cavatine, um in einem virtuosen Schluss-Allegro zu enden, welches andernorts bereits als Höhepunkt des Abends gegolten hätte – „Oh, istante d’amore! Felice momento!“.
Der folgende Auftritt des Figaros Andrzej Filonczyk zeigt jedoch, dass dies erst der Anfang eines gesanglichen Feuerwerks ist: Mit Zitronenbäumchen und Gitarre ausgestattet, strotzt dieser nur so vor Kraft und Elan und beweist, gleich eines starken Handschlags, daß seine musikalisches Können in der Tat „di qualità“ ist. Mit schwungvollem Spiel beginnt er seinen Oberkörper freizumachen, um sich in einem nahem Brunnen zu waschen und dabei vor gesanglicher Kraft nur zu strotzen. Zu Recht gehört die Rolle des Figaro zum Kernrepertoire Herrn Filonczyks, gelingt es ihm doch, der Person de Figaro mehr als nur Leben auf der Bühne einzuhauchen. Er zeigt den lebensbejahenden Charakter und die Gewitztheit des Barbieres auf, seine Lebenslust und seine bewusste Mißachtung von Einschränkungen, deren Sinn für ihn mehr als fragwürdig ist. Dabei nutzt er die laufstegartige Bühne, die vor dem Orchester angesiedelt ist, bewegt sich also mitten unter uns Zuschauern und zieht uns so mitten hinein in das abenteuerliche Leben des Figaro. Und dieses, so wird uns deutlich klar, ist so abenteuerlich, wie das sicherlich 5 Sekunden lange „dellà citta“ Herrn Filonczyks. Sein Figaro ist nicht nur das größte Faktotum der Stadt, sondern tatsächlich ein Bariton von Weltformat. Erste Bravi ertönen aus dem Publikum.
Dass Rossini jene Charakter nach ihrer getrennten Einführung dann im Duett „All ideo di quel metallo“ inhaltlich wie auch musikalisch zusammenbringt führt an diesem Abend zu einem wahrhaftigen Belcanto Feuerwerk. Heiter und charmant, werfen sie sich beide die gesanglichen die Bälle zu, ihre Stimmen sind voll von sorgloser Leichtigkeit und funkelndem Esprit. Figaro und der Conte sind nicht nur durch ein finanzielle Auftragsverhältnis miteinander verbunden. Hier treffen sich zwei geistesverwandte Charaktere, deren Aufsässigkeit gegen Althergebrachtes sich mit dem Schalk im Nacken und einer gewissen Tendenz zum Abenteuer verbindet. Und genau dieses Verhältnis arbeiten Herr Swanson und Herr Filonczyk präzise aus – wohl nicht ohne selbst ein wenig ähnlich wie die beiden Charaktere zu ticken und sich von deren Lebensfreude mehr als anstecken zu lassen, ja sie regelrecht aufzusaugen. Das gut acht Minuten lange Miteinander galoppiert mittels der atemberaubenden Parlandi Herr Filonczyks hin zu den nicht minder atemberaubenden Koloraturen Herrn Swansons, die eine bezaubernde Erklärung an die Liebe bilden: „ Ah, che d’amore/ la fiamma io sento/ nunzia di giubilo/ e di contento! D’ardor insolito/ quest’alma accende/ e di me stesso/ maggior mi fa“.
Maria Kataeva. Cöpyright: Rossini-Festival Pesaro
Das Bühnenbild verschiebt sich und öffnet den Blick auf das Hausinnere um Maria Kataeva die Möglichkeit zu geben, aus der Cavatine „una voce poco fa“ die Motivation einer jungen Frau begreifbar zu machen, die sich mitnichten fügen will, sondern ganz und gar bereits emanzipiert ist. Auch Maria Kataeva erstaunt durch eine unglaubliche Kraft in ihrer Stimme, die kaum zu bändigen scheint. Auch hier jagen die Koloraturen wie verrückt die Tonleiter hinauf und hinunter, Frau Kataeva gelingt es mühelos zahlreiche Verzierung einzubauen ohne manieristisch zu klingen, wir erleben schiere unbeugsame Wollenskraft in schon akrobatisch musikalischer Qualität. Wir sind fast eingeschüchtert wenn ihre Rosina davon singt, dass gehorsam, bescheiden und wie ein Lämmchen sei während sie ihrer Spielfreude dabei freien Lauf lässt. Wie ein Vulkan explodiert das Finale der Arie – „prima di cedere farò giocar“.
Es sind genau diese Komponenten die den Abend fast zu Vollkommenheit treiben: Die Elegance von Herrn Pizzis Produktion, die Größe der Leitung Maestro Passerinis, der noble Klang des Orchestra Sinfonica G. Rossinis und die extreme Freude der Sänger an diesem historischen Ort auf so hohem Niveau musizieren und spielen zu können. Denn auch die weiteren Partien sind großartig besetzt und tragen wichtige Teile zu diesem vergnüglichen Abend bei: Carlo Lepore und Michele Pertusi bilden als Bartolo und Basilio ein kongeniales Duo, das zu Recht die meisten Lacher des Abends verbuchen und dabei noch etliche gesangliche Marksteine setzen kann. So lässt Herr Pertusi seinen Basilio als zunächst vertrottelt wirkenden Stotterer auftreten (ein Verweis auf den Tartaglia der Commedia dell‘ arte), der mit der Verleumdungsarie „La calunnia è un ventivello“ allerdings zu klanglich mächtigem Volumen aufdreht und dessen „copo di canone“ tatsächlich wie ein Kanonenschuss durch den Saal donnert – währenddessen dabei ein Franciacorta-Korken knallt. Ebenso herausstechend ist das rasante Parlando Herrn Lepores bei „A un dottor della mia sorte“, nach welchem er sich erschöpft auf den Boden fallen und zu einer Chaiselongue ziehen lässt. Die Worte „fredda ed immobile“ lassen ihn während des ersten Finales tatsächlich zur Salzsäule erstarren. Als er zu Beginn des zweiten Aktes darüber sinniert, selbst zu Hause nicht sicher sein zu können („Nemmeno in casa propria sicuri si può star!“) ist er keine Sekunde lang misstrauisch, als der Graf in Verkleidung als kleinwüchsiger Don Alonso im Falsett schon absurd seine Wünsche von „pace e gioia“ gebetsmühlenartig wiederholt und schläft gar während der vermeintlichen Gesangsstunde auf der Chaiselongue ein, fällt schliesslich von dieser hinab, schreckt auf und beginnt selbst „Quando mi sei vicina“ im Falsett zu singen. Das ist eben kein billiger Slapstick, sondern sublime, klug aufgebaute und hart erarbeitete Komik, die entsprechend großartig beim Publikum ankommt und mit umfangreichem Applaus goutiert wird. Gleiches gilt für die Wiederkehr des Don Basillio, der bei „Don Basilio!…“ / „Cosa veggo“ aus dem Haus komplimentiert wird, jedoch noch einmal unerwartet wiederkehrt, da er seinen Hut vergessen hat und dies mit einem herrlich satt klingendem „Buona sera, ben di core, poi diman si parlerà. Non gridate, per pietà“ beschliesst – erst seine Rückkehr also komplettiert den Auftritt – Rossini führt uns musikalisch einmal mehr an der Nase herum.
Zu erwähnen ist auch die unterschätzte Sorbetto-Arie „Il vecchiotto cerca moglie“, in der Patrizia Biccirè mit viel Gelassenheit den Klischees der Liebe aufräumt. Es ist fast, als sähe sie den zweiten Teil der Figaro Geschichte voraus, in welchem zunächst wenig von der Liebe zwischen Almaviva und Rosina übrig geblieben ist. Mit eleganter Grandezza und großer Gelassenheit, ja fast einem wehmütigen Seufzen in der Stimme setzt Frau Biccirè diese Arie um und macht sie so zu einem alleinstehendem Ruhepol, einem versteckten Juwel im Trubel dieser Opera Buffa. Sie ist also die Stimme der Vernunft und auch eine akustische Entspannung, eine Art Zwischengang, eben ein Sorbetto, der uns noch einmal die Möglichkeit gibt durchzuatmen und zu entspannen, bevor der Abend mit größter Rasanz seinem Ende zugeht.
In einer herrlichen Umsetzung der Gewittermusik arbeiten Maestro Passerini und das Orchestra Sinfonia Rossini noch einmal die Virtuosität von Rossinis Musik heraus, breiten das Gewitter musikalisch mit der Massivität der Wiener Klassik aus und bringen jene raffinierten Details zum Funkeln, die so typisch für Rossinis Belcanto und seine Lebendigkeit sind. Alleine mit diesem Intermezzo wird die gesamte Bandbreite von Rossinis musikalischer Bedeutung offensichtlich. Schließlich bereitet das Gewitter (noch einmal der Verweis an Beethovens Pastorale) jene Ruhe vor dem Sturm vor, welche in „Ah quol colpo aspetto“ als Liebesduett zwischen dem Grafen und Rosina mit zahlreichen Koloraturen genüsslich zelebriert wird – nur um Figaro, welcher ebenfalls dieses Tête-à-Tête miterleben muss und ganz und gar nicht von deren Süssholzraspelei angetan ist. Wenn sich Figaro hier über die beiden Turteltauben lustig macht und ihre süßlichen Liebesbekundungen verballhornt, so ist dies auch ein Augenzwinkern Rossinis sich selbst gegenüber.
Der Chor zieht auf die Bühne und flankiert stimmgewaltig (bereits im ersten Finale singt dieser von sich als „La forza! La forza!“ und besser kann es nicht beschrieben werden) die viel zu oft gestrichene Arie des Grafen „Cessa di più resistere“ und auch hier kann Jack Swanson mit herausragenden Koloraturen das Publikum um den Verstand bringen, ist doch von Ermüdung keine Spur. Zu „Ah il più lieto“ ist auch der Chor erneut von grandioser Klangqualität und Jack Swansons Stimme fließt mit scheinbar müheloser Eleganz und Leichtigkeit durch diesen Parforceritt um diesen mit einem nahezu magischen hohen C und den Worten „non fugite, o lieti istanti della mia felicità“ zu krönen.
Spätestens nach dieser musikalischen Höchstleistung wird Bartolo klar, was hier eine „inutile precauzione“, ein nutzlose Vorsichtsmaßnahme war: Mitnichten der Name einer neuen Oper sondern Bartolos eigene, unablässige und doch vergebliche Mühen, sich Rosina eigen zu machen. Was auf der Metaebene nichts anderes als ein Statement Rossinis gegenüber seinen Kritikern war und ist: Nutzlos ist eure Kritik gegenüber meiner Musik, denn ich habe die Opernhäuser schon längst erobert. So schließt sich der Kreis zur Inszenierung Pier Luigi Pizzis, dessen Darstellung des gesellschaftlichen Umbruchs mit Beginn des 19. Jahrhunderts hier auch wieder Rossinis Werk selber aufgreift.
Mit einem fast schon versöhnlichem, majestätischem „Di sì felice innesto“ endet der Abend. Zahlreiche wohlverdiente Bravi für einen unfassbar lebendigen, klugen, farbenfroh klingenden und bis ins kleinste Detail meisterlich gegebenen Barbiere voller Freude und Grandezza – Viva Rossini, bravi bravissimi tutti!
[Anmerkung: Sowohl Maria Kataeva, als auch Andrzej Filończyk werden an der Wiener Staatsoper in der Februar Serie des Barbieres in denselben Rollen auftreten]
E.A.L.