PERPETUAL NIGHT – Englische Arien und Lieder aus dem 17. Jahrhundert – LUCILE RICHARDOT, Ensemble Correspondances; Sébastien Daucé, harmonia mundi CD
Im frühen 17. Jahrhundert entwickelten sich aus dem (englischen) Rezitativ deklamatorische vorgetragene Songs im Rhythmus bspw. einer Allemande oder Air grave, die nicht zuletzt im Sprechtheater en vogue waren und aus denen Miniatur-Opernszenen hervorgingen. Auch Hausmusik gab es in der Renaissance, reizvoll volkstümliche Melodien in kunstvollst verzierte Form wandelnd. Französische Einflüsse gab es zuhauf, nicht zuletzt aufgrund der regen Wanderschaft der damaligen Künstler. Einfachheit und delikater Vortrag der vokalen Linie blieben dabei immer Trumpf. Emotional kann ohnedies gerade dieses Understatement insbesondere in den überwiegend elegisch-melancholisch gefärbten Gesängen tief berühren.
Für das neue Album hat Sébastian Daucé neben „Bekanntem“, wie den Songs von Henry Purcell oder John Blow in den Sammlungen des Londoner Herausgebers John Playford bzw. in Bibliotheken in London und Oxford einen erstaunlichen Raritätenschatz gehoben. Komponisten wie Robert Johnson, William Lawes, John Coprario, Robert Ramseys, Nicholas Lanier, John Jenkins, John Banister, William Webb, James Hart sind dafür die markantesten Beispiele. Die reiche Ernte führt hin bis zu dramatischen Szenen eines John Hilton, die schon auf die Geburt der Semi-opéra am Ende des Jahrhunderts verweisen. In den auf der Anthologie versammelten Chansons wird eine Zeitspanne von 1620 bis zu den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts durchmessen. Die Stimmung dieser Musik dreht sich oft um durch Liebe geschlagene Wunden. Die Nacht und allerlei begehrliche Sehnsüchte sind dabei in solchen Figuren/Allegorien wie Orpheus, Circé oder Morpheus präsent. Der musikalische Erfindungsreichtum ist enorm, Kontrapunktisches steht neben Theatralischem, Sologesang neben fein modellierten polyphonen Geflechten: Magisch verführerische Musik wie aus einer anderen Galaxie.
Die aus Lothringen stammende Altistin Lucile Richardot ist eine sichere Nummer in der Barockoper von Vivaldi über Scarlatti bis Händel. Sie darf eine extrem ruhig geführte, kupfern timbrierte Stimme mit einer androgyn bis üppig weiblichen Farbplatte ihr Eigen nennen, wie geschaffen für Alte Musik. Rund um sie wirken an den teils mehrstimmigen Nummern Caroline Weynants (1. Sopran), Élodie Fonnard (2. Sopran), Davy Cornillot (Tenor) sowie Nicolas Brooymans (Bass) sowie je nach Komposition eine Instrumentalbegleitung bestehend aus Violinen, Flöte, Viola da Gamba, Harfe, Theorbe, Laute und Cembalo mit. Die musikalische Leitung samt Spiel auf der Orgel bzw. dem Virginal obliegt dem meisterlichen Sébastian Daucé, mit dem Lucile Richardot eine künstlerische Partnerschaft seit 2010 verbindet.
Dr. Ingobert Waltenberger