Der erste Schnee ist gefallen und die malerische Stadt Flensburg ist seit zwei Tagen mit weißem Puder bedeckt. Umso voller sind die gemütlichen Cafés an diesem Samstagvormittag. Im Café Isa in der Norderstraße treffe ich die Tänzerin Perla Gallo, die mich zuvor schon mehrmals auf der Bühne begeisterte.
Tänzerin Perla Gallo am jordanischen Felsentempel Petra (Foto: privat)
Wie eine kleine Familie empfindet die charmante Italienerin ihre Flensburger Company und fühlt sich sowohl am hiesigen Theater als auch in der Stadt an der dänischen Grenze sehr wohl. Großstadt-Stress muss hier niemand befürchten, ist die Stadt doch allgemein für ihre dänische Gelassenheit bekannt. Perla hat immer davon geträumt, die Zeit anhalten zu können, vielleicht um einen besonderen Moment zu genießen oder einfach, um nie alt zu werden. Dabei ist es ihr nie gelungen, die Zeiger anzuhalten, aber es gibt einen Weg oder vielmehr einen Ort, an dem die Zeit „angehalten“ wird und die Uhr nicht mehr tickt: den Strand. Deshalb schätzt sie hier an der Küste besonders die Nähe zum Strand, um dort ein paar Stunden am Ufer zu verbringen und neue Kraft tanken zu können.
„Ich wurde in Pforzheim geboren und bin mit meiner Familie zusammen nach Italien gezogen, als ich sieben Jahre alt war.“ erzählt sie. In ihrer Kindheit war sie sehr lebhaft und immer irgendwie in Bewegung und so kam ihrer Mutter die Idee, Perla zum Ballettunterricht anzumelden. „Auf diese Weise habe ich festgestellt, dass Ballet eine Sache ist, die ich wirklich machen möchte. In einem Workshop wurde schließlich die Direktorin der Accademia Nazionale di Danza in Rom auf mich aufmerksam und so zog ich im Alter von 13 Jahren in die Hauptstadt und begann meine Tanzausbildung. Diese Zeit war für mich sehr wichtig, denn in den Jahren an der Akademie entdeckte ich, wer ich künstlerisch und auch als Person überhaupt bin. Hier habe ich gelernt, an mich selbst zu glauben.
Vor ihrem ersten festen Engagement hier im Norden arbeitete sie bereits freischaffend in Italien, im Oman, in China, in Algerien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten und war in unterschiedlichsten Produktionen zu erleben. In Deutschland konnte man sie ab 2019 in Halberstadt in Schwanensee und Die Schöne und das Biest auf der Bühne sehen.
„Als während der Lockdowns viele Theater geschlossen blieben und ich nicht auftreten und arbeiten durfte, war ich sehr demotiviert und wusste nicht, was ich tun sollte. Per Zufall hatte ich die Ausschreibung für die Stelle in Flensburg gesehen und mir gesagt: Wenn es klappt, dann mache ich weiter, ansonsten gebe ich das Tanzen auf.“ Schön, dass sie jetzt hier ist!
Nun ist Perla schon die dritte Spielzeit im Ensemble des Landestheaters und sie kann sich sehr gut vorstellen noch länger zu bleiben, schließlich fühlt sie sich hier pudelwohl. In wenigen Tagen wird sie in Emil Wedervang Brulands Version von Tschaikowskis Dornröschen als Aurora debütieren. „Ich war erst ein Mal als Pamina eine Prinzessin auf der Bühne“ erzählt sie mir. Wie sie so vor mir sitzt, versprüht sie im selben Moment eine fast aristokratisch anmutende Eleganz, so dass ich keinen Zweifel daran habe, dass sie auch diese Rolle perfekt verkörpern wird. In dieser Produktion ist sie als rote Fee eingestiegen und die Proben für die Umbesetzung laufen gerade.
Auf Reisen, wie hier in Vietnam, begibt sich die Künstlerin nicht zuletzt, um persönlich daran zu wachsen (Foto: privat)
Sie sei eigentlich ein introvertierter und schüchterner Mensch sagt sie über sich. Nur tanzend könne sie so richtig aus sich herausgehen und überwindet auf diese Weise ihre Scheu davor, im Mittelpunkt zu stehen. Sobald sie die Bühne betritt, fühlt sie sich wie ein anderer Mensch und kann ihr Publikum vom ersten Moment an begeistern. Bei diesen Worten wirkt die junge Frau auf mich sehr reflektiert und tiefgründig und auch im Gespräch keineswegs schüchtern. Auf der Bühne in einer Sprechrolle eine tragende Rolle zu spielen, sei für Perla aber undenkbar. Sehr gerne würde sie auch mal eine wirklich bösartige Persönlichkeit auf der Bühne verkörpern, um mal eine ganz andere Seite zu zeigen. Die Italienerin ist nicht zuletzt ihren Eltern sehr dankbar dafür, dass sie diesen Beruf ausüben darf und so in einer ihr angenehmen Weise einen Teil ihrer Persönlichkeit zeigen kann, der im Alltag manchmal eher im Verborgenen bleibt.
Bei der Zusammenarbeit mit dem Choreographen gibt dieser natürlich den Rahmen vor, aber wie sie eine Rolle letztendlich künstlerisch interpretiert entscheidet sie und im Laufe einer Aufführungsserie verändert sie auch immer wieder Details und entwickelt ihre Interpretation eines Charakters von Mal zu Mal weiter.
Wie sieht denn eigentlich die tägliche Routine einer Tänzerin aus? „Für mich ist das Frühstück der schönste Teil des Tages. Ich liebe es, den Tag mit einem guten Frühstück und einem guten Kaffee zu beginnen. Dann gehe ich ins Theater, wo ich mich normalerweise vor dem Training ein wenig aufwärme und dann mit den Proben für die Vorstellungen weitermache. In der Pause gehe ich gerne ins Fitnessstudio, um Muskelaufbauübungen zu machen, aber ich entspanne mich auch mal mit einem guten Buch und einem Kaffee am Hafen, wenn das Wetter es zulässt. Danach gehe ich wieder zur Arbeit und beende schließlich den Tag, indem ich etwas koche und mich mit einem heißen Kräutertee verwöhne.“
Sehr spannend findet sie auch Tanzabende in der sogenannten Kleinen Bühne, in der die Tänzerinnen und Tänzer ihrem Publikum so nah sind, dass sie den Zuschauern in die Augen blicken können. Das empfindet die Künstlerin als sehr spannend und spürt dabei eine ganz eigene Energie. Darüber hinaus steht im kommenden Jahr eine besondere Wiederaufnahme an: in einer speziell für Klassenzimmer eingerichteten mobilen Aufführung mit dem Titel Adna ist neu geht es um den Moment, wenn man neu in eine Gruppe kommt, die ‚Neue‘ im Klassenzimmer ist. Dabei hat Perla in ihrer Kindheit durchaus Gemeinsamkeiten mit diesem Charakter gehabt: „Als Kind wünschte ich mir, ich hätte Superkräfte und könnte unter bestimmten Umständen unsichtbar sein. Ich fühlte mich fast immer unwohl, litt unter Minderwertigkeitskomplexen und fühlte mich tatsächlich wie Adna; stets beobachtet, bewertet und voller Angst, keine eigene authentische Identität zu haben.“ Die Arbeit mit Kindern bedeutet ihr viel: „Ich liebe Kinder, es macht mir Freude, mit ihnen zu arbeiten, ihnen etwas beizubringen, sie zu stimulieren und ihre Fragen zu beantworten. Ich arbeite gern in Projekten, die Bildung und Kunst unterstützen, und die soziale Inklusion fördern. Deshalb habe ich mich auch schon ehrenamtlich engagiert und werde dies auch weiterhin tun.
Die Tänzerin malt abstrakte Bilder, in denen sie ihre jeweiligen Empfindungen und aktuelle Eindrücke zum Ausdruck bringt. Dabei denkt sie nicht viel nach, sondern malt intuitiv drauf los. Einige ihrer Bilder verewigt sie in einem persönlichen Tagebuch, andere sind eigenständige Kunstwerke, die sich auch als Wandschmuck eignen.
Eine weitere Passion von Perla Gallo ist das Reisen. Neulich erst ist sie direkt nach einer Premierenfeier in den Bus zum Hamburger Flughafen gestiegen, um von dort sehr früh am nächsten Morgen zu einem Kurztrip nach Finnland aufzubrechen. Im vergangenen Sommer hat sie eine ausgedehnte Reise durch Asien und Afrika unternommen und liebt es bei solchen Gelegenheiten sehr, sich mit den Einheimischen zu unterhalten und so deutlich mehr über die Eigenheiten und Persönlichkeiten zu erfahren, als es in einem Pauschalurlaub möglich wäre. Afrika gefällt ihr dabei besonders, denn dort ist sie häufig auf Menschen gestoßen, die ohne großen materiellen Besitz sehr zufrieden und ausgeglichen sind. „Ich reise, um die Welt zu erkunden, neue Orte und Kulturen zu entdecken und um zu sehen, was sich außerhalb meines Alltags abspielt. Ich reise auch, um persönlich daran zu wachsen. Ich verlasse dabei meine Komfortzone. Reisen inspiriert mich, weil ich meine Perspektive dadurch verändere. Durch das Reisen fühle ich mich lebendig. Ich sammle Erinnerungen und keine Gegenstände.“
Nach Afrika möchte Perla Gallo unbedingt zurückkehren. Dieses Bild zeigt sie in Kenia. (Foto: privat)
Für Ihre Zukunft hat sie keine konkreten Pläne. „Es geht immer irgendwie weiter. Vielleicht wäre eine Aufgabe in Afrika irgendwann etwas für mich. Ich möchte auf jeden Fall dorthin wiederkommen und meine Kontakte ausbauen.“
Ich freue mich sehr, dass Perla auch bei diesem Interview in englischer Sprache ihre Komfortzone für mich verlassen hat. Danke für das Vertrauen und die offenen Worte.
Marc Rohde, November 2024