16.07. 2023: Passau, Veste Oberhaus : „LE VILLI“ / „CAVALLERIA RUSTICANA“
Anna – Ytian LUAN und Roberto – Vicent ROMERO im zweiten Akt ( Foto: Landestheater Niederbayern)
Zum Abschluß der Saison des Landestheaters Niederbayern gibt es jeweils eine Produktion als „Burgenfestspiele“, wo in den Städten Landshut, Straubing und Passau eben unter freiem Himmel in einer Burg gespielt wird: im Falle der Dreiflüssestadt auf der Veste Oberhaus, eine mächtige, gut in Schuß gehaltene Anlage hoch auf einem Felsen zwischen dem Zusammenfluß von Ilz und Donau.
Im Burghof ist eine kleine Bühne aufgebaut ( die Burg wird nicht in das Bühnenbild einbezogen), daneben ein seitlich offenes Zelt für das Orchester , das – wie auch die Solisten und Choristen – elektronisch verstärkt wird. Ob das wirklich notwendig ist, wage ich zu bezweifeln, am ehesten noch für das Orchester, Solisten und Chor würde man auch ohne sehr gut hören. ( Es muß nicht immer alles so laut sein, in unserer lärmenden Zeit – ist halt meine Meinung). Aber zumindest stimmte die Abstimmung und es funktionierte weit besser als in den übrigen Sommertheatern. Die Überdachung des Orchesters erwies sich als großes Glück, denn ansonsten wären die letzten 15 Minuten der „Villi“ im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser gefallen. Es begann aus der fürchterlich schwülen Luft zu regnen, da wären alle Streicher sofort davongelaufen. So aber wurde tapfer weitergespielt und man erlebte zumindest das Puccinische Erstlingswerk. Die „Cavalleria“ fiel dann einer voreiligen Absage zum Opfer – ohne zu warten wurde der Abend in der Pause für beendet erklärt – sogar die Rückerstattung aller Eintrittskarten wurde versprochen ( da es nicht länger als bis zur Pause gegangen ist ) – eine sehr großzügige Geste, kenne ähnliches von keinem anderen Freiluftfestival. Außer paar entfernten Donnerschlägen beruhigte sich das Wetter, nur weit später gab es wieder paar Tropfen, entweder war die Wettervorhersage schlecht, oder der/die Zuständige „nutzte“ die Gunst der Stunde um die anbrechenden Theaterferien ein wenig vorzuverlegen…
Nun war es schön zumindest die Geschichte der betrogenen Anna , der Tochter des Försters Guglielmo aus dem Schwarzwald zu erleben, deren Verlobter Roberto wegen einer Erbschaft nach Mainz muß und dort den Reizen einer Kurtisane verfällt. Als er reumütig zurückkehrt, ist Anna bereits an gebrochenem Herzen gestorben und die Willis, die Geister der betrogenen Mädchen und Frauen umtanzen ihn, bis schlußendlich auch der Geist Annas erscheint: zu deren Füßen er leblos zusammensinkt. Ja, die Paralellen zu den „ Rusalky“ bei Dvorak im Böhmerwald sind groß, Adams „Giselle“ handelt von ebensolchem Thema und sogar Hanna Glawari singt vom „Waldmägdelein Vilja“…ein Sagenkreis, der in Mitteleuropa weit verbreitet war. Puccini war bei der Uraufführung des Einakters im „Teatro Dal Verme“ in Milano 26 Jahre – gewonnen hatte er bei diesem Wettbewerb, an dem er teilnahm, nichts! Aber trotzdem brachte sie ihm Glück: der Verleger Ricordi überredete ihn zur Überarbeitung auf zwei Akte und zur Eröffnung der Karnevalstagione kam die neue Fassung im Dezember 1884 am „Teatro Regio“ Torino heraus, der Beginn der Karriere war getan.
In der Oper gibt es einen „Narratore“, einen Erzähler, der in und um Vor- und Zwischenspiel erzählt, was so vorgegangen ist und vorgeht. Hier war es eine „Narratrice“ , eine ganz hervorragende noch dazu mit klarster Diktion, und einer Sprachmelodie, der man gebannt lauschte: Anna Veit zog die Aufmerksamkeit schon in den Minuten vor Beginn auf sich, als sie sich wiederholt durch die ersten Reihen zwängte und man annehmen konnte, da sucht sich eine etwas „exzentrische“ Besucherin einen Sitzplatz.
Das Geschehen wurde von Jürgen Pöckel bis auf eine Ausnahme – er ließ Anna Suizid durch den Strick begehen, dazu wurde eine Puppe mit den Zügen Annas auf einer Art Galgen auf die Bühne geschoben – hervorragend nacherzählt und jederzeit verständlich und überzeugend auf die Bühne gebracht. Andrea Hölzl hatte die Bühne einfach, aber mit symbolischem Gehölz für den Wald, und auch die Kostüme in den Farben schwarz-gelb ( da freut man sich als Dortmund-Fan) gehalten, die Willis in weiss. Vier dieser Willis in Gestalt von Muriel Bermejo, Kenzie Brousson, Sakura Inoue und Stella Perniceni tanzten anmutig bis wild erregt immer wieder über die Bühne (die gute Choreographie von Annett Göhre). Der Chor des Landestheaters Niederbayern machte seine Sache wieder einmal sehr gut (Eleni Papakyriakou), ausgezeichnet das Orchester unter seinem Chef Basil H.E. Coleman, der den Abend mit Spannung und gutem Kontakt zur Bühne leitete.
Der Vater Guglielmo war bei Kyung Chun Kim in bester baritonaler Kehle – es war eine Freude den sympathischen Sänger, dem Corona übel mitgespielt hatte, wieder in seiner alten Form zu erleben!
Große Anforderungen stellt Puccini gleich in seinem Erstlingswerk an den Tenor: der Spanier Vicent Romero konnte die mit großem Engagement, squillo und klangvollem Tenor bis zu den Spitzentönen erfüllen. Er harmonierte auch gut mit seiner Anna, die bei Ytian Luan in den besten Händen ( und der besten Kehle ) war. Erstaunlich tiefe Töne werden der Protagonistin da vom Maestro aus Lucca abverlangt, die sie ohne Abdunkeln ihres aparten, leuchtenden Soprans erreicht, und ein differenziert-engagiertes, überzeugendes Rollenportrait abliefert – Brava!
Schlußapplaus: ( von links) Kyung Chin KIM ( Guglielmo) – Ytian LUAN ( Anna) – Vicent ROMERO – Roberto – Anna VEIT – Erzählerin. Foto: Tanzler
Großer Applaus eines begeisterten Publikums, nächstes Jahr nimmt man sich bei den Burgfestspielen einen ganz besonderen Brocken vor: den „Tannhäuser“!
Michael Tanzler