Opera Bastille Paris: ROMEO ET JULIETTE oder der Triumph des Benjamin Bernheim
Lustiges Treiben auf der Freitreppe des Palais Garnier – man glaubt sich im „Phantom oft the Opera“. Foto: © Vincent Pontet / Opéra national de Paris
Man mag es kaum glauben, aber seit fast vierzig Jahren wurde eine der wichtigsten französischen Opern – Gounods Romeo et Juliette – nicht mehr in Paris aufgeführt. Nun hat die seit 1989 bestehende Opera Bastille, das zweite Opernhaus neben der Garnier Opera, erstmalig dieses so wichtige Werk auf ihre Bühne geholt. Für die Inszenierung verpflichtete man mit Thomas Jolly einen absoluten Experten für Shakespeare. Der Franzose hat sich mit Inszenierungen von beispielsweise Heinrich IV oder Richard III als hervorragender Shakespeare-Regisseur erwiesen. Das Theaterstück Romeo und Julia hat er bislang nicht inszeniert, doch mit der erfolgreichsten Vertonung des Stoffes durch Charles Gounod hat er nun sein Bastille-Debüt als Opern-Regisseur gegeben. Mit großem Erfolg.
Bei Jolly tut sich einiges auf der Bühne. So bildet die ganze Oper hindurch eine Nachbildung der Treppe der Opera Garnier den Bühnenmittelpunkt. Kein Wunder, dass sich so manche(r) an die Szenerie des Musicals Das Phantom der Oper erinnert fühlt. Diese die ganze Bühne einnehmende Treppe ist wahrlich imposant und hat eine Besonderheit. Sie ist drehbar. Und so wird aus dem oberen Treppenende bei entsprechender Drehung ein Balkon, unter dem Romeo seine Julia anhimmeln kann. Genauso können sich die Figuren der Handlung in den Ecken, die sich daraus ergeben, wunderbar verstecken. Durch diese Öffnung bietet die Bühne dann auch viel Platz für die großen Ensembleszenen, die allerdings auch gut funktionieren, wenn die Treppen in Richtung Zuschauerraum zeigen. Denn das erste Bild der Oper versammelt eine Menge Leute auf jenem Maskenball, bei dem Romeo und Julia sich das erste Mal begegnen. Da wird die Treppe von allerhand Menschen in originellen Kostümen bevölkert. Jolly hält sich dabei aber mit Farben bedeckt. Vorwiegend erscheint alles schwarz oder zumindest dunkel. Julia in ihren weißen Kleidern bietet da einen seltenen Kontrast. Und wirkt dadurch wie eine Lichtgestalt – natürlich auch für Romeo. Jolly zeigt, dass man auch etwas anders inszenieren kann, und dennoch dem Original verpflichtet bleibt. Und es geschehen immer wieder jene Dinge auf der Bühne von denen die Protagonisten singen. Beispielsweise wenn Romeo in seiner Arie davon singt, dass sich Julia auf dem Balkon eine Haarlocke öffnet, dann passiert auch genau das. Bei Jolly, der auch für eine hervorragende Personenregie sorgt, hat alles Hand und Fuß.
Der französische Startenor Benjamin Bernheim geht in die Geschichte der Opera Bastille ein, in dem er nun der erste Romeo überhaupt an diesem Opernhaus ist. Doch in die Geschichte geht Bernheim wohl auch mit seiner stupenden Gesangsleistung als auch mit der Tatsache ein, dass er der heute führende Tenor für das lyrisch-französische Fach ist. Bernheim ist mit Sicherheit der beste Romeo den ein Opernhaus derzeit aufbieten kann. In Rezensionen wurden Vergleiche mit Roberto Alagna herangezogen, der vor rund 30 Jahren ebenfalls mit dem Romeo für Furore sorgte. Doch Bernheim ist nicht einfach nur der beste Romeo seit dem jungen Alagna, er übertrifft ihn sogar. Das was Bernheim vokal auszupacken imstande ist, hat man in dieser Qualität auch nicht bei Alagna gehört. Bernheim besitzt zweifellos das prächtigere Tenormaterial. Er singt mit unvergleichlicher Stimmschönheit und Stimmglanz. Schon die ersten Phrasen machen deutlich, dass er in einer eigenen Liga singt. Er besitzt diesen ganz eigenen französischen Gesangsstil, der für die französische Oper eben so wichtig ist. Dazu verfügt seine Tenorstimme über Schmelz ohne Ende. In seiner berühmten Arie Ah, leve toi soleil – für den Bernheim den größten Szenenapplaus des Abends einheimst – geht wirklich, ganz dem Text gemäß, die Sonne auf. Der Farbenreichtum in seiner Stimme ist einmalig, es scheint als könne er von einer neuen Rolle zur nächsten auch gleich wieder eine neue Farbe aufbieten. Dazu kommen dann auch noch der perfekte Einsatz seiner Voix mixte, also der Übergang von Kopf- und Bruststimme als auch seine fabelhafte, vielgerühmte Diktion. Das ist alles einfach eine Klasse für sich.
Auch in seinem Spiel als jugendlich Verliebter ist er sehr überzeugend. Bernheim sieht sehr gut aus, spielt gut und hat eine tolle Bühnenpräsenz. Eine Zuseherin sagt, er sieht ja aus wie ein richtiger Lausbub. In der Tat, hat der ohnehin noch recht junge Bernheim den Vorteil, auch ein noch recht bubenhaftes Gesicht zu haben, was der Rolle zusätzliche Glaubwürdigkeit verleiht.
Bernheim ist zweifellos der Star des Abends, was auch durch die lautstarke Reaktion des Publikums deutlich wird. Wetten, dass die Pariser total begeistert sind, dass es wieder einer der ihren geschafft hat, in der ersten Tenor-Liga mitzuspielen?
Als Juliette steht die Französin Elsa Dreisig auf der Bühne der Opera Bastille. Auch sie macht über weite Strecken einen guten Eindruck, doch es zeigen sich auch noch einige stimmliche Grenzen. Die leichte und unbekümmerte Juliette liegt ihr stimmlich nämlich deutlich besser als die dramatische. So kommt sie besonders in den beiden Finalakten hörbar an ihre Grenzen. Die dramatischen Spitzentöne in ihrer Arie Amour, ranime mon courage stellen dabei eine besondere Herausforderung dar. Hier verliert die Stimme deutlich an Kraft. Dreisig harmoniert stimmlich hervorragend mit Bernheim und gibt mit ihm ein absolut glaubhaftes Paar ab. Im dritten Akt steckt Jolly seine beiden Protagonisten ins Bett, Ein halbnackter Bernheim geht auf Tuchfühlung mit Dreisig. Das alles wirkt aber sehr echt und ist geschmackvoll in Szene gesetzt.
In der Hosenrolle des Stephano wartet Lea Desandre mit einer wundervollen Mezzosopranstimme auf. Das Timbre ist schon sehr feminin für die Partie. Da hört man eher schon eine Carmen als einen Stephano.
Das restliche Ensemble bietet durchwegs sehr gute Leistungen. Besonders viel Freude bereitet vor allem der balsamische Bass von Jean Teitgen in der Rolle des Bruder Lorenzo. So ist auch Huw Montague Rendall ein überzeugender Mercutio und Sylvie Brunet-Grupposo eine in jeder Hinsicht sehr präsente Gertrude. Bis in die kleinsten Nebenrollen kann man mit den Darbietungen zufrieden sein, was das Gesamtbild der Aufführung zu einen wunderbaren Opernerlebnis macht.
Dirigent Carlo Rizzi ist den Sängern ein sehr guter Begleiter und bringt gemeinsam mit dem Orchester auch die Musik Gounods hervorragend zur Geltung. Romantisch, aber nie kitschig. Sehr erfreulich auch der Chor der Oper, der in dieser Oper ja wunderbare Aufgaben hat.
Am Ende viel Jubel für die gesamte Produktion und die Sänger. Hier steht vor allem der alles überragende Benjamin Bernheim im Fokus des Jubels. Man kann ihn gar nicht oft genug erwähnen. Benjamin Bernheim.
Lukas Link