Bühnenspiel ohne Weihe und ohne Fest. PARSIFAL an der Pariser Opera de Bastille. 2.Vorstellung der Wiederaufnahme am 28.5.2022
Festlich oder gar weihevoll war keine der aktuellen Parsifalproduktionen in Wien oder Linz, in Paris folgt die Wiederaufnahme zumindest dem Libretto, erweitert um viele Regieeinfälle, die sich immer schnell erklären, die aber bis jetzt niemand wirklich vermisst hat. Wenn König Amfortas , überzeugend und dominierend Brian Mulligan, zum Bade geleitet wird, hat wohl niemand nachgedacht, wie es gefüllt wird und vor allem welche Wassertemperatur es haben sollte. In der mit Lust am trivialen Detail und genauer Personenführung erarbeiteten Inszenierung von Richard Jones siedet es das ganze Vorspiel über auf dem großen Herd einer große Gemeinschaftsküche vor sich hin. Die Knappen können später den Topf kaum schleppen. Die Gralsburg ist eine im Geschack der 50er Jahre renovierte Zimmerflucht , die geräumige Küche lässt nur mehr wenig Platz für ein Studierzimmer, in dessen Bibliothek sich Buch an Buch reiht, ein einziger Titel: WORT. Da es Osterzeit ist, sitzen die studieren Gralsritter, jeder in sein WORT vertieft, alle draussen am Brunnenrand. Der wird gespeist von der Heiligen Quelle, in die später Parsifal steigt, sich die Füße zu waschen. Die Brunnenfigur ist eng König Ludwig II vor dem Haus Wahnfried nachempfunden, nur mächtiger und die Büste vergoldet. Er würde im Profil freundlich auf die Ritterräume blicken, sieht aber nur die graue Wand und eine kleine Tür. Nach der Küche fogt ein komplett ausgestattes Krankenzimmer und eine Art Aula, die stark an den Mortier- Parsifal vom Februar 2008 erinnert. Das Gemach des sichen Titurel liegt einen Stock darüber, nicht barrierefrei, aber er ist eine so zarte und kleine Figur geworden, der Reinhard Hagen seine Stimme leiht. Wer sich je gefragt hat, wie er seine Zeit verbringt , wenn er nicht mit letzter Kraft die öffnung des Grals fordert? Einer der jüngeren Ritter,der ihn auch liebevoll herumträgt, liest ihm aus WORT vor. Dieses Bühnenbild dominiert die Szene im 1. und dritten Akt ist bis hin zu einer Teigmaschine , so dass es aus dem ansonst geduldigen und hoch konzentrierten Publikum mit vielen jungen Menschen nach der zweiten Pause mit einem lauten Buh begrüßt wurde. Es hat aber im Lauf der Zeit auch sehr gelitten, die Bücheregale sind fast leer, die Küche und Titurels Sterbezimmer verwaist und ausgeräumt. Ein karges Geschehen auf der Bühne, dem alle dank sehr eindringlicher Sänger und vor allem einer überzeugenden Marina Prudenskaya als Kundry folgen . Es könnte auch eine lange Bildbeschreibung einer Szene, die sich nicht Wagners Wundermusik unterordnet, kaum die zunehmende Spannung und Zustimmung erklären, die sich in lautstarkem Schluss-Applaus entlädt.
Es ist der zweite Akt, in dem die Entscheidung fällt, dafür oder dagegen. Klingsor, Falk Struckmann mit einem zwar mächtigen aber sehr dem Sprechgesang nahen Organ , arbeitet in seinem Pflanzenlabor. Bis jetzt hat sich eben niemand überlegt, wo der Nachwuchs an „Verfüherinnen “ im Laufe der Jahre herkommt und was mit ihnen „im Alter“ passiert. Hier wachsen die Holden aus Maiskolben zu üppigen Schönheiten mit überdimensionierten Brüsten und fordender Riesenvagina heran, es wird eine kompakt gegliederte Porno- Comic-Show, nur Parsifal taugt nicht zum Helden. Dann erscheint Kundry, fast zögerlich, es verschwinden die jungen im Dunkeln , später sieht man, dass sie dem Feuer übergeben worden sind.
Copyright: Opera Bastille
Auf der fast schwarzen Bühne zeigen Simon O’Neill und die erst altjügferliche, dann nur mehr zarte und erotische Frau als gleichwertiges charismatisches Paar ein im Gesang und in der Darstellung fast magisches und faszinierendes Beziehungsgeflecht. Eher trivial festigt es sich am Ende der Oper ,wenn sie Hand in Hand die Bühne verlassen. Denn dann ist Schlichtheit angesagt. Der Speer heilt die Wunde, der König legt sich zum Schlafen, Sterben. Die Reliquie wird mit dem goldenen Kelch zurück in den Kasten gestellt. Die alten Ritter werfen die Spielkleider ab und die letzten WORT Exemplare, die früher mit dem Blut ihren Segen bekommen haben. Gurnemanz, Kwangchul Youn, der zu Beginn als Trainer, jetzt nur mehr als Alter Herr für den ordentlichen Ablauf gesorgt hat, wirft einen ruhigen Blick zurück. Das Spiel ist zu Ende.
Und die es im Orchestergraben geleitet hat, Simone Young, holt noch die Chorleiterin Ching-Lien Wu an ihre Seite. Das große Ensemble erhält großen Applaus.
Ulrike Messer-Krol