PALERMO/ Teatro Biondo: ALMANACCO SICILIANO von Roberto Alajmo
am 19.1.2017
Vincenzo Pirrotta. Copyright: Teatro Biondo
VIele Theater bekommen in letzter Zeit Dramaturgen, Pressesprecher oder Manager als Intendanten. In Palermo hat Bürgermeister Orlando den entgegengesetzten Weg gewählt und den Schriftsteller Roberto Alajmo zum Chef des grössten und traditionsreichstenTeatro Biondo gemacht.
EInes der wichtigsten Werke Alajmos, „L’Almanacco siciliano“ erlebte jetzt auf der kleineren Bühne des „Biondo“ seine Dramatisierung. In „Der Sizilianische Almanach“ erzählt er von den letzten Minuten von dutzenden Mafia-Opfern der letzten fünfzig Jahre. Und zwar mit einem besonderen Kunstgriff. Alajmo nennt nämlich keine Namen. Manche der berühmteren Ermordeten kann man zwar an spezifischen Umständen erkennen. Das Prinzip besteht aber gerade aus der totalen Anonymität, und folgerichtig trägt jedes Kapitel nur das Datum des gewaltsamen Endes der soeben noch gehandelt habenden Personen als Überschrift. Denn nicht nur vor dem Gesetz, sondern auch vor den Verbrechern und dem Tod sind alle gleich.
Vincenzo Pirrotta mit Cinzia Maccagnano und Elisa Lucarelli. Copyright: Teatro Biondo
Hauptdarsteller und Regisseur Vincenzo Pirrotta wählt einen ebenso abstrakten Weg der Umsetzung, den man eigentlich gar nicht „Dramatisierung“ nennen kann: denn Pirrotta bezieht sich auf die archaische siziianische Kunst des „cuntu“, also des singenden Geschichtenerzählens.
Zur „Erhöhung“ der blutigen banalen Fakten tragen weiters noch die Musik der Fratelli Mancuso bei sowie die Tatsache, dass – gemäss den Regeln der griechischen Tragödie – die Tode letztendlich nicht gezeigt, sondern „berichtet“ werden, und zwar von dem zweiköpfigen Frauenchor, bestehend aus Cinzia Maccagnano und Elisa Lucarelli.
Vincenzo Pirrotta. Copyright: Teatro Biondo
EIn hochartifizieller, beeindruckender Abend, beeindruckend auch fúr den mit den Details der jüngeren sizilianischen Geschichte nicht vollkommen vertrauten ausländischen Gast.
Robert Quitta, Palermo