Gaëtano Donizetti: Lucia di Lammermoor • Opernhaus Zürich • Vorstellung: 29.05.2022
(3. Vorstellung • Wiederaufnahme: 22.05.2022 • Premiere am 20.06.2021)
Ein Fest der schönen Stimmen
Das Primat der Stimme im Belcanto bedeutet keineswegs, so dass die Rolle des Orchesters zweitrangig wäre. Das Orchester bereitet den Sängern die Basis, um mit ihrer Stimme glänzen zu können.
Selten hat man in letzter Zeit die Philharmonia Zürich mit soviel Sentiment wie an diesem Nachmittag gehört. Andrea Sanguineti koordiniert mit natürlicher Autorität und vollkommener Übersicht das Geschehen im Graben und auf der Bühne. Die Philharmonia folgt ihm höchst konzentriert und inspiriert und vor allem: unheimlich klangschön. Mit soviel Schmelz und Schmiss, zarten Piani und prächtigen Forte gesellt sich «Belsuono» zum Belcanto. Stellvertretend für die Musiker seien die Soloflöte Maurice Heugen und die Harfe von Una Prelle erwähnt. Bravissimi! Sanguineti überzeugt mit einer äusserst prägnanten, präzisen und umsichtigen Schlagtechnik und erweist sich als idealer Sängerbegleiter.
Massimo Cavalletti gibt mit seinem prächtigen Bariton einen herrlichen Enrico, der keine Wünsche offen lässt. Lisette Oropesa erweist sich einmal mehr als eine der führenden Interpretinnen der Lucia. Mit ihrem runden, vollen, auch zu dramatischer Attacke fähigen Sopran entspricht sie nicht unbedingt dem Klangbild «klassischer» Lucia-Interpretinnen, was sie mit ihrer enormen Bühnenpräsenz aber mehr als wett macht. Benjamin Bernheim reüssiert als heldenhafter Aussenseiter (Edgardo di Ravenswood)und zählt zu den führenden Interpreten des Edgardo. Seungwoo Simon Yang, Mitglied im Internationalen Opernstudio der Staatsoper Hamburg, springt vom Bühnenrand singend für Andrew Owens ein, der spielt, und glänzt mit strahlenden Höhen. Brent Michael Smith springt mit kernigem Bass für den erkrankten Vitalij Kowaljow ein. Mit zunehmender Rollenerfahrung wird die hervorragende Interpretation noch an Leichtigkeit gewinnen. Roswitha Christina Müller als Alisa und Iain Milne als Normanno ergänzen das Weltklasseensemble.
Der Chor der Oper Zürich (Choreinstudierung: Janko Kastelic) absolviert wie der Statistenverein am Opernhaus Zürich seine Auftritte tadellos.
Von der Inszenierung gibt es nichts Neues zu berichten. Die Verwendung der Drehbühne widerspricht dem Libretto, das die Ekstase des Moments feiert, völlig. Im sechsten wie siebten Bild läuft die Drehbühne ohne Unterbruch. Genauso fragwürdig ist die Verwendung einer Sprache (Psychologie), die dem Librettisten und dem Komponisten bei der Schöpfung ihres Werkes noch nicht zu Verfügung stand.
Ein Fest der schönen Stimmen!
Weitere Aufführungen: Sa. 04. Jun, 19.00 und So. 12. Juni, 20.00.
30.05.2022, Jan Krobot/Zürich