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OPER GRAZ: POLNISCHE HOCHZEIT Operette von Joseph Beer

Operette nach Gutsherrenart

09.12.2018 | Operette/Musical

Katharina Melnikowa (Jadja) Fotorechte K.Kmetitsch

OPER GRAZ
POLNISCHE HOCHZEIT  Operette von Joseph Beer

Premiere
Am 8. Dezember 2018

 

Operette nach Gutsherrenart – musikalisch und inszenatorisch transzendiert

 

Das Libretto der 1937 in Zürich mit Erfolg uraufgeführten Operette ist nicht mehr als Dutzendware des damals wohl gesuchtesten Autorenduos Fritz Löhner-Beda/Alfred Grünwald. Während ringsum in Mitteleuropa bürgerkriegsähnliche Konflikte, autoritäre Regimes und wirtschaftliche Krisen die noch jungen Demokratien in den Abgrund zu stürzen drohten und sich ein erneuter Weltenbrand ankündigte, beschworen sie wieder einmal eine längst vergangene Zeit, in der immer noch adelige Gutsherren den Ton angaben und fesche Leutnants und mehr oder weniger vertrottelte Barone ihrem Glück in der Liebe nachjagten. Immerhin: der im Mittelpunkt stehende junge Graf Boleslav ist ein von den Behörden gesuchter, draufgängerischer polnischer Freiheitskämpfer. Am Schluss aber wird er natürlich rehabilitiert und darf seine Jugendliebe heiraten, nachdem die gewitzte Gutsverwalterin mit einem geschickten Schachzug seinen vom Brautvater als Schwiegersohn vorgesehenen Onkel, den viel älteren und schon fünfmal verheirateten Graf Staschek Zagorsky, so in die Enge getrieben hat, dass er zu allem Ja und Amen sagen wird.

Warum aber die erfolgsverwöhnten Librettisten damals ausgerechnet einen erst 27-jährigen, noch weitgehend unbekannten Komponisten als Partner gewinnen wollten, liegt auf der Hand: Der aus Lemberg stammende Joseph Beer galt in der Komponistenzunft als ungemein vielversprechende Zukunftshoffnung, die sein Lehrer Joseph Marx freilich lieber in der ernsten Musik anstatt der leichten Muse verpflichtet gesehen hätte. Die Meister der Silbernen Operettenära, Lehar und Kalman, befanden sich schon im vorgerückten Alter, und so suchte man nach neuem Wein in alten Schläuchen – und wurde bei Beer tatsächlich fündig. Seine Musik, mit ihrer kecken Mixtur aus melodienreicher Walzerseligkeit, folkloristischen Anklänge und temperamentvollen Tanzeinlagen mit jazzigen Spurenelementen, sorgt – auch als Neu-bzw. Wiederentdeckung an der Grazer Oper – für ein fulminantes Feuerwerk und macht nachvollziehbar, warum nach der Uraufführung die Polnische Hochzeit auf vielen Bühnen nachgespielt worden war: Man witterte Morgenluft. Aber vergeblich. Die 1938 für Wien vorgesehene Aufführung mit dem Zugpferd Richard Tauber fiel dem Einmarsch der Hitlertruppen zum Opfer, der Komponist musste nach Frankreich fliehen, wo er die Kriegsjahre unter widrigsten Umständen überlebte und sich nach Kriegsende vergeblich bemühte, wieder an seine so glänzend begonnene Karriere anknüpfen zu können und aufgeführt zu werden. Erst 2012 kam es zur ersten konzertanten Aufführung der Polnischen Hochzeit, 2017 folgte die erste Einspielung. Die nun vorgelegte szenische Umsetzung an der Oper Graz ist ein weiterer Meilenstein. Ob es allerdings gelingen wird, dass dieses Werk wieder Eingang in das Repertoire findet, und ob mitreißende Nummern wie „Katzenaugen“, „Herz an Herz“, „In der Heimat blühen Rosen. Auch für mich, den Heimatlosen“ zu Schlagern werden, bleibt abzuwarten. Das Zeug dazu hätten sie und verdienen würden sie es allemal, aber die seit der Entstehung ungenützt verstrichenen 81 Jahre sind eine lange und schmerzhafte Zäsur, und die Zeiten enthusiastischer Begeisterung und des Hungers nach Unbekanntem aus der Welt der Operette scheinen vorerst wohl vorbei.

Die Rückwärtsgewandtheit der Handlung, die Darstellung längst vergangener, noch dazu romantisch verklärter gesellschaftlicher Verhältnisse ist eine Herausforderung, der sich das inszenatorische Team der Oper Graz wohl bewusst ist. Indem – mit Ausnahme der Hauptpersonen – alle übrigen Akteure mit Einheitsmasken versehen auftreten, die Bauern und Dienstmägde sogar als putzige, folkloristische Puppen (Kostüme Andy Besuch), wird verdeutlicht, dass man es hier nicht mit realen Personen und tatsächlich existierenden Gesellschaftsschichten zu tun hat, sondern mit klischeehaften Typen, die mit der Realität nichts zu schaffen haben. Auch das Bühnenbild von Martin Miotk unterstreicht die Märchenhaftigkeit des Geschehens. Ein überdimensionaler Erntekorb mit zwei geschwungenen Treppen rechts und links, die emporführen und in bewährter Revue-Manier zum Defilieren einladen, genügt als Schauplatz. Wenn es sich um den Gutshof des Baron Oginsky handelt, ist er mit riesengroßen Karotten und Rüben bestückt, für das Schloss des steinreichen Graf Staschek Zagorsky genügt es, dass er mit Silberlametta gefüllt ist und nun wie ein pompöser Geschenkkorb aussieht. Die Personenführung durch den Regisseur Sebastian Ritschel unterstreicht einerseits das Zauberhafte, wenn die energischen Gefühlsausbrüche der Gutsverwalterin tatsächlich jedes Mal von einem starken Donnergrollen begleitet werden, andererseits vernachlässigt er auch nicht die Komik des Geschehens und schafft so ideale Voraussetzungen für ein bewährtes Ensemble, das das Publikum bestens unterhält und für gute Laune sorgt.

Mareike Jankowski (Suza),Ivan Orescanin (Casimir von Kawietzky, Ballett der Oper Graz Fotorechte K.Kmetitsch

Die Zentralperson, die die Handlung, einer Zauberfee gleich, bestimmt und dirigiert, ist das leidenschaftliche Vollweib Szusa. Mareike Jankowski ist als Gutsverwalterin geschäftstüchtig und als Frau eine selbstbewusste Domina, die die Männerwelt ebenso zu beeindrucken wie einzuschüchtern versteht. Dass die Mezzosopranistin auch schon als Carmen aufgetreten ist, ist bei ihrer ausdrucksstarken Leistung geradezu selbstverständlich. Ihr Gespons Casimir, dargestellt von Ivan Orescanin, ist ein sehr komödiantischer Erfüllungsgehilfe, der auch slapstickartige Auftritte bravourös hinkriegt und die Lacher stets auf seiner Seite hat. Auf der komödiantischen Habenseite zu verbuchen ist außerdem Josef Fostner als Baron Oginsky, der seine Tochter gegen ihren Willen, dem bekannten Hallodri, dem schwerreichen Graf Staschek (Markus Butter, dem das Kunststück gelingt, trotz der negativen Eigenschaften seiner Figur sympathsche Züge zu verleihen) andrehen will, um seine Schulden loszuwerden, dann aber froh ist, dass es doch anders kommt..

Das Liebespaar, um dessen Happyend im Hafen der Ehe sich alles dreht, ist mit Katharina Melnikova und Szabolcs Brickner besetzt. Als draufgängerischer, ungeduldiger adelige Revoluzzer Graf Boleslav besticht Brickner mit seiner einschmeichelnden, höhensicheren Stimme. Ein Operettentenor, wie man ihn sich wünschen kann. Die Sopranistin Katharina Melnikova ist eine sympathische junge Braut, der es noch an Erfahrung fehlt, die aber Potenzial hat. Lob verdient auch der Chor (Einstudierung Georgi Mladenov) sowie die Ballettgruppe (Choreographie Simon Eichenberger) mit ihren temporeichen Tanzeinlagen im Stil der 20er und 30er Jahre. Festzuhalten ist weiters, dass auch die übrigen begleitenden Nebenrollen gut besetzt sind.

Nicht hoch genug einzuschätzen ist das Verdienst des musikalischen Leiters der Aufführung. Der Dirigent Marius Burkert hat das Wagnis unternommen, sich dieses lange vergessenen Werks anzunehmen. Er hat einen Schatz geborgen und diesen – unterstützt von den prächtig aufspielenden Grazer Philharmonikern – in seiner strahlenden Vielfalt sichtbar und hörbar gemacht.

Ein abschließendes Wort noch zur Einleitung dieser Operette. Joseph Beer hat auch hier Neuland betreten und nicht eine Ouvertüre an den Anfang gestellt, sondern einen „Prolog“. In diesem schildert er die bürokratischen Hindernisse und Schikanen, mit denen sich Boleslav – ebenso wie andere Schicksalsgenossen – beim Grenzübertritt in die polnische Heimat konfrontiert sieht. Da ist in der Inszenierung nichts von Märchenhaftigkeit zu verspüren, sondern nur gnadenlose erschütternde Realität. Ein bedrohlich großer Stacheldraht markiert den betonierten Grenzverlauf. Ein bewaffneter Posten erteilt -oft erst nach Bezahlung von Schmiergeld – nach seinem Gutdünken die Erlaubnis zur Einreise, andere weist er, ohne Angabe von Gründen, zurück. Das ist eine wachrüttelnde, unheimliche Reminiszenz an die Erlebnisse, die dem jüdischen Emigranten Beer – dessen Eltern und dessen Schwester im KZ zu Grunde gingen – auf seiner Flucht widerfahren sind. Nicht zuletzt aber auch ein mahnender Zeigefinger auf heutige Verhältnisse.

9.12.2018

Manfred A. Schmid

 

 

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