OPER GRAZ
Johann Strauß Sohn EINE NACHT IN VENEDIG
Premiere 25.November 2017
Ob sich Strauß damals richtig entschieden hatte? Darüber kann man heutzutage nur spekulieren. Fakt ist aber, dass sich Strauß, als ihm zwei Textbücher zur Auswahl vorgelegt wurden, für die Nacht in Venedig entschied und gegen den Bettelstudenten, der Millöcker über Nacht zu Weltruhm verhelfen sollte. Die Uraufführung 1833 in Berlin war ein Reinfall.
Erst zahlreiche Bearbeitungen des Textes, unter anderem Marischkas, dessen Version an der Oper Graz verwendet wird, und der Musik, darunter jene Korngolds aus 1923, die in Graz gewählt wurde, samt Einfügung mehrerer Musiknummern, die bekannteste davon Sei mir gegrüßt, du holdes Venezia!, welche original aus der Operette Simplicius, ebenso von Strauß, stammt, und Verdichtung der Orchestration, konnten der Operette zur Aufnahme in den Kanon verhelfen. Und auch zu einem strahlenden Erfolg an der Wiener Staatsoper bei der Premiere 1929 konnte eine weitere Bearbeitung Korngolds verhelfen; laut Reitler: „Der Beifall … nahm auch bei offener Szene nach den schlagkräftigsten Nummern solche Dimensionen an, dass viele dieser Nummern zwei-, drei- und viermal wiederholt werden mussten. Es war ein Abend der Sensationen…“ Allerdings wird bis heute die Fassung von 1923 vom Verlag Josef Weinberger vertrieben, die Wiener Fassung von 1929 wurde bislang noch nicht rekonstruiert.
Ein Abend der Sensationen war es an der Oper Graz eher nicht. In der Koproduktion der Oper Graz mit der Opéra National de Lyon inszenierte der Däne Peter Langdal, unterstützt von Choreographien Peter Friis, samt Kostümen von Karin Betz und der Bühne von Ashley Martin-Davis, die energiegeladene Operette mit der für diese Kunstgattung so typischen verwirrt-beschwipsten Verwechslungsgeschichte.
Grundidee ist, dass der Herzog Guido von Urbino seine Nacht in Venedig bloß erträumt und so eröffnet sich für die Regie die Möglichkeit, diese noch wahn- und irrwitziger mit surrealistischen und dadaistischen Einflüssen anzulegen. Gelungen ist, dass die Inszenierung nicht versucht, Tiefsinnigkeit oder eine Metaebene in das Stück hinein zu konstruieren, denn das gibt es weder vom textlichen noch vom musikalischen her. Die Operette ist voll leichter, geschmackvoller Heiterkeit, für die Strauß zwingendes Symbol geworden ist. Aber es scheint, dass das Konzept des Regieteam den Witz, die Überdrehtheit, den Schwips des venezianischen Karnevals noch karikieren will, was aber über das Ziel hinausschießt. Die Bühne ist bunt und schreit schrill in allen Farben des Regenbogens, dazu gibt es zahlreiche schiefe Bühnenteile und darüber hinaus sind die Kostüme, vor Allem des Chors und der Tänzer, ebenfalls bunt und in grellen Farben samt Federn. Da wird man im Publikum von visuellen Sinneseindrücken einfach überschwemmt. In Szenen, wo auf der Bühne besonders viel los ist, kann das etwas erschlagend wirken. Dafür wird darauf geachtet, dass auf der Bühne Ruhe einkehrt, wenn die Sänger ihre Arietten, Barkarolen und Lieder zum Besten geben.
Durch die Choreographien mit kleinen Treppelschrittchen und Schunkeln im Takt der Musik werden komische Szenerien oft ridikül und deren inhärenter Charme verdrängt. Dafür sind die orange-schwarzen Kostüme der Tänzer ein wirklicher Hingucker!
Die Rolle des Herzogs Guido von Urbino wird von Lothar Odinius verkörpert und zeigt sich als lockerer Lebemann, der jede ernsthafte Art amouröser Bindung scheut. Im Laufe des Stückes fand sich Odinius immer mehr in seine Rolle hinein und glänzte besonders beim Schäkern mit den Damen des Chores und den beiden Barbaras. Besonderes Zuckerl: Treu sein, das liegt mir nicht.
Bartolomeo Delaqua wird vom Grazer Publikumsliebling Götz Zemann dargestellt und dieser gibt den planlosen alten Senator mit viel Witz, speziell brilliert er, als er die falsche Barbara an den Herzog übergibt.
Elisabeth Pratscher ist eine überschäumende, glanzvolle Barbara und blüht im Schwipslied (eine Textunterlegung zur Annen-Polka op.117 übrigens!) so richtig auf, das sie mit Charme und Légèreté interpretiert. Sichtlich hat sie viel Spaß mit diesem Lied auf der Bühne. Ihr Liebesinteresse Enrico wird von Benjamin Rufin dargestellt, der jugendlich-neckisch seine Tante umgarnt.
Elena Pusztas Annina besticht durch die witzigen Szenen, in denen sie Caramello eifersüchtig machen will, indem sie den Herzog umgarnt und regelrecht um den Finger wickelt. Ihr heller Sopran ist äußerst gut für das Soubretten-Fach geeignet, aber etwas mehr Brillanz im oberen Register wäre noch wünschenswert.
Als Caramello hat man Alexander Geller eingeladen, der letztes Jahr den Mister X an der Oper Graz spielte. Die Barkarole Komm in die Gondel liegt ihm wirklich, auch gelingt ihm das Spiel mit Annina und er wechselt vom schmeichlerischen Umgarnen über Eifersucht hin zu Rachegelüsten nahtlos natürlich. Auch bezaubert er mit Ach wie herrlich zu schau’n vollends!
Ensemblemitglied Sieglinde Feldhofer als Wirbelwind Ciboletta ist schauspielerisch sowie gesanglich eine absolute Freude anzusehen. Alles Spiel kommt bei ihr mit einer Natürlichkeit, wirkt frei aus dem Bauch heraus: Da ist nichts gekünstelt! In den Duetten mit Pappacoda, brillant von Ivan Oreščanin dargestellt, wird die Chemie der beiden Sänger greifbar. Vor allem bei ihrem zweiten Duett strahlen sie gemeinsam! Die Rolle des Pappacoda liegt Oreščanin im Blut: Wie er seine Maccaroni und Spaghetti besingt, da bekommt man im Publikum gleich Hunger und er ist darstellerisch eine der treibenden Kräfte auf der Bühne.
Die kleineren Rollen wurden aus dem Chor der Oper Graz, unter der Leitung von Bernhard Schneider, besetzt: Dietmar Hirzberger als Barbaruccio, Stefanie Hierlmeier als seine Angetraute, Richard Jähnig als Testaccio, Dominika Blazek als seine Frau und als Herold István Szécsi. Als Centurio engagierte man den Schauspieler und Statisten der Oper Graz Michael Zejdlik, der das Publikum mit seinen musikalischen Versuchen zum Lachen brachte.
Der Chor der Oper Graz kam an diesem Abend viel zum Einsatz. Leider haperte es ein wenig an der Textdeutlichkeit, die gerade bei Operetten ein wichtiger Faktor ist.
Marius Burkert arbeitete mit dem Grazer Philharmonischen Orchester eine stilistisch makellose Untermalung der Nacht in Venedig heraus. Nie kam es zu Situationen mit unvorteilhafter Balance, der Wechsel zwischen schwungvollen wienerischen Walzern und langgezogenen, breiten, italienischen Serenaden gelang organisch. Ausgezeichnete Leistung des Orchesters!
Konstanze Kaas
OnlineMERKER
Literaturhinweise:
Kevin Clarke, „Korngolds Operetten(bearbeitungen)“, in: Erich Wolfgang Korngold – Wunderkind oder letzter Romantiker? Arne Stollberg Hg. et+k, München 2007.
Josef Reitler, „Operntheater“, in: Neue Freie Presse, 25. Juni. 1929 (Korngold-Archiv, Hamburg).
Foto: Werner Kmetitsch