Olga Bezsmertna: Musik ist eine gute Medizin!
Juni 2017 / Renate Publig
© Iryna Buchegger
Die in der Ukraine geborene Sopranistin Olga Bezsmertna kann ohne Übertreibung als Shooting-Star bezeichnet werden. Nach ihrem Abschluss 2010 an der Kiev National Academy of Music in der Ukraine nahm sie erfolgreich an internationalen Gesangswettbewerben teil, so räumte sie den ersten Preis bei „Neue Stimmen 2011“ ab. Dass bei diesem Bewerb niemand geringerer als Dominique Meyer den Juryvorsitz innehatte, sollte sich für die Sängerin als wunderbare Fügung des Schicksals erweisen: Noch im Jahr darauf holte Meyer sie an die Wiener Staatsoper. Mittlerweile Ensemblemitglied, verkörperte sie in den letzten Jahren unter anderem die Pamina, die Gräfin in Le Nozze di Figaro, Rusalka in Dvoraks gleichnamiger Oper und Tatjana in Tschaikowskys Eugen Onegin. Nun steht die nächste Hauptrolle am Programm, und das sogar in einer Neuinszenierung: Am 18. Juni findet die Premiere von Debussys Oper Pelléas et Mélisande statt, deren Titelheldin Olga Bezsmertna darstellt.
Das Interview fand übrigens auf Deutsch statt, eine Sprache, die die junge Ukrainerin fließend beherrscht.
Frau Bezsmertna, wir durften Sie hier in Wien in unterschiedlichen Rollen erleben, sowohl, was den Musikstil, als auch was den Charakter der Rolle betrifft. In welchen Partien fühlen Sie persönlich sich am meisten zuhause?
Es sind einige Rollen, in denen ich Wesenszüge von mir entdecke. In Rusalka zum Beispiel, oder in der Contessa in Le Nozze di Figaro! Besonders gern singe ich auch die Desdemona – in diesen lyrischen Partien fühle ich mich sehr wohl.
Ziehen Sie es vor, Rollen zu gestalten, die tendenziell Ihnen selbst entsprechen, oder macht es Spaß, auf der Bühne einen zu Ihnen komplett konträren Charakter darzustellen?
Im wahrsten Sinn des Wortes eine Rolle zu spielen ist eine wunderbare Herausforderung! Wie jetzt die Mélisande, eine extrem facettenreiche Figur. In manchen Situationen entdecke ich durchaus meine eigene Person wieder, doch dann setzt sie Handlungen, die mir überhaupt nicht entsprechen. Mélisande ist schwer fassbar, sie verhält sich immer ein wenig anders, als ihr Umfeld von ihr erwartet. Diese unterschiedlichen Stimmungen, das ist wie im realen Leben! Gelegentlich bin ich diese energiegeladene Frau, danach folgen Momente, in denen ich das Bedürfnis habe, mich zurückzuziehen.
Die drei Hauptfiguren sind in ihren Grundhaltungen weder gut noch böse – bei aller Mystik erleben wir eine zutiefst menschliche Geschichte?
Das kann man so sagen! Jedem Zuschauer bietet sich die Möglichkeit, eine eigene Sichtweise zu entwickeln, sowohl auf die gesamte Geschichte als auch auf die einzelnen Figuren. Das beginnt bei der Dreiecksbeziehung Pelléas, Mélisande und Golaud. Golaud begegnen wir als älteren, in sich gekehrten Mann. Dass er seine erste Frau verlor, hat ihn gezeichnet. Pelléas hingegen ist jung und unerfahren, er entwickelt eine Neugier zu Mélisande, ihrer Undurchsichtigkeit fasziniert ihn. Beide Männer fühlen sich von ihrer mystische Aura angezogen. Sie selbst ist wandlungsfähig, sie passt sich im Umgang mit Golaud und mit Pelléas jedoch nur scheinbar an.
© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Wie sehen Sie die Mélisande?
Eine ihrer kryptischen Aussagen charakterisiert sie meiner Meinung nach sehr treffend: „Ich bin glücklich, aber ich bin traurig!“ Diese Ambivalenz ist für sie signifikant: Sie ist stark, und zur gleichen Zeit verletzlich. Wenn es um ihre innersten Empfindungen geht, fühlt sie sich alleingelassen, unsicher. Mélisande ist kein Mädchen, sie nimmt nur in manchen Situationen mädchenhafte Züge an. Doch im Grunde ist sie selbstbewusst!
Ihr Selbstbewusstsein, aber auch ihre Ambivalenz erleben wir gleich zu Beginn: Bei aller Verlorenheit, die sie ausstrahlt, drückt sie klar ihren Willen aus. Sie lehnt Berührungen ab, oder droht, ins Wasser zu gehen, sollte Golaud die Krone herausfischen.
Sie ist willensstark! Pelléas gegenüber spielt sie ein Mädchen, die beiden gehen fast wie Kinder miteinander um. Die Menschen um sie im Schloss können sie nicht erfassen, doch sind sie von ihr so fasziniert, dass sie sie schützen möchten. Mélisande bleibt jedoch in ihrer eigenen Welt.
Sie erwähnten bereits Ihre Auftritte als Rusalka. Diese beiden Opern unterscheiden sich zwar musikalisch, Rusalka ist zudem ein Märchenwesen, eine Wassernixe, Mélisande ist real – gibt es dennoch Parallelen zwischen diesen Figuren?
Allerdings! Beide umgibt eine Mystik, sind weder gut noch wirklich böse, beide handeln aus Liebe; hinzu kommt, dass beide das Element Wasser verbindet – ein faszinierendes Element! Wasser ist ein sehr starkes Symbol, das ambivalente Assoziationen auslöst: Zum einen verbindet man Wasser mit Urlaub, schwimmen gehen, sehr angenehme Gefühle. Zum anderen hat es, wenn man an Unwetterkatastrophen denkt, etwas höchst Bedrohliches! Ich verstehe die Menschen, die auf Tauchexpeditionen gehen. In der Tiefe des Wassers herrscht eine absolute Stille, die Zeit scheint anderen Regeln zu folgen.
Das Wasser verleiht beiden Frauenrollen eine tiefe Symbolik; beide Frauen üben eine anziehende Wirkung aus, von der zugleich eine Gefahr ausgeht. Dabei sehnen sich sowohl Rusalka als auch Mélisande danach, zu erfahren, zu erfühlen, was Liebe ist.
Simon Keenlyside meinte, dass Golaud Mélisande auf seine Weise liebt. Wie ist das bei Mélisande?
Wahrscheinlich hat Mélisande nie gelernt, zu lieben. Wir wissen nicht, was sie erlebt hat – die Krone ist, ebenso wie deren Verlust, ein Symbol. In dieser Inszenierung sitze ich zu Beginn der Oper auf dem Boden, die Zuseher blicken ins Wasser, in dem keine Krone, sondern ein toter Mann schwimmt. Ob Mélisande ihn getötet hat oder er sich selbst das Leben nahm, bleibt ungeklärt. Mit ihren ständig ausweichenden Antworten wirkt sie etwas labil, sie bewegt sich gewissermaßen zwischen Erde und Himmel.
Bei Pelléas beginnt sie, Gefühle zu entwickeln, die sie vorher noch nicht kannte, Pelleás verändert sie. Wie schon erwähnt, ist sie im Umgang mit Pelléas mädchenhafter, sie spielen mit dem Ring oder später mit den Haaren – dieses Verhalten zeigt sie mit Golaud gar nicht. Natürlich kokettiert sie, und die Haare, die Wendung, dass Pelléas sich darin verfängt, birgt in sich wieder tiefste Symbolik.
Lassen Sie sich auf Mélisandes Rätselhaftigkeit ein, oder entwickeln Sie zu ihr eine (Vor-)Geschichte?
Das Nachdenken zu dieser Figur ist ein ständiger Prozess, an dessen Ende ich noch nicht angelangt bin. Weil die Sicht auf diese Figur sich durch das Zusammenspiel mit den Kollegen verändert! Zwischen all den Personen herrscht eine ständige Interaktion, was sich auch in der musikalischen Struktur der Oper äußert: Debussy hat die Handlung ohne Arien durchkomponiert.
Warum hat diese Oper Ihrer Meinung nach eine relativ überschaubare Fangemeinde?
Vielleicht fällt es den Zuhörern zunehmend schwerer, einfach nur zuzuhören und sich in der Musik treiben zu lassen. In Liederabenden lesen viele die Texte mit, anstatt die Musik auf sich wirken zu lassen. Wir leben in einer zunehmend schnelllebigen Welt, dabei hätten wir für alles Zeit, was uns wichtig ist! Diese Oper lädt ein, die Zeit zu vergessen und in diese fantastische Welt der Musik, der Mysterien einzutauchen. Musik ist eine gute Medizin!
A propos Zeit: Was machen Sie, wenn Sie nicht mit Musik beschäftigt sind?
Meine freie Zeit verbringe ich gerne mit der Familie, meinem Mann oder meinen Freunden. Gemeinsam Grillen oder Bootfahren finde ich sehr entspannend! Außer während des Urlaubs habe ich nicht wirklich einen freien Tag, weil ich täglich entweder hier an der Oper oder zuhause arbeite. Aber jeden Sonntag nehme ich mir die Zeit und besuche ich den Gottesdienst. Ich bin ein glücklicher Mensch, besonders, wenn es meiner Familie und meinen Freunden gut geht. Ich darf in einem Beruf arbeiten, der mich ausfüllt!
Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Ich arbeite daran, mein französisches Repertoire ausbauen, z. B. die Marguerite in Gounods Faust interessiert mich. Richard Strauss zu singen wäre ebenfalls mein Traum. Für Arabella oder für die Marschallin im Rosenkavalier bleibt mir noch Zeit, doch manches muss langfristig geplant werden. Auch die lyrischen Verdi-Partien reizen mich, Amelia in Simon Boccanegra, oder Elisabetta in Don Carlo möchte ich sehr gerne gestalten – wir werden sehen, natürlich hängt alles von der Entwicklung der Stimme ab.
Im Augenblick bin sehr dankbar, dass ich bisher hier in Wien all meine Traumrollen singen durfte!
Frau Bezsmertna, vielen Dank für das Gespräch und Toi, toi, toi für die Premiere!
Das Gespräch führte Renate Publig am 6.2.2017