OLDENBURG: MARIA von ROMAN STATKOWSKI – Deutsche Erstaufführung
am 17.3.2018 (Werner Häußner)
In Oldenburg scheint jemand die Spielpläne des auf vernachlässigte Werke spezialisierten irischen Wexford Opera Festival genau studiert zu haben. Ist es ein Zufall, dass nach Jacopo Foronis aufregender „Cristina, Regina di Svezia“ (2016) – drei Jahre zuvor in Wexford ausgegraben – nun eine weitere deutsche Erstaufführung folgt, die 2011 bei dem irischen Festival erstmals außerhalb Polens vorgestellt wurde? „Maria“ von Roman Statkowski wurde von der Presse als Neuentdeckung gefeiert, als „missing link“ der polnischen Oper zwischen Stanislaw Moniuszkos „Halka“ und Karol Szymanowskis „König Roger“. Die verdienstvolle Oldenburger Initiative offenbart indes ein Werk, das ähnlich wie „Halka“ kaum eine Chance haben wird, außerhalb Polens zu bestehen.
Das liegt eher nicht an Roman Statkowskis Musik. Der 1859 in der Nähe von Kalisz geborene Komponist ist für die polnische Musikgeschichte vor allem als Lehrer bedeutsam, hat eine ganze Generation geprägt. Sein Œuvre ist schmal, umfasst vor allem Klavierwerke, daneben sechs Streichquartette und zwei Opern. Mit der ersten, „Filenis“ von 1897, gewann er den Internationalen Kompositionswettbewerb in London; nach „Maria“ (1906) gab er bis zu seinem Tod 1925 das Komponieren zugunsten seiner pädagogischen Tätigkeit weitgehend auf.
Statkowski nutzt die harmonischen und klangfarblichen Möglichkeiten des Orchesters gekonnt aus, wie er sie von seinen Lehrern Anton Rubinstein und Nikolai Rimski-Korsakow ererbt und an Richard Wagner feingeschliffen hat. Vor allem die Holzbläser sind expressiv eingesetzt; die Leitmotivtechnik Wagners wird behutsam verwendet, so dass nie der Eindruck bloßen Plagiierens aufkommt. Deutlich ist die Reminiszenz an Wagner, wenn sich Statkowski direkt von der Gewittermusik in der „Walküre“ inspirieren lässt.
Zu hören sind aber auch die melancholische Melodiebildung Peter Tschaikowskis und der epische Ton Modest Mussorgskys. Das Zitat der „Bogurodzica“, der alten polnischen Marienhymne, und die Mazurken geben der Musik eine unüberhörbare polnische Prägung. In diesem Rahmen schreibt Statkowski eine modernen Anklängen abholde, versierte Musik, von der freilich trotz der melodischen Ausprägung kaum etwas in Erinnerung bleibt – in seiner konservativen Ausprägung ein polnischer Hans Pfitzner.
Problematischer zeigt sich das Libretto: Statkowski selbst hat das polnische Nationalpoem „Maria“ von Antoni Malczewski auf eine knapp 100minütige Handlung reduziert: Der Sohn eines machtgierigen, egomanischen Wojewoden hat gegen dessen Willen Maria, die Tochter eines Bauern geheiratet. Die Ehe steht den hochfliegenden Plänen des Vaters entgegen. Der Wojewode greift zu einer List: Er gibt vor, der Heirat seinen Segen zu geben, wenn sich der Sohn unter Waffen bewährt, schickt ihn und den Vater Marias in den Krieg und lässt die junge Frau ermorden. Aus dem Feld zurückgekehrt, entdeckt der Sohn das Verbrechen, schwört Rache, entschließt sich aber dann, seinem Leben selbst ein Ende zu bereiten, um im Tod mit seiner Geliebten vereint zu werden.
Dieser offenbar von „Tristan und Isolde“ inspirierte Liebestod ist ein kennzeichnender Unterschied zu Malczewskis 1825 erschienener „ukrainischen Erzählung in zwei Gesängen“. Da Statkowski aber die düsteren Stimmungsbilder, die unheimlichen Byron-Stimmungen, das lastende Fatum ausfiltern muss, um den Konflikt deutlich herauszuarbeiten, reduziert er die Atmosphäre auf einen äußerlichen Rahmen, in dem sich die Figuren bewegen, ohne über eine rudimentäre Schlagwort-Psychologie hinauszukommen.
Das Schablonenhafte der Figuren macht es der Regisseurin Andrea Schwalbach schwer, die Handlung über die Kolportage hinaus glaubwürdig zu entwickeln. In Wexford versuchte Michael Gieleta, den Konflikt mit der Zuspitzung auf die gesellschaftliche Auseinandersetzung der achtziger Jahre zwischen dem Regime und der Solidarność zu schärfen. Schwalbach hat eher die oligarchischen Machtgefüge der Nachwendezeit im Blick: Anne Neuser baut ihr einen heruntergekommenen Raum in Viebrock-Tristesse, mit einem verschlissenen Sofa, auf dem der Wojewode seine Herrschaft der Angst entfaltet. Die Kostüme David Gonters lassen die Männer in ältlich geschnittenen Anzügen in gedeckten Farben als nachsozialistische Graumäuse, die Frauen im ungeschickten Chic einer neureichen Oberschicht auftreten. Beim ungeschliffenen Wojewoden trifft Leder und Pelz auf Feinripp und Brusthaar. Eine triste Gesellschaft, angstbestimmt, freudlos, verkommen.
Mit einem Kniff versucht Schwalbach, den Kontrast zur Lebenswelt der Maria zu betonen und sie als ein künstlich-nostalgisches Produkt zu zeigen: Das aufrechte „Bauernleben“ findet auf einer Bühne auf der Bühne statt; Maria steckt im Folklorekostüm, ihr Vater Miecznik trägt traditionell. Wacław, der Liebhaber, zieht den Theaterkasten an einem Seil in den Vordergrund, als wolle er seinem Vater eine Alternative zu seiner Art zu leben demonstrieren.
Dennoch: Die Mischung zwischen postsozialistischem Realismus und Sinnbild-Elementen funktioniert nicht und baut weder Spannung noch tieferes Verständnis auf. Dazu ist das Libretto zu plakativ, die Personen zu skizzenhaft. Eine szenische Lösung, das Stück zu retten, wäre vielleicht ein enthobener Symbolismus, der das Lyrische, das byronesk Schicksalshafte und die romantische Gebrochenheit der Vorlage Malczewskis einfangen könnte.
Das Oldenburgische Staatstheater wendet für diese Produktion erstrangiges künstlerisches Potenzial auf: Generalmusikdirektor Hendrik Vestmann dirigiert das Staatsorchester mit Leidenschaft und Sensibilität für die klangüppige Harmonik, der Opernchor und Extrachor (Thomas Bönisch) gestaltet Hymnisches und Elegisches mit Sorgfalt. Tomasz Wija ist ein profunder, in seinem Potentaten-Zynismus erschreckend kaltherziger Wojewode mit einem kristallklaren, aber nicht harten Timbre. Arminia Friebe als Maria leidet in berührenden melodischen Linien. Bei Jason Kim als Wacław begleitet ein schmerzlich resignativer Tonfall auch die Momente des Aufbegehrens. Kihun Yoon gestaltet als Miecznik die ziemlich eindimensionale Rolle des Vaters von Maria mit Anstand. Britta Glaser hat als Pacholę eine geheimnisvolle Rolle als prophezeiende Außenseiterin – aber leider hat Statkowski dieser Figur nur ein paar bedeutungsschwangere Sätze anvertraut, denen auch der Versuch der Regisseurin, ihre Funktion zu profilieren, nicht mehr Gewicht gibt.
Werner Häußner