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OFFENES GEHEIMNIS

24.09.2018 | FILM/TV, KRITIKEN

Filmstart: 28. September 2018
OFFENES GEHEIMNIS
Todos lo saben / Spanien / 2018
Drehbuch und Regie: Asghar Farhadi
Mit: Penélope Cruz, Javier Bardem, Ricardo Darín u.a.

Das Prestige des iranischen Filmregisseurs Asghar Farhadi ist groß, Kunststück, konnte er für seine Arbeiten schon zweimal den „Oscar“ für den besten fremdsprachigen Film heimholen. Darum hat auch seine spanische Produktion „Todos lo saben“ (sein zweiter nicht-iranischer Film) das Festival von Cannes eröffnet, obwohl es in seinem Anspruch nicht unbedingt ein Kunst- und Festival-Film ist. Immerhin stark genug besetzt – und zwischendurch sich so schwer schleppend, dass man an „Arthouse“ denkt, bis man am Schluß die übliche Krimi-Lösung bekommt.

Auch Voraussetzung und Durchführung der Geschichte ist nicht unbedingt originell, obwohl Asghar Farhadi erzählte, sie gewissermaßen dem Leben abgekupfert zu haben – als er vor vielen Jahren bei einer Spanienreise die Vermisstenanzeigen eines entführten Mädchens gesehen hat. Dazu hat er sich nun (eigenes Drehbuch) eine dramatische Familiengeschichte ausgedacht…

Bei Hochzeiten kommen die Familien zusammen. Laura, die mittlerweile mit ihrem Gatten Alejandro in Argentinien lebt, kommt mit ihrer 16jährigen Tochter Irene und ihrem kleinen Sohn zur Hochzeit der Schwester. Sie findet in dem kleinen Dorf bei Madrid statt, wo die Familie ein Weingut besitzt – das heißt, besessen hat, bevor man es an den ehemaligen Bediensteten Paco verkauft hat, der nun mit seiner Frau Bea dort „herrscht“. Großes allgemeines, überschwängliches Juchuhu beim Wiedersehen, wie im Süden üblich, nur Laura und Paco sind ein wenig betreten. Schade, dass Lauras Mann nicht mitkommen konnte, heißt es allgemein. Im übrigen hat der iranische Regisseur das Milieu Spaniens so stimmig ausgepinselt, wie man es sich nur wünschen kann.

Fröhliche, schöne Menschen bei der Hochzeit, die Braut ist Lauras jüngere Schwester Ana (und Inma Cuesta sieht tatsächlich wie eine jüngere Ausgabe von Penelope Cruz aus), die jungen Leute, darunter Irene, ziehen auf Abenteuer aus, darunter auf die Turmuhr, und anfangs sind die Spannungen (schließlich hat Lauras Vater sein Weingut verloren, wenn auch durch eigene Trunksucht-Schuld, was nicht heißt, dass er es Paco verzeiht) halten sich noch in Grenzen.

Und dann ist Laura weg. Einfach weg. Die Forderung der Entführer kommt aufs Handy, viel mehr als Laura und ihr Mann je zahlen können. Denn jetzt taucht auch Alejandro auf (der hoch dekorierte argentinische Schauspieler Ricardo Darín, komplett zerdrückt), und er ist der Verlierer schlechthin, schwächlich, arbeitslos, religiöser Fanatiker. Woher soll das Geld kommen? Und warum haben die Entführer nicht Lauras kleinen Sohn genommen, was entschieden einfacher gewesen wäre?

Nun, alle wissen es, es ist ein offenes Geheimnis, Irene ist Pacos Tochter, und er wird zahlen. Das wussten die Entführer, also es ist ein Insider-Job, und den ganzen langen, langsamen Mittelteil des Films ist man angehalten, die Familienmitglieder, die Bekannten und die Angestellten im Weingut mit Misstrauen zu betrachten (so richtig sieht man durch die Menschenmassen nicht durch, Who is Who, eine kleine Schwäche des Drehbuchs neben ein paar unlogischen Schlampereien).

Und man muss außerdem dabei zuzusehen, wie die anfangs so schöne Penelope Cruz als total verängstigte Mutter jeden Glanz verliert, wie der von seiner Frau (Bárbara Lennie) dafür begreiflicherweise wütend attackierte Paco (Javier Bardem) zur Opferrolle hochfährt, sein eigenes Leben zu zerstören, das Gut zu verkaufen, um das Lösegeld für die Tochter zu zahlen. Und wie alle anderen Verdächtigen ratlos tun. Plötzlich scheint der Film stehen zu bleiben.

Bis der Regisseur uns eine Viertelstunde vor dem Ende mit den „Tätern“ konfrontiert (hat man sie erwartet? Nicht wirklich diese) und man noch an mancher Dramatik teilnehmen darf, bis die Familie von Laura wieder abreist.

Immerhin, es gibt es kleine Schlußpointe: Wenn die ältere Schwester der Familie, die einiges gesehen hat, zu ihrem Mann sagt: Setz Dich her, ich muss Dir was erzählen… dann blendet der Film ab. Lässt aber die Möglichkeit offen, dass die Täter nicht durchkommen. Aber das ist eine andere Geschichte, und man weiß gar nicht, ob man sie sehen will.

Zu schwer hat sich dieses Familiendrama über die Leinwand geschleppt, weniger als in den iranischen Filmen des Regisseurs hatte man den Eindruck, wirkliche Einblicke in Verhältnisse zu gewinnen… Für „Offenes Geheimnis“ haben Kritiker das Wort „Telenovela“ gefunden. Dafür hätte es aber spannender sein müssen.

Renate Wagner

 

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