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OBERWIL (Bei Basel): FRÜHLINGS-STURM – frei nach Frank Wedekind

3. FMS Oberwil – frei nach Wedekind

08.03.2018 | Theater


Die 3. FMS des Gymnasiums Oberwil (Photo: Raymond Husi)

Oberwil (bei Basel): Gymnasium – Aula – 3. FMS Oberwil – frei nach Frank Wedekind – „Frühlings Sturm“    –  5.  bis 9. 3. 2018

Zu recht mit Stolz blickt Monika Lichtin, Leiterin der Fachmaturitätsschule (FMS) am Gymnasium Oberwil, auf die seit einigen Jahren erfolgreich durchgeführten Theaterprojekte ihrer Abschlussklassen. Das aussergewöhnliche daran ist, dass die Teilnahme an den Projekten auf freiwilliger Basis beruht.

Heuer sind es 28 junge Schülerinnen und Schüler um die 18 Jahre und vier engagierte Lehrpersonen, welche nebst dem schulischen Alltag und den Vorbereitungen auf die Matura eine wahre Herkulesaufgabe mit ausserordentlichem Engagement stemmen. Dabei beweisen sie nebst eisernem Durchhaltewillen auch eine gehörige Portion Mut, denn das Stück, das die jungen Theaterschaffenden ausgewählt haben, wird bis heute kontrovers diskutiert und hat 2009 einem Züricher Lehrer ein Gerichtsverfahren eingebrockt: „Frühlings Erwachen“ von Frank Wedekind. Die „Kindertragödie“, wie der Autor sein Stück selber nannte, legt schonungslos alles auf den Tisch, was junge Menschen in der Adoleszenz bewegt: schulischer Leistungsdruck, sich weder von den Eltern noch von den Lehrern verstanden zu fühlen, Gewalt und der Umgang mit der eigenen – und der fremden – Sexualität – ein absoluter jugendlicher Alptraum, in welchem sich zudem noch überforderte, überdrehte Eltern, durchgeknallte Lehrer und ein krankhaft ehrgeiziger Rektor die Hand geben.

Regisseur, Autor (und Deutschlehrer) Markus Gisin improvisiert zuerst mit seinen Protagonisten zu Wedekinds Stück, ergänzt es mit den aktuellen Problemfeldern Internet, Handy und Cybermobbing und lässt es vom Frühlings Erwachen zum veritablen „Frühlings Sturm“, welcher mit geballter Kraft orkanartig über das Publikum fegt, anwachsen. Das Stück wird im Basler Dialekt aufgeführt und nimmt so den Zuschauern, welche ja auch aus dem persönlichen Umfeld der Aufführenden kommen, noch die letzte Möglichkeit, sich der unangenehmen Wahrheit zu entziehen – sie kennen die jungen Menschen, welche hier auf der Bühne der heutigen Welt zuweilen drastisch den Spiegel vorhalten, nur zu gut.


Die durchgeknallte Lehrerschaft und ihr Rektor (Foto: Raymond Husi)

„Frühlings Sturm“ spielt auf einem trostlosen Platz, welcher von einem eingerissenen Gitterzaun umgeben ist. Darauf finden sich eine Kinderrutsche sowie ein Basketballkorb. Auf der raffinierten Bühne von Lukas Müllner, Jessica Wasmer, Hanna Nicolai, Ramon Müller ist auf einem Podium auch die Musikband integriert. Alles ist hier live – auch die Musik! Die Band, welche die passenden Songs zum Stück liefert und für stimmungsvolle akustische Effekte sorgt, funktioniert fabelhaft und wirkt auf höchstem Niveau. Gesanglich wird sie durch die kraftvolle, ausdrucksstarke Stimme von Ayélé Koulekpato sowie der jungen Sängerinnen Tara Rudin, Eveliyn Beutler, Melanie Gervais und Laura Husi getragen. An den Instrumenten begeistern Tara Rudin (Cello), Evelyn Beutler (Vibrafon, Klavier) Noëmi Begré (Bass, Ukulele, Klavier), Basil Brüggemann (Schlagzeug), Melanie Gervais (Bass, Ukulele), Tobias Huber (Saxophon, Schlagzeug, Perkussion), Laura Husi (Ukulele) und auch Ayélé Koulekpato (Klavier) – allesamt gekonnt multitasking – klasse! Gelungen sind auch die authentischen Kostüme und Maske von Lidia Pileggi, Kirthy Kumullil, Kassandra Smiljic, Jana Spielmann und Elena Thüring.

Die Darstellerinnen und Darsteller schenken sich auf der Bühne absolut nichts und bringen sich und das Publikum im positivsten Sinn an die Grenzen. Gerade die „heiklen“ Szenen im Stück wirken absolut natürlich, ungekünstelt und authentisch. Das liegt daran, dass die jungen Akteure absolut unverkrampft und unbefangen agieren. Da ist nichts peinliches, oder anstössiges dabei, wenn sich Melchior und Moritz zum Bodyvergleich bis auf die Unterhose der Kleider entledigen. Die Sexszene zwischen Melchior und Wendla wird als Schattenspiel auf einen weissen Vorhang projiziert. Und weil Sex nicht nur zwischen diesen beiden stattfindet, gesellen sich noch ein paar weitere Paare dazu. Intensiv schockierend gerät der Moment, in welchem Melchior Wendla – auf ihren Wunsch hin – zusammenschlägt. Es entsteht der Eindruck, dass Flurina Guldimann (Wendla), Manuel Geng (Melchior) und Philippe Geyer (Moritz) ausgebildete Schauspieler sind, so stark, überzeugend und kraftvoll ist das Spiel der drei. Überhaupt ist es Regisseur Gisin gelungen, die einzelnen Figuren den Aufführenden auf den Leib zu schreiben – und das ist wohl gerade bei denjenigen, welche mehrere Rollen übernommen haben, nicht immer einfach. So hat zum Beispiel Sarafina Wahl als überfürsorgliche Mutter von Wendla, als Lehrerin und schliesslich noch als „sonstige“ Mutter drei unterschiedliche Charaktere zu gestalten. Diesbezüglich am meisten gefordert ist sicher Philipp Borghesi, dem der Verantwortliche für die Musik, Walter Lang, für den Prolog und den Epilog eine äusserst anspruchsvolle Gesangsnummer komponierte. Sechs Rollen übernimmt der junge Darsteller und hat dabei als Rektor und Vater von Moritz recht kniffligen Text zu bewältigen. Philipp Borghesi hat in den vergangenen Jahren als Ensemblemitglied der „Baseldytsche Bihni“ reichlich – hauptsächlich komödiantische – Theatererfahrung gesammelt. In „Frühlings Sturm“ stellt er nun auch sein dramatisch-ernstes Schauspiel- und Gesangstalent eindrücklich unter Beweis.


Vater und Sohn, die sich nicht verstehen: Philipp Borghesi (Vater Stiefel) Philippe Geyer (Moritz) (Photo: Raymond Husi)

Auch die Aufgaben hinter den Kulissen werden von den jungen FMSlern souverän gemeistert: Marco Geissmann (Grafik, Graffiti, Licht), Monika von der Crone (Grafik), Annina Lèthi (Fotografie, Kostüm), Michalina Kierszka (Fotografie, Sponsoring) Michèle Mathies (Sponsoring) Sarah Kehl (Sponsoring) Ramitha Seshadri (Sponsoring) tragen wesentlich zu diesem Theaterabend bei, der sich um Galaxien von üblichen Schüleraufführungen abhebt und den Vergleich mit professionellen Bühnen nicht zu scheuen braucht. So ist es nur folgerichtig, dass sich diese aussergewöhnliche Produktion Hoffnungen auf eine Aufnahme am diesjährigen Jugendtheaterfestival in Aarau machen darf.

Eine riesige Anerkennung gebührt Markus Gisin (Stück, Regie), Walter Lang (Musik), Judith Sauter (Szenografie, Grafik, Sponsoring) und Stefan Toth (Bühnentechnik), welche den jungen Menschen  – und dem Publikum – dieses einmalige und prägende Erlebnis ermöglichen.

Michael Hug

 

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