Filmstart: 26. Januar 2018
NUR GOTT KANN MICH RICHTEN
Deutschland / 2017
Drehbuch und Regie: Özgür Yildirim
Mit: Moritz Bleibtreu, Birgit Minichmayr, Edin Hasanović, Peter Simonischek u.a.
Wer sagt, dass es nur in der amerikanischen Unterwelt gnadenlos, brutal und dreckig zugeht? Deutschland mit all seinen Banden, mit den Türken, Kurden, Albanern, Russen, den Deutschen selbst und andere Nationalitäten, haben eine lebhafte, gewaltbereite Unterwelt, die man sich im Kino gerne ansieht (im Leben möchte man ihnen lieber nicht begegnen). Özgür Yildirim hat tief in die Kiste von Emotion, Verbrechen und grausamem Schicksal gegriffen, um hier einen deutschen Gangster-Thriller zu schaffen, der es mit US-Vorbildern durchaus aufnehmen kann…
Es ist ein Film, den Moritz Bleibtreu drehen wollte, weil er – wie er in einem Interview sagte – in Hamburg einst inmitten eines ähnlichen „Halbwelt“-Milieus aufgewachsen sei, wie es dieser Film für Frankfurt schildert, also machte er sich auch als Produzent für das Unternehmen stark. Da hat ein alter, dementer Mann (Peter Simonischek mit wirrem Haar und den obligaten Schauspielkünsten für Alzheimer) zwei Söhne: Ricky (Moritz Bleibtreu), der sich für ihn verantwortlich fühlt, und dessen halbtürkischer Halbbruder Rafael (Edin Hasanović), der vom Vater nichts wissen will – aber wie das Leben so spielt, interessiert der Alte sich nur für diesen Sohn… Schon da merkt man, wie geschickt Özgür Yildirim mit Emotionen aller Art jongliert und besonders die Familien-Karte schrankenlos ausspielt. Außerdem weiß man, obwohl Ricky gleich zu Beginn des Films aus dem Gefängnis kommt, dass er im Grunde seiner Seele ein anständiger Kerl ist.
Er hat allerdings das Pech, aus dem Milieu nicht herauszukommen. Um ein neues Leben anzufangen, braucht er Geld, und zu einer Menge Geld kommt man nicht auf saubere Art. Und ein besonders schmutziger Deal, zu dem er auch seinen widerstrebenden Bruder überredet, geht furchtbar schief – so, dass die Albaner, die da betrügerisch tricksen, von Ricky das Geld verlangen, das sie angeblich verloren haben. Viel Geld. Und man weiß, dass diese Herren keine Gnade walten lassen.
Und da ist die Parallelhandlung, die österreichische Kinobesucher zumindest damit überrascht, Birgit Minichmayr einmal in der Rolle einer ganz normalen Frau (und nicht auf hochkünstlerischem Spitzentanz) zu sehen. Eine Polizistin, die einen marokkanischen Stiefvater hatte, arabisch spricht und sich in der Männerwelt schon wehren kann. Alles wäre okey für sie, hätte sie nicht eine herzkranke kleine Tochter (der Vater dazu hat längst das Weite gesucht). . . Aber – auch Ärzte sind korrupt, man macht ihr unter der Hand das Angebot für ein schnelles neues Herz ihres kleinen Mädchens, wenn sie 30.000 Euro auf den Tisch legt (eine beklemmende Szene). Und da liegt dann die im Krach eines schief gelaufenen Deals von Ricky verlorene Tasche mit Heroin in einem Frankfurter Hinterhof…
Es ist durchaus spannend, wie diese Frau nun – gar nicht blauäugig, sie weiß, mit wem sie es zu tun hat – versucht und hofft, solcherart das Geld für ihre Tochter zu bekommen (das Drehbuch löst den Fall dann zwar tragisch, aber gewissermaßen praktisch… ) Freilich, die Zufälle werden langsam so dick wie das Pathos, das sich akkumuliert, schon allein durch die großspurige Sprechweise und die aufgetragene Gestik der Gangsterwelt lassen es tremolieren. Und es fließt tragisch viel Blut in der Geschichte…
Aber, immer davon ausgehend, dass man als normaler Kinobesucher ein Laie in diesem Milieu ist, wirkt die vom Regisseur schnell und brutal und sentimental vor sich hin getriebene Geschichte ungemein lebensecht und spannend genug, um nicht immer wieder die Logik zu befragen. Das Einzige, was wirklich unnötig ist, ist der religiöse Drall, den auch der Titel des Films verrät: Für so fromm hält man Ricky wieder nicht, dass er unbedingt zum Beten niederkniet – und wenn da hie und da Gott angerufen wird, ist es ja eigentlich nur die Wut auf das Schicksal, das Menschen, die im „Milieu“ stecken, im allgemeinen nicht los lässt. Bis sie in einer dunklen Ecke oder in einer Bar im eigenen Blut verrecken.
Renate Wagner