Agnes Simona Sires, Hyuoho Yoo und Rebecca Broberg. Foto: Wagner-Verband Nürnberg
Nürnberg: Symposium zum 150. Geburtstag von Siegfried Wagner am 19. Oktober 2019
Ich Unfreiester aller…
Nachdem der Richard Wagner Verband Berlin-Brandenburg bereits im Januar in einem größeren Seminar in Berlin den runden Geburtstagen von Cosima, Siegfried und Friedelind Wagner in diesem Jahr gedacht hat – dazu liegt ein detaillierter Bericht vom Verfasser im Merker 02/2019 vor – führte nun der Richard-Wagner-Verband Ortsverband Nürnberg e.V. ein eintägiges Symposium zum 150. Geburtstag von Siegfried Wagner durch. Der Verband unter der Leitung von Agnes Simona Sires erhielt dazu fachliche Unterstützung von der Siegfried Wagner Gesellschaft Bayreuth e.V. Das Symposium hatte den Titel: „Siegfried Wagner – Sohn – Leiter der Festspiele – Dirigent – Regisseur – Komponist; Würdigung des Erneuerers von Bayreuth.“
Nach der Begrüßung durch die Vorsitzende und der Vorstellung der Referenten gab es zunächst eine Musikeinspielung zu hören – „Sehnsucht“, symphonische Dichtung nach Friedrich Schiller, von Siegfried Wagner. Günther Neumann, der nach seiner Lehrtätigkeit an der Musikschule Stein als Beleuchtungsarbeiter am Nürnberger Opernhaus, und die letzten 22 Jahre als Leiter der Beleuchtung am Stadttheater Fürth wirkte, gab sodann einen Abriss über den Lebenslauf und Werdegang von Siegfried Wagner unter dem Titel „Biographisches zur Geburt Siegfried Wagners.“
Die Germanistin Daniela Klotz, die sich parallel zu ihrem Berufsleben mit dem Verhältnis Siegfried Wagners zu seinem Vater auseinandersetzt und derzeit an einer Promotion mit dem Titel „Intertextuelle Bezüge in Siegfried Wagners Opern unter besonderer Berücksichtigung des Banadietrich“ arbeitet, hielt sodann einen interessanten Vortrag zum Thema „Siegfried Wagners Wirken als Dirigent, Bühnenbildner, Regisseur, und Mittler der Werke seines Vaters.“ Sie konnte Details aus dem Wirken Siegfried Wagner erzählen. So riss er sich nicht um Dirigate in Bayreuth. Er dirigierte sogar den „Ring“ gegen seinen Willen an der Mailänder Scala, um Geld für den 15-köpfigen Haushalt und die Festspiele zu verdienen. Das soll er als „Moderne Sklaverei“ bezeichnet haben – ich denke, eine Sklaverei auf höchstem Niveau! Als es an die ersten und teilweise fundamentalen Änderungen in der Bayreuther Technik und Bühnenbildästhetik ging, trennte er sich nur ungern von dem klassischen Rundhorizont. Siegfried war ohnehin keine Kämpfernatur, vollzog Änderungen in kleinen Schritten. Dennoch ließ er neuartige Beleuchtungsproben zu und arbeitete intensiv an Verbesserungen am „Ring“ mit neuer Technik. Die Tagesmode, oder – besser gesagt – der Zeitgeist, interessierte Siegfried Wagner nicht, er war kein Neuerer um des Erneuerns willen. Expressionismus hielt er für eine allenfalls kurzfristige Erscheinung und verfolgte eine Richtung, die eher die Einfachheit predigte. Er wollte im Prinzip nur die Werke seines Vaters sinngemäß aufführen. Von bedeutenden Künstlern wurde er auch Regisseur-Komponist genannt. Er kümmerte sich um alle Einzelheiten auf der Bühne, um Inszenierungen und Gesang und erntete dafür durchaus viel Bewunderung. Damit erinnert er mich stark an seinen Sohn Wolfgang Wagner, der ähnlich auf allen Gebieten um Details und bisweilen gar akribisch bemüht war. So war Siegfried auch sehr besorgt um die Sänger. Sein Credo war, dass der Künstler alles aus sich selbst hervorbringen sollte. Er konnte aber auch wütend werden, wenn etwas unprofessionell bewerkstelligt wurde.
Siegfried Wagners Wirken auf dem GrünenHügel begann mit dem „Ring“ und endete mit dem „Tannhäuser“ unter Arturo Toscanini. Bei diesem „Tannhäuser“ soll es ein legendäres Schlussbild gegeben haben, wohl in der Pariser Fassung, die ich ohnehin für viel interessanter halte als Dresden I und II. Als Siegfried 1930, wenige Monate nach dem Tod von Cosima und wenige Tage vor Beginn der Festspiele verstarb, sagte man auf seiner Beerdigung „Das Spiel geht weiter!“
Es folgte dann ein Musikvortrag “Herzog Wildfang“ Fantasie von Siegmund Wagner, für Klavier bearbeitet von Eduard Reuss, mit Edita Hakobian als Pianistin. Die Armenierin war diesjährige Stipendiatin des Richard-Wagner-Verbandes Nürnberg.
Prof. Dr. Peter P. Pachl, Vorsitzender der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft Bayreuth e.V. hielt daraufhin den Festvortrag zum Thema „Gestörte Feste“ und führte dazu aus: „Historisch sind Opern häufig mit einem Fest verbunden und kulminieren, etwa in der Barockzeit inklusive Christoph Willibald Gluck, in einem Fest. Im Musiktheater der Nachromatik und Moderne werden gestörte Feste zu einem dramaturgischen Dreh- und Angelpunkt, besonders deutlich in einigen Werken von Franz Schreker, und insbesondere in den Opern von Siegfried Wagner. Der von einigen Autoren als Biografismus infrage gestellte Schlüssel zur Deutung der Bühnenwerke Siegfried Wagners als gigantische Tagebücher wird auch bei der Fokussierung auf gestörte Feste in dessen Opernhandlungen deutlich.“ So gibt es gestörte Feste in Open wie „Doin Giovanni“, „Rienzi“, in „Die Gezeichneten“, im „Bärenhäuter“ in „Schwarzschwanenreich“, im „Heidenkönig“ oder auch in „An allem ist Hütchen schuld“, das Pachl diesen Sommer in Bayreuth inszenierte (Merker 08-09/2019).
Sodann hielt Dr. Sabine Sonntag, Regisseurin, Operndramaturgin und Autorin, die seit 2001 an der hannoverschen Musikhochschule Historische Musikwissenschaft lehrt, einen sehr unterhaltsamen Vortrag zum Thema „Ich Unfreiester Aller“. Angesichts der vielen Funktionen, die Siegfried Wagner innehatte, könnte man frei nach „Tannhäuser“ sagen: „Zu viel, zu viel“. Schon den Vornamen empfand Siegfried als Bürde. Er hoffte aber „nicht ganz unwürdig dieses Namens zu sein“. Sonntag stellte das Persönliche unter psychologischen Gesichtspunkten in den Vordergrund und ging der These nach, „dass Siegfried bereits bei seiner Zeugung einer so mannigfachen Belastung durch die Eltern ausgesetzt war, dass die Entwicklung zu einem frei handelnden Menschen gar nicht möglich war. Er blieb immer eine Schattenfigur hinter seinem Vater, hinter seiner Bisexualität und hinter seiner künstlerischen Selbstbestimmung.“ Dennoch müsse er in all seinen Widersprüchen gerecht gewürdigt werden.
Rebecca Broberg. Foto: Wagner-Verband Nürnberg
Rebecca Broberg, Sopran, sang danach „Szenen der Osterlind“ aus „Herzog Wildfang“, op. 2 von Siegfried Wagner. Hyunho Yoo, ein junger Bariton aus Südkorea, schloss sich mit „Rainhards junger Liebe“ aus „Herzog Wildfang“ an, beide begleitet von Prof. Werner Dörmann am Klavier. Sehr engagierte und gute Vorträge!
Hyuoho Yoo. Foto: Wagner-Verband Nürnberg
Achim Bahr, ein 3D-Künstler, der Malerei an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf studierte und auch Aufsätze über einzelne Aspekte der Opern von Siegfried Wagner veröffentlichte, Kurator der jährlichen Siegfried Wagner-Ausstellungen in Bayreuth ist, sowie als Ausstatter und Dramaturg an Aufführungen mitwirkt, sprach dann zum Thema „Re-/Projektion – Siegfried Wagner zwischen Antizipation und Realisation“. Bahr referierte, dass Siegfried Wagner im Hinblick auf die an ihn gestellten Erwartungen (die er auch gar nicht erfüllen wollte) so nachhaltig enttäuschte, dass Person und Werk dahinter versanken. „Bis heute ist die Wahrnehmung sowohl von Siegfried Wagners Persönlichkeit als auch seiner Opern durch Vorurteile, Fehleinschätzungen und Missverständnisse so nachhaltig getrübt, dass eine kritische Würdigung noch immer erschwert wird.“ Siegfried wollte sogar lieber Friedsieg als Siegfried heißen. Mit vier Jahren wollte er nur noch Helferich heißen, einer seiner weiteren Vornamen. Mit zwölf entdeckte er seine Leidenschaft für die Architektur. Richard Wagner sagte damals: „Es ist mir gerade recht, einen kompetenten Jungen hätte ich nicht brauchen können.“ Siegfrieds Mutter Cosima zweifelte gar an der Genialität des Sohnes. Richard Wagner wünschte sich übrigens keinen zweiten Sohn. Prominente konzedierten Siegfried eine große Dirigentenkarriere. Sein erstes Dirigat im Festspielhaus war 1896.
Zu seinen Opern und Bayreuth: Unter den 18 Opern, die Siegfried Wagner schrieb, sind nur drei Märchenopern. Für ein großes Verdienst Siegfrieds, und das sicher zu Recht, hält Bahr die Tatsache, dass er auch internationale Künstler nach Bayreuth gebracht hat, wie Arturo Toscanini. Nach 10 Jahren Festspielleitung sah er sich 1924 mit national-konservativen Kräften konfrontiert. Als sich entsprechende Parolen 1925 im Festspielhaus wiederholten, ließ er das Saallicht kurzerhand ausschalten und Zettel anschlagen, auf denen stand: „Hier gilt’s der Kunst.“ Martha Mödl sagte einmal, Siegfried Wagner habe das Pech gehabt, Sohn von Richard Wagner und Vater von Wieland Wagner zu sein. Und Cosima ging sogar so weit, Houston Stewart Chamberlain als de facto Sohn und Siegfried (Fidi) als Tochter, anzusehen… Abschließend meint Achim Bahr, dass die Opern Siegfried Wagners selbstgeschmiedetes Schwert gewesen seien, mit dem er den Vorbelastungen und der Eingefangenheit entkommen wollte. Seine Memoiren erschienen bereits 1924, also sechs Jahre vor seinem Tod!
Zwei weitere musikalische Vorträge beendeten dieses in jeder Hinsicht interessante Symposium zum Thema Siegfried Wagner. Zunächst sang Rebecca Broberg die „Szene der Adelaisa“ aus „Rainulf und Adelaisa“, op. 14, und danach den „Schlussgesang der Agnes“ aus „Sternengebot“, op. 5, beide begleitet von Prof. Werner Dörmann am Klavier.
Klaus Billand