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NÜRNBERG/ Staatstheater: KRIEG UND FRIEDEN von Sergej Prokofjew

01.10.2018 | Oper

Szenenbild der Prokofjew-Oper "Krieg und Frieden" | Bildquelle: © Ludwig Olah
Copyright: Ludwig Olah, Staatstheater Nürnberg

Nürnberg: „KRIEG UND FRIEDEN“ – 30.09.2018

Mit der selten aufgeführten Opern-Rarität „Krieg und Frieden“ (Sergej Prokofjew) eröffnete das Staatstheater Nürnberg seine neue Spielzeit und zugleich eine neue Intendanten-Aera.

Die Story frei nach der Romanvorlage Leo Tolstois erhielt das Libretto von Mira Mendelson-Prokofjewa und vom Komponisten selbst welcher das Werk zwischen 1941 und 1953 schuf und keine Fassung letzterer Hand hinterließ. Im Frühjahr 1812 fiel Napoleon mit großer Armee in Russland ein, dessen Oberschicht vollkommen verwestlicht war, sich französisch unterhielt, italienische Musik hörte, deutsche Philosophen las und die Zivilisation des Westens als Maßstab des privaten und gesellschaftlichen Lebens verstand. Fassungslos standen die Russen den Grausamkeiten der Franzosen gegenüber, begannen den Kampf als Kollision unversöhnlicher Kulturen zu begreifen. Im Mittelpunkt des Geschehens also wie im Roman richtete sich der Blickpunkt auf die drei Hauptfiguren: Natascha, Pierre und Andrej im Mittelpunkt als tragische personifizierte Dreier-Konstellation.

Jens-Daniel Herzog nahm wie so oft in seinen Deutungen der Textur epochale Authentizität, radikalisierte Stücke und mauschelte Historie mit Gegenwart. Oft stellte sich nicht nur mir die Frage: Sind General-Intendanten mit der kompetenten Führung eines Drei-Sparten-Hauses nicht voll ausgelastet und müssen noch inszenieren? Allen Widrigkeiten zum Trotz verstand es Herzog die diversen Charaktere der Protagonisten akribisch höchst differenziert in Szene zu setzen, die Massen hervorragend zu bewegen. Sehr realistisch wurden die Gewaltexzesse des Krieges beider Kontrahenten drastisch in Szene gesetzt, ebenso als „Tanz auf dem Vulkan“ die Dekadenz des russischen Hochadels.

Mathis Neidhardt lieferte dazu die Dekors: schwarze bewegliche Elemente teils auf der Drehbühne wirkungsvoll eingegliedert, die Tiefenschärfe des Raumes bestens ausgelotet, dazu Kronleuchter, Sitzmobilar, ein Friseur-Salon, Drehstühle. Die kontroverse Kostüme und Uniformen bunt gemischter Stilepochen kreierte Sibylle Gädeke. Großartig und wirkungsvoll rundete das Lichtdesign von Kai Luczak die Gesamtszenerie ab.

Die neue Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz wurde bereits mit großem Jubel empfangen animierte die exzellent musizierende Staatsphilharmonie Nürnberg zu akustischen Höhenflügen. Die temperamentvolle Dame offerierte ein orchestrales prachtvolles Exempel an sehnsuchtsvollem Kolorit und rhythmischer Exzentrik. Selten hörte man im Graben die hohen Streicher derart seufzen, das Blech so akkurat vehement aggressiv

tönen und das Holz in farblicher Bandbreite aufspielen. Mallwitz brachte die Konturen dieser vielfältigen Partitur in wunderbarer Transparenz zum Leuchten, setzte hinreißende instrumentale Akzente, ohne sich auch der reichhaltigen teils lyrischen Prosa und ebenso fieberhaften Energie des Werkes zu verschließen. Die vortreffliche Dirigentin erntete mit ihrem Klangkörper für diese grandiose Interpretation zu Recht den absoluten Beifallssturm des Abends.

Derart orchestral kongenial eingebettet entfalteten sich das Riesenensemble sowie die Sänger der Hauptpartien zu mannigfaltiger Größe. Zurab Zurabishvili konnte dabei als Pierre Besuchow besonders für sich einnehmen. In viriler Intensität fächerte der georgische Tenor seine immense vokale Bandbreite mit lyrischen Grundierungen zu expressiven klangvollen Höhenattacken auf. Szenisch wurde seine Figur als ungelenker Idealist und Kriegsgegner angelegt, der Natascha aufrichtig liebt und somit die einzige durchgehend positive Person der Handlung bleibt.

Dessen Freund, Verlobter Nataschas Andrej Bolkonski wurde von Ks. Jochen Kupfer in bester Manier gesungen. Sein Bariton entwickelte sich allmählich im Volumen, kombinierte das schön timbrierte Material vorteilhaft mit Flexibilität und famoser Klangbalance. Prägnant verstand es der Sänger der tragischen Figur eine gewisse melancholische Aura zu schenken und erwies sich zudem als exzellenter Tänzer.

Dem Ideal der Natascha entsprach Eleonore Marguerre in berührender Darstellung. Entgegen dem jungmädchenhaften Erscheinungsbild klang ihr unruhig geführter Sopran zu dramatisch und nicht frei von kantigen Obertönen.

Martina Dike (Achrossimowa), Almerija Delic (Marija Bolkonskaja) und Irina Maltseva (als leichtlebige Héléne) vertraten ansprechend die Fraktion der Mezzosoprane. Der letzteren zügelloser und geckenhafter Bruder Anatol versah Tadeusz Szlenkier mit tenoralen Qualitäten.

Ausgezeichnete Vokalise schenkte der Bassbariton Nicolai Karnolsky Andrejs Vater dem in Unterhosen agierenden sexistischen alten Bolkonski und gab zudem General Belliard die autoritative Würde.

In der Schar der vielen Protagonisten ohne deren vokal glänzend gemeisterte Aufgaben zu schmälern, traten solistisch u.a. Denis Milo (Denissow), Alexey Birkus (Rostow), Hans Kittelmann (de Beausset/Bonnet) und Sangmin Lee (Napoleon) besonders eindrucksvoll hervor.

Die gewaltigen Chormassen dieses eigentlich 5-Stunden-Mammutwerkes und auf gut drei gekürzt, wurden vom Chor und Extrachor des Staatstheaters in souveräner Meisterschaft glanzvoll dank der intensiven Vorbereitung von Tarmo Vaask eindrucksvoll absolviert.

Die imposante selten gespielte Gesamtinterpretation wurde vom Publikum begeistert gefeiert incl. Regieteam. Ovationen erhielten jedoch besonders Joana Mallwitz, Zurabishvili und Kupfer. Die denkwürdige Produktion wurde von BR-Klassik übertragen und kann in der Mediathek noch nachgehört werden.

Gerhard Hoffmann

 

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