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NÜRNBERG/ Staatstheater: IL TROVATORE – die umstrittene Konwitschny-Inszenierung

28.12.2021 | Oper international

NÜRNBERG: IL TROVATORE
26.12. 2021 (Werner Häußner)

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Angelos Samartzis (Manrico) und Ensemble. Foto: Bettina Stöss

Am Schluss, als die Musik schon verklungen ist, steht Gelächter, diabolisches, verzweifeltes, irrwitziges Gelächter. Es kommt vom Conte di Luna, der soeben drei Menschen den Tod gebracht hat. Seine Strafe ist es, einsam zurückzubleiben. Doch Strafe wofür? In Peter Konwitschnys Nürnberger Inszenierung von Giuseppe Verdis „Il Trovatore“ ist er nicht der gewöhnliche Opernschurke, der gegen die Lichtgestalten der Liebenden eine finstere Hemisphäre konstituiert. Er ist, wie die anderen auch, Opfer seiner ungebändigten Leidenschaft. Sie durchdringt ihn wie Furien, lässt ihn an nichts anderes mehr denken, macht ihn blind selbst für den Krieg, den er eigentlich gegen die Freischärler Manricos führen sollte.

Aber Konwitschny macht auch den Krieg zum Fatum, dem niemand aus dem Quartett der Hauptpersonen entkommt. Die grün uniformierte Armee auf der Bühne gehört zu keinem. Gegen wen sie agiert, ist eigentlich unerheblich. Ihr Ziel ist die Gewalt, ihr Credo die Verachtung der Opfer. Dass ihr erster, drastischer Zugriff sexistisch und rassistisch konnotiert ist, hämmert der Regisseur auf der sparsam düsteren Bühne von Timo Dentler und Okarina Peter mit verstörend brutalen Bildern in die Köpfe der Zuschauer: Zum Vergnügen wird ein Scheiterhaufen hereingerollt, die Soldateska hat eine „Zigeunerin“ – natürlich rothaarig – gefangen und kettet die wie ein gequältes Tier schreiende Frau (Monika Schrödel-Hecht) genüsslich an den Marterpfahl. Dort wird sie erst einmal entblößt, dann barbarisch vergewaltigt, bevor die Masse in die verzehrende Flamme gafft. Der „Zigeunerchor“, eines der Schaustücke der Partitur Verdis, ist so keine Hymne des freiheitsliebenden fahrenden Volks von Manrico, sondern rüdes, anzügliches Gebrüll einer entfesselten Masse. Was ist der Spaß des Zigeuners? Natürlich, die Zigeunerin, „la zingarella“!

Wie genau Konwitschny auf den viel geschmähten Text von Salvatore Cammarano und Leone Emanuele Bardare schaut, ist an der nuancierten Personenführung abzulesen. Da ist nichts dem Zufall überlassen, gibt es keine „Hänger“, die belanglos überbrückt werden. Konwitschny zeigt damit auch, wie präzis das Libretto gearbeitet ist. Es erfüllt genau das, was Verdi verlangt hat: extreme Emotionen, auf die Spitze getrieben, ans Bizarre grenzende Leidenschaft, seelische Abgründe und Situationen, die so chaotisch unlogisch sind wie das Meiste, das sich in unserem Leben abspielt – und das nur in der Nachbetrachtung so geglättet schlüssig und folgerichtig erscheint.

Diese Verdi-Figuren sind Vulkane, deren Oberfläche das innere Brodeln nicht verdecken kann. Beispiel Azucena: Meist als etwas durchgeknalltes Muttertier abgehakt, wird sie bei Konwitschny zu einer vom Ziel der Rache durchdrungene Akteurin, die ihren Sohn sehr bewusst im Unklaren über seine Identität lässt. Das Psycho-Spiel zwischen Mutter und Manrico im großen ersten Duett der beiden – in dem jeder Satz beziehungsreich zählt – wird zu einem Höhepunkt der Inszenierung.

Mit einem täuschenden Blick auf die Wirklichkeit hat auch das Theater auf dem Theater zu tun, das Konwitschny im ersten Teil der Oper einsetzt. Vor der abergläubischen Menge der Soldaten, die sich vor dem ruhelosen Gespenst der verbrannten Zigeunerin fürchten, spielen Leonora, Manrico und Luna in einem erhöhten Kasperl- oder Straßentheater ihre inneren Liebessehnsüchte mit Handpuppen (Barbara und Günter Weinhold). Damit ist in der Klosterszene Schluss: Krachend stürzt das Theaterchen in sich zusammen, lässt sich auch später nicht mehr rekonstruieren, selbst wenn sich Manrico darum bemüht, das Bühnenportal wieder ins Gerüst einzuhängen.

Im Kloster sind die Nonnen mit ihren stilvoll gestärkten Häubchen alles andere als eine Schar verschreckter Gestalten. Sie retten die Liebenden vor dem Zugriff der Uniformierten – ein Akt des Widerstands der Frauen gegen die allseitige Gewalt. Auch Ferrando, der Anführer des Trupps, ist einer, bei dem Konwitschny die fixierende Prägung durch die Vergangenheit hervorhebt: Nicolai Karnolsky erinnert sich mit markanter Stimme an den über zwanzig Jahre zurückliegenden Raub des einen der beiden Söhne des alten Grafen Luna. Die Fahndung nach der Täterin, die das Baby in die Flammen des Scheiterhaufens für ihre Mutter geworfen hatte, bestimmt seine Existenz.

Indem die Regie die ungeheuren Antriebskräfte in den Personen Verdis ernst nimmt und in eine unmittelbar packende Körper- und Bewegungssprache übersetzt, wird der „Trovatore“ vom überlebten romantischen Schauerdrama (und Arien-Vehikel) zu einem konzentrierten Reigen von Passionen, die in einem seltsamen, immer wieder auch verstörenden Kontrast stehen zur modernen Psyche, die versucht, aufgeklärt, rational und distanziert sich selbst zu gestalten. Die irrationale, anarchische Dynamik eines wild, brennend, besitzgierig liebenden Luna, die verzehrende Suche nach der eigenen Identität eines Manrico, das am Rand des Wahnsinns brütende Rachebegehren einer Azucena, aber auch die selbstbewusst bedingungslose Liebe der „Lichtgestalt“ der Oper Leonora sind uns so fremd, weil solche Eruptionen in einer auf emotionale Kontrolle verpflichteten Lebenswelt (scheinbar) nicht mehr stattfinden. Dass sie in Wirklichkeit unter der Oberfläche rumoren wie die Lava einer Caldera, wird leicht übersehen, wo die Camouflage vermeintlich vernünftiger Interaktion funktioniert. Dass die alten Geschichten aus einer überlebten literarisch-musikalischen Epoche immer noch funktionieren, liegt eben nicht nur an den unsterblichen Melodien Verdis, sondern auch an ihrer hartnäckigen Kraft, mit der sie an Verdrängtes erinnern.

Die „Schlager“ waren in Nürnberg, wie so oft, so eine Sache: Denn die stimmlichen Kapazitäten für eine adäquate Interpretation der Partien Verdis sind heute annähernd ausgestorben. Stimmen mit schlanker, eleganter Beweglichkeit und flexibler Gestaltungskraft in der Dynamik bei gleichzeitig schlagkräftiger Präsenz und Steigerungsfähigkeit des Tons sind rar. Am ehesten entspricht diesen Anforderungen der tiefe Mezzo der Amerikanerin Raehann Bryce-Davis. Für die Azucena hat sie nicht nur eine freie Höhe und ein bruchlos an die Mittellage angebundenes, mit sattem Klang geflutetes tiefes Register, sondern auch eine unverkrampfte Tonbildung, ein fließendes Legato und vor allem eine Vorstellung davon, wie sie den Klang färbt und Nuancen der Stimme expressiv einsetzt. Bryce-Davis wird 2022 in Brüssel in Puccinis „Trittico“ und an der Scala als Ulrica in Verdis „Ballo in maschera“ zu hören sein, bevor sie bei den St. Galler Festspielen Tschaikowskys „Jungfrau von Orleans“ singt. Es wird sich lohnen, diese Karriere zu verfolgen.

Den Willen zur Differenzierung bringt auch Angelos Samartzis mit. Er weiß um die überwiegend lyrischen Qualitäten, die es für den Manrico braucht. Die Canzonen hinter der Bühne gelingen ihm weitgehend entspannt, auch „Ah si, ben mio …“ im dritten Akt setzt er locker an. In der Mittellage fehlt ihm die Durchschlagskraft nicht, auch wenn er mit viel Kraft operiert. Doch die dramatische Höhe überfordert den am Staatstheater Saarbrücken engagierten Tenor; die Grenzen der technischen Bewältigung sind unverkennbar.

Als Leonora setzt das vielseitige Nürnberger Ensemblemitglied Emily Newton eine jugendlich-dramatische Stimme ein, die inzwischen wohl eher zur (im März 2022 geplanten) Marschallin im „Rosenkavalier“ passt. Für Verdi wirkt ihr Sopran bei allem Glanz und veritabler Präsenz zu monochrom, zu wenig innig und in der Höhe mit erzwungen offenem Strahlen. „Tacea la notte“ ist zwar auf den Atem gelegt und mit erfülltem großem Bogen gesungen, aber die wehmütige Sehnsucht schimmert nicht durch. In „D’amor sull‘ ali rosee“ fehlt entspannte Subtilität – und die Triller sind nur eine Variante des doch erheblichen Vibrato.

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Sangmin Lee (Luna). Foto: Bettina Stoess

Ein Musterbeispiel verfehlter Verdi-Dramatik liefert Sangmin Lee als Conte di Luna. Der brennende Furor dieses vom Objekt seiner Leidenschaft besessenen, begehrenden Mannes verführt den Bariton zu einem Dauerforte, das mit brüllender Wucht jede Eleganz erstickt und die Äußerung der tief verzweifelten, unerhörten Liebe in „Il balen del suo sorriso“ einer Lyrik anvertraut, die eher wie eine rauhe Erschöpfung von überstandenen Vokalattacken wirkt. Die Chöre hat Tarmo Vaask offenbar nicht zu vokalem Auftrumpfen verführt, sondern ihnen ein Gespür für flexible Gestaltung vermittelt. Dass die filigrane Rhythmik von „Ardir! Andiam …“ schief geht, ist dem Wimmelbild zu verdanken, das Konwitschny von den Choristen verlangt – ein seltsames Manko zu Lasten der Musik, das der alte Opernroutinier eigentlich vermeiden sollte.

Am Pult qualifiziert sich Marc Reibel als Sachwalter Verdi. Die Staatsphilharmonie Nürnberg zeigt sich aufmerksam und klangsensibel. Die tiefen Streicher und Holzbläser überziehen den Klang mit der gewünschten düsteren „tinta“, der Rhythmus springt ab, ohne aufdringlich zu werden, die großen Bögen werden von den Violinen gespannt und getragen. Und wo nötig, setzt das Blech die kraftvollen, brutalen Akzente. Reibel hält den Fluss des Metrums flexibel, ohne in agogische Willkür zu fallen – auch das festigt den Eindruck einer musikalisch vortrefflich erarbeiteten Vorstellung.

Einen Hinweis verdient noch die sonst in Kritiken selten aufgegriffene Dramaturgie: Georg Holzer hat im Programmheft einen Beitrag zu „Il Trovatore“ geschrieben, der zum Besten gehört, was ich seit längerem zu diesem Werk zu lesen bekam. Außerdem sei noch auf Marie-Christine Lüling hingewiesen, die als Regiemitarbeiterin die Endproben geleitet hat. Bekanntlich hatte sich das Staatstheater Nürnberg zwei Wochen vor der Premiere von Peter Konwitschny getrennt, nachdem ihm eine Äußerung in einer Probensituation vorgeworfen wurde, die „von Beteiligten als unangemessen und diskriminierend wahrgenommen“ wurde. Ein Vorfall, der nach allem, was darüber bekannt geworden ist, weniger mit Rassismus als mit einem neuen Moralismus zu tun hat, dem die sonst ach so unabhängigen Theaterdenkenden eilfertig folgen – und der uns vermutlich noch so manche groteske Situation in einer purifizierten „woken“ Theaterwelt bescheren wird.

Werner Häußner

 

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